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Erzählungen einer globalisierten Welt

Die Kommunikationswissenschaftlerin Radha Hegde aus New York lehrt im Sommersemester als internationale Gastprofessorin für Geschlechterforschung an der Freien Universität

05.06.2019

Radha Hedge lehrt und forscht in diesem Sommersemester als internationale Gastprofessorin für Geschlechterforschung am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität.

Radha Hedge lehrt und forscht in diesem Sommersemester als internationale Gastprofessorin für Geschlechterforschung am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität.
Bildquelle: Stefanie Hardick

Sie heißen „Indisches Essen rockt“ oder „Kollaboratives Curry“: Viele indische Foodblogs werden von Einwanderinnen aus Südasien betrieben, die fern der Heimat in den USA, Kanada oder den Vereinigten Arabischen Emiraten schreiben und fotografieren. Weit mehr als Kochanleitungen sieht die Kommunikationswissenschaftlerin Radha Hegde in den Rezepten für Chutney & Co. Foodblogs sind für sie ein Ausdruck der Vielschichtigkeit unserer globalisierten Welt – und dadurch beinahe unausweichlich ein höchst interessanter Forschungsgegenstand. Es gehe um Traditionen und um globalisierten Geschmack, erläutert Radha Hegde, um das Kochen als typische häusliche Tätigkeit, aber auch um Technologie. „Viele Bloggerinnen haben mir erzählt, wie sie sich Netzwerke erarbeiteten – und damit eine berufliche Zukunft.“

Radha Hegde ist Expertin für die Zusammenhänge von Gender, Medien und Migration, die sie auch in ihrem Buch „Mediating Migration“ untersucht. Im aktuellen Sommersemester lehrt und forscht die Professorin von der New York University als internationale Gastprofessorin für Geschlechterforschung am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität. Gemeinsam mit Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern will sie die Grundlagen legen für ein Projekt, das feministische Medienstudien, soziale Medien und Aktivismus verbindet.

Außerdem gibt sie in zwei Seminaren Bachelor- und Masterstudierenden eine Einführung in ihre Forschungsthemen. Im Kurs „Narrating Migration“ etwa untersuchen die Studierenden, wie Ein- und Auswanderung in verschiedenen Medien und Genres, in Romanen oder Blogs dargestellt werden. „Einerseits verändern sich diese Narrative gerade drastisch“, sagt Radha Hegde. „Andererseits werden sehr alte Motive wieder hervorgeholt, etwa das Bild der ‚Horde‘ oder der ‚Flut‘.“ Sie wolle analysieren, aus welchen Schichten solche Erzählungen bestehen, und sie historisch kontextualisieren. „Am Ende sollen die Studierenden in der Lage sein, ihr eigenes Narrativ der Migration zu entwickeln.“

Die Publizistik-Studierenden profitieren dabei von Radha Hegdes praktischer Erfahrung. Nach ihrem Studium der englischen Literatur arbeitete sie zunächst als Journalistin für eine große indische Tageszeitung, schrieb Features über viele Themen, zum Beispiel über die Rolle von Traditionen in der Musik oder über das Leben von Frauen im ländlichen Indien. „Irgendwann wollte ich mich dann allerdings tiefer in Themen einarbeiten können“, erinnert sie sich. Hegde ging in die USA und promovierte in den Kommunikationswissenschaften über indische Einwanderer und ihre Netzwerke. Bald jedoch merkte sie, dass ihr auch die Grenzen des eigenen Fachs zu eng waren. „Weil ich aus einem postkolonialen Land kam, empfand ich den Blick unserer Disziplin auf andere Kulturen als sehr begrenzt.“ Sie begann, postkoloniale und feministische Theorien anzuwenden. Heute sei ihre Forschung oft ethnografisch, sagt Radha Hegde. Für ihr aktuelles Buch, eine Untersuchung der veränderten Rolle des Englischen in Indien, führte sie hunderte Interviews.

Manchmal regen auch Zeitungsmeldungen ihre analytische Neugier an, sagt sie. Das Thema ihrer Antrittsvorlesung an der Freien Universität zum Beispiel, „Itinerant Data: Unveiling Gendered Scrutiny at the Border“ („Wandernde Daten. Geschlechtsspezifische Grenzkontrollen“), sei inspiriert von einem Vorfall an einem US-amerikanischen Flughafen. Eine Muslima sollte den Grenzbeamten ihr Smartphone zur Kontrolle geben. Sie weigerte sich, weil sie dort Fotos von sich selbst ohne Kopftuch speicherte, die Fremde nicht sehen sollten. Radha Hegde sagt: „Der Widerspruch dieser jungen Frau macht Grenzen sichtbar, an die wir uns schon fast gewöhnt haben: Wo wird das Private zum öffentlichen Interesse? Und wo sind Sicherheitstechnologien keineswegs neutral, sondern politisch?“

Nicht nur in diesem Fall sei die Perspektive von Gruppen, die in der Diskussion über die Globalisierung marginalisiert werden, für die Kommunikationswissenschaften sehr ergiebig. Die Forschungsobjekte gehen ihr jedenfalls so schnell nicht aus, sagt Radha Hegde: „Wissenschaftlerin zu sein bedeutet für mich: Immer wieder zu lernen, wie ich andere und kreativere Fragen stelle.“