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„In eindringlicher Form geschichtliche Erscheinungen erhellen“

Vor 60 Jahren zeichnete die Freie Universität die Philosophin und Schriftstellerin Margarete Susman mit der Ehrendoktorwürde aus

16.09.2019

Das Bild zeigt Margarete Susman im Jahr 1947 in Zürich. Im Juni 1959 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin.

Das Bild zeigt Margarete Susman im Jahr 1947 in Zürich. Im Juni 1959 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: picture alliance/ullstein bild

Michael Landmann, der von 1951 bis 1978 als Professor für Philosophie die Freie Universität Berlin mitgeprägt hat, wandte sich am 23. Januar 1966 mit einem kurzen Brief an den damaligen Rektor der Hochschule. Darin berichtete er von seiner Teilnahme an der Trauerfeier für die am 16. Januar desselben Jahres verstorbene Margarete Susman. Die Beisetzung von Susman fand in Zürich statt, wo die Autorin seit ihrer Emigration aus Deutschland gelebt hatte.

Der 1872 in Hamburg geborenen Philosophin und Schriftstellerin, deren umfangreiches Werk die Germanistin Barbara Hahn seit 2009 digital zugänglich macht, war im Jahre 1959 die Ehrendoktorwürde der Freien Universität verliehen worden. Michael Landmann hatte von Seiten des Instituts die Ehrung vorangetrieben, an der Kommission waren neben Eduard Neumann, dem damaligen Dekan der Philosophischen Fakultät, auch Helmut Gollwitzer, Walter Killy, Ingeborg Schröbler und Hans-Egon Hass beteiligt.

Michael Landmann berichtete dem Rektor, dass er bei der Trauerfeier einen Kranz niedergelegt habe, der den Hinterbliebenen und Freunden der Verstorbenen als ein würdiges Zeichen der Wertschätzung der Freien Universität Berlin für ihre Ehrendoktorin erschienen sei. Dem Schreiben gab Landmann den Entwurf eines Nachrufs bei, den er den Rektor bat, „nach Gutbefund an die Redaktion des Mitteilungsblatts“ weiterzugeben.

Der Durchschlag dieses Nachrufs ist heute das erste Blatt der Akte zur Ehrenpromotion Margarete Susmans im Archiv der Hochschule, die ein Kapitel der Geschichte der Freien Universität dokumentiert, das sich zu vergegenwärtigen lohnt. Denn die Akte macht das Verfahren der Ehrenpromotion Susmans nachvollziehbar, die als erste und bislang einzige Frau des Fachbereichs mit dieser Würde ausgezeichnet wurde. Darüber hinaus enthält die Akte noch zwei weitere Dokumente von gedächtnisgeschichtlicher Bedeutung.

Margarete Susmans Dankesbrief vom 2. März 1960 an den Dekan der Philosophischen Fakultät. Wegen langer Krankheit konnte sich die im Juni des Vorjahres mit der Ehrendoktorwürde Ausgezeichnete erst ein halbes Jahr später melden.

Margarete Susmans Dankesbrief vom 2. März 1960 an den Dekan der Philosophischen Fakultät. Wegen langer Krankheit konnte sich die im Juni des Vorjahres mit der Ehrendoktorwürde Ausgezeichnete erst ein halbes Jahr später melden.
Bildquelle: Freie Universität Berlin, Universitätsarchiv, Philosophische Fakultät, Ehrenpromotion von Margarete Susman

Dabei handelt es sich zum einen um ein handschriftliches Dankesschreiben von Margarete Susman selbst und zum anderen um das auswärtige Gutachten von Martin Buber, das Ernst Simon – wie Buber Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem – mitgezeichnet hat.

Der Brief von Margarete Susman datiert vom 2. März 1960 und beginnt mit einer Entschuldigung, dass sie aufgrund einer schweren Erkrankung erst Monate nach der Verleihung im Sommer 1959 schreiben könne. Susman war die Ehrendoktorwürde wenige Monate vor ihrem 87. Geburtstag verliehen worden.

Ihren Dank an die Freie Universität formulierte Susman dann wie folgt: „Es war mir eine große Ehre, diese akademische Anerkennung noch so spät in meinem Leben zu empfangen, und mich damit doch irgendwie in das Land wieder aufgenommen zu fühlen, das meine erste Heimat war.“

Das Gutachten von Martin Buber und Ernst Simon, damals Professoren an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Das Gutachten von Martin Buber und Ernst Simon, damals Professoren an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Bildquelle: Freie Universität Berlin, Universitätsarchiv, Philosophische Fakultät, Ehrenpromotion von Margarete Susman

In ihrem Gutachten hatten Martin Buber und Ernst Simon die Schriften Susmans ausführlich gewürdigt, darunter ihre Studie über die Frauenfiguren der Deutschen Romantik, aber auch ihre philosophischen Arbeiten, die sie als Schülerin Georg Simmels auswiesen. Des Weiteren erinnert das Gutachten an ihre expressionistischen Schriften, ihre fünf Gedichtbände und sieben Prosawerke und an ihr journalistisches Engagement.

Die Würdigung der Schriften endet mit Susmans 1946 veröffentlichtem Buch „Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes“, ein Buch, so Buber und Simon, das eindrücklich Zeugnis ablege von Susmans Ringen um ein Nachdenken über die deutsch-jüdische Geschichte nach dem Holocaust: „Neben einem klaren 'Nein', das jeder Vertuschung grauenvollen und unvergesslichen Geschehens gilt, steht ein zartes, aber kräftiges 'Ja'“. An dieser Stelle zitieren Buber und Simon einen Satz aus Susmans Hiob-Buch, der ihrer Hoffnung auf ein erneutes Miteinander Ausdruck verleiht. Dann schließt das Gutachten wie folgt: „Wir möchten diesem Satze nur hinzufügen, dass die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Freien Universität an Margarete Susman diese Gesinnung bestätigen und besiegeln würde.“

Die Philosophische Fakultät hat sich dieser Einschätzung von Martin Buber und Ernst Simon nicht nur angeschlossen, der Urkundentext vom 3. Juni 1959 machte sie sich zu eigen, indem Susman als eine Intellektuelle gewürdigt wurde, „die […] über den von der Barbarei aufgerissenen Abgrund eine Brücke schlug […] und die über alle Einzelleistungen hinaus die Gestalt der geistig schöpferischen Frau für unsere Zeit vorbildhaft noch einmal verkörpert“. In seinem Nachruf bündelte Michael Landmann dies in dem Satz, mit Margarete Susman gehe „eine der letzten großen Repräsentantinnen des geistigen deutschen Judentums dahin“.

Dass Landmann, der nach seiner Emeritierung an der Freien Universität nach Israel übersiedelte, es durch sein Engagement für die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Margarete Susman der Freien Universität ermöglicht hat, nur 14 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs solch eine Figur der Geistesgeschichte auszuzeichnen, verdient seinerseits Anerkennung und Gedenken.