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Welche Beziehungen haben Nichtregierungsorganisationen und Schulen?

Die Bildungsforscherin Nina Kolleck von der Freien Universität wurde gemeinsam mit ihrer Kollegin Miri Yemini von der Universität Tel Aviv mit dem ARCHES-Preis ausgezeichnet

21.06.2019

Nina Kolleck ist Professorin am Lehrstuhl für Bildungsforschung und soziale Systeme an der Freien Universität.

Nina Kolleck ist Professorin am Lehrstuhl für Bildungsforschung und soziale Systeme an der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Förderprogramme, Stipendien, Beratung von Schulabbrechern beim Übergang in den Beruf – Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bestimmen mit, was an deutschen Schulen läuft. Doch welche Folgen hat die zunehmende Präsenz von Nichtregierungsakteuren im Bildungsbereich? Wie beeinflussen Bildungsstätten, NGOs und Stiftungen sich gegenseitig? Bieten diese Formen des privat-zivilgesellschaftlichen Engagements Lösungen für Probleme, die mit staatlichen Maßnahmen nicht zu leisten oder zu erreichen sind?

Diesen Fragen geht die Bildungsforscherin Nina Kolleck nach. Seit September 2014 ist sie Professorin für Bildungsforschung und soziale Systeme an der Freien Universität Berlin. Im Rahmen eines ausgezeichneten deutsch-israelischen Forschungsprojektes mit dem Titel „The Start of a Beautiful Friendship“ untersucht sie gemeinsam ihrer israelischen Kollegin Miri Yemini von der Universität Tel Aviv, wie sich Schulen und NGOs wechselseitig beeinflussen. Das gemeinsame Forschungsvorhaben wurde Anfang April mit dem „Award for Research Cooperation and Highest Excellence in Science“ ausgezeichnet. Der jährlich von der Max-Planck-Gesellschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung mit insgesamt 200.000 Euro dotierte Preis würdigt die Zusammenarbeit von israelischen und deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Ambivalentes Engagement?

„Die Aktivitäten von Stiftungen im deutschen Bildungssektor sind deutlich gestiegen, darunter große Namen wie Bosch, Vodafone oder Bertelsmann“, sagt die Bildungsforscherin. Einerseits brächten sie beträchtliche Geldsummen in die Bildungsarbeit ein und unterstützten nachhaltig über Stipendien oder Projektförderung. Andererseits mangele es dem Handeln dieser Akteure an Transparenz und demokratischer Legimitation. Wissenschaftliche Erkenntnisse über das Wirken und der Reichweite ihrer Einflussnahmen seien quasi nicht vorhanden.

Auch wenn NGOs, vor allem gemeinnützige Organisationen, einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft darstellten und viele positive Impulse setzten: Sie hätten eigene Interessen, die sie versuchten, durch subtile Einflussnahmen durchzusetzen. „Mit dem Einfluss auf die Meinungsbildung fängt man am besten zum frühestmöglichen Zeitpunkt, bei den ganz jungen Generationen an“, sagt Nina Kolleck. In Schulen könne es gelingen, unbemerkt und tief in die Gesellschaft hineinzuwirken und eigene Ideen weit zu verbreiten.

Besonders die mangelnde Transparenz des sogenannten Dritten Sektors sei bedenklich und mache unabhängige wissenschaftliche Studien auf diesem Gebiet dringend notwendig: „Organisationen, die den Status der Gemeinnützigkeit genießen, sind gegenüber der Öffentlichkeit und der Wissenschaft nicht verpflichtet, Auskunft darüber zugeben, wie sie organisiert sind, woher sie ihre Gelder beziehen und wofür sie diese einsetzen. Rechenschaft müssen sie nur dem gegenüber Finanzamt ablegen. Und diese Informationen unterliegen dem Steuergeheimnis“, erläutert Nina Kolleck.

Daten zum deutschen Stiftungswesen begrenzten sich größtenteils auf Erhebungen des Bundesverbands Deutscher Stiftungen – der Interessenvertretung der Deutschen Stiftungen selbst, die der Wissenschaft und der Öffentlichkeit bisher keinen Zugang zu ihren Datenbeständen gewährleisten würden. Und das, obwohl Deutschland nach den USA über das zweitgrößte Stiftungswesen weltweit verfüge.

In anderen Ländern seien gemeinnützige Organisationen einer viel stärkeren Regulierung unterworfen, merkt Nina Kolleck an. In den USA zum Beispiel müssten gemeinnützige Organisationen, die mehr als 50.000 Dollar einnehmen, die an das Finanzamt übermittelten Daten kostenfrei öffentlich zugänglich machen. In Frankreich können Spender Einsicht in die Verwendung der eingeworbenen Gelder nehmen, und in England wiederum werde der Dritte Sektor von der Charity Commission kontrolliert.

Dass NGOs und Stiftungen in der traditionell staatlichen Domäne der Bildungspolitik an Bedeutung gewonnen haben, liege unter anderem an Entwicklungen, die unter dem Stichwort der Deregulierung zusammengefasst werden. „Viele Stiftungen springen dort ein, wo der Staat sich aus Aufgaben des Gemeinwesens zurückzieht.“ Auch wenn die Politik nach wie vor der wichtigste Akteur in der Bildung ist, könnte die verstärkte Einflussnahme von Nichtregierungsakteuren zu weitreichenden Veränderungen in der Bildungslandschaft führen, die noch schwer abzuschätzen seien.

Ausgezeichnet für die Forschung

Nina Kolleck begeistert sich für ihren Beruf und dafür, in der Forschung Neues zu entdecken und in der Lehre fortwährend von Studierenden zu lernen. Der Weg zur Professur indes sei nicht einfach gewesen. „In meinem Umfeld wurde mir aufgrund meiner jungen Elternschaft häufig von einer Karriere in der Wissenschaft abgeraten. Bereits im jungen Alter Mutter zu werden – da sei der Zug schon abgefahren“, so wurde es ihr häufig prophezeit. Mangelnde Flexibilität, eine hohe Arbeitsbelastung, Auslanderfahrungen und die Erwartung, für die Karriere den Lebensort zu wechseln – für junge Mütter gebe es da kaum eine Chance, im harten Wettkampf zu bestehen. „Das hat mich verunsichert“, so Nina Kolleck.

Wegen der oft wenig familienfreundlichen Strukturen an deutschen Hochschulen habe sie zunächst eine Laufbahn außerhalb der Wissenschaft ins Auge gefasst. Parallel zur Promotion sammelte sie Berufserfahrungen in Politik und internationaler Zusammenarbeit: unter anderem im Deutschen Bundestag und bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (heute GIZ). „Erst als ich – trotz der Mehrbelastung durch Kinder – mein Studium und meine Promotion zügig abgeschlossen hatte, haben sich mein Selbstbild und meine Einstellung zur Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie geändert. Allerdings denke ich auch, dass die Situation bei weitem noch nicht optimal ist und sich gerade für Eltern in der Wissenschaft noch einiges verändern muss.“