Vorreiter und Brückenbauer
Die Freie Universität trauert um Peter Deuflhard. Der Professor für Numerische Mathematik und Gründer des Zuse-Instituts Berlin ist im Alter von 75 Jahren gestorben – ein Nachruf von Christof Schütte, Ralf Kornhuber und Rupert Klein
26.09.2019
Die Berliner Mathematik hat eine ihrer Integrationsfiguren verloren: Am 22. September 2019 verstarb Professor Peter Deuflhard im Alter von 75 Jahren in Berlin. Der gebürtige Bayer begann seine beeindruckende wissenschaftliche Karriere in München. Nach einem Physikstudium an der dortigen Technischen Universität und der Promotion in Mathematik bei Roland Bulirsch über Newton-Methoden an der Universität zu Köln, habilitierte er sich 1977 an der Technischen Universität München mit einer Arbeit über Mehrfachschießverfahren für Randwertprobleme. Bereits im Alter von 34 Jahren wurde er zum Professor für Numerische Mathematik an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg berufen, bis er im Jahr 1986 dem Ruf auf einen Lehrstuhl für Wissenschaftliches Rechnen an der Freien Universität Berlin folgte.
Peter Deuflhard hat Spuren hinterlassen in der wissenschaftlichen Welt, auch in Berlin. Er ist nicht nur Autor eines dreibändigen Lehrbuches über Numerische Mathematik, das heute zu den Standardwerken seines Faches zählt. Er verfasste auch das mittlerweile legendäre Konzeptpapier, das 1986 zur Gründung des Zuse-Instituts Berlin (ZIB) führte, dem ersten deutschen Institut für Wissenschaftliches Rechnen. Mehr als 25 Jahre leitete er das ZIB als Präsident und machte es zu einem international herausragenden Zentrum für interdisziplinäre mathematische Forschung.
Und er engagierte sich für weitere Pilotprojekte. Im Jahr 2002 brachte er das Berliner Forschungszentrums MATHEON mit auf den Weg, das eine überaus erfolgreiche Kooperation aller Berliner Universitäten und mathematischer Forschungseinrichtungen begründete. Unter dem Motto „Mathematik für Schlüsseltechnologien“ war das MATHEON Vorreiter des gerade im Rahmen der Exzellenzstrategie eingerichteten Exzellenzclusters MATH+ – und letztlich auch der Berlin University Alliance, des Verbundes der drei großen Berliner Universitäten und der Charité.
Peter Deuflhard ist seit 2001 Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) gewesen und erhielt zahlreiche Ehrungen, darunter auch die Ehrennadel der Freien Universität Berlin. Anlässlich der Verleihung des renommierten Maxwell-Preises der „Society for Industrial and Applied Mathematics“ (SIAM) im Jahr 2007 veröffentlichte das Preiskomitee die folgende Laudatio: „Professor Peter Deuflhards Beiträge zur angewandten Mathematik haben eine Breite, Tiefe und Originalität, die fast beispiellos ist. […] Charakteristisch für seine Arbeit ist, dass er immer eine solide und innovative mathematische Grundlage legt, auf deren Basis er hocheffiziente Algorithmen für harte Praxisprobleme in Wissenschaft und Technik konstruiert. Sein Forschungsstil hat das Wissenschaftliche Rechnen revolutioniert, eine große Zahl renommierter Wissenschaftler folgt seinen Spuren.“
Deuflhard betreute mehr als dreißig Doktorandinnen und Doktoranden, von denen einige das ZIB als Sprungbrett für eine wissenschaftliche Karriere nutzen konnten. Er arbeitete intensiv mit Ingenieuren, Medizinerinnen und Medizinern, Praktikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf vielen verschiedenen Gebieten zusammen.
Kurzatmige Resultate haben Peter Deuflhard nicht interessiert, er wollte zu nachhaltigen Veränderungen der Wissenschaftswelt beitragen. Die Vielfalt der Anwendungsbereiche, in denen er mitgewirkt hat, ist atemberaubend. Sie reichen von Missionsdesign für Raumfahrzeuge, chemischer Verfahrenstechnik, Nano-Optik, Systembiologie, Medizin, Molekulardynamik und Wirkstoffdesign bis hin zu den Geisteswissenschaften. Deuflhard baute Brücken zwischen sehr unterschiedlichen Disziplinen. So verwendete er Ideen aus der Numerischen Mathematik, um die modellgestützte Operationsplanung in der Gesichtschirurgie zu revolutionieren, und er fand einen Weg, die Ergebnisse zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Kunst- und Geisteswissenschaften mit dem Studium schöner Gesichter zu verbinden.
Mit diesem sehr interdisziplinären und anwendungsorientierten Ansatz war Deuflhard in der mathematischen „Community“ nicht unumstritten: Er sei zu wenig auf die reine Mathematik fokussiert, warfen ihm seine Kritiker vor. Aber gerade durch seine Perspektive über die Fachgrenzen hinaus öffnete er vielen Kollegen und Studierenden, zu deren Karrieren er außerordentlich beigetragen hat, berufliche und akademische Türen. Ohne Peter Deuflhard wäre die Angewandte Mathematik in Berlin, Deutschland und weltweit ein Stück ärmer – und auch ein Stück weiter von der Realität entfernt.
Wir trauern um ein hoch angesehenes Mitglied der wissenschaftlichen Gemeinschaft und einen wunderbaren Menschen. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie in diesen Stunden der Trauer.