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„Man muss zum Schreiben aus der Höhle kommen“

Am 27. Oktober wird die Schriftstellerin Terézia Mora mit dem Büchner-Preis geehrt – aus diesem Anlass ein Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig von der Freien Universität

23.10.2018

Büchner-Preisträgerin Terézia Mora

Büchner-Preisträgerin Terézia Mora
Bildquelle: Peter von Felbert

Der Büchner-Preis, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt alljährlich verleiht, ist der wichtigste Literaturpreis im deutschen Sprachraum; er ist mit 50000 Euro dotiert. In diesem Jahr geht er an Terézia Mora, die Preisverleihung findet am 27. Oktober im Staatstheater Darmstadt statt. Anne Fleig, Professorin für Deutsche Philologie an der Freien Universität, erläutert, wie die Autorin während des Schreibens die Sprache beobachtet.

Frau Professorin Fleig, woher kennen sie Terézia Mora, was verbindet Sie mit ihr?

Zunächst einmal bin ich begeisterte Leserin von Terézia Mora. Mit meinem Kollegen Jan Konst, Niederlandistikprofessor an der Freien Universität, habe ich sie 2015 in ein Seminar eingeladen, in dem es um Europa ging. In diesem Rahmen ist sie mehrfach zu Gast am Institut für Deutsche und niederländische Philologie gewesen, hat mit unseren Studierenden zusammengearbeitet und auch eine Lesung an der Freien Universität gegeben. Vor einem Jahr war sie bei einer internationalen Tagung, die ich im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Affective Societies veranstaltet habe. Dort hat sie freundlicherweise den Eröffnungsabend mit mir bestritten und die Tagung eröffnet: mit einer Lesung aus ihrem jüngsten Roman Das Ungeheuer, einem Gespräch über den Roman und ihre Salzburger Poetikvorlesung.

Als ich von Terézia Moras Auszeichnung erfahren habe, habe ich mich sehr gefreut. Sie ist eine hochverdiente Preisträgerin.

In der Begründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung heißt es, Terézia Mora widme sich den „Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche und trifft damit schmerzlich den Nerv unserer Zeit“. Das wiederum verbindet sie mit den Figuren Georg Büchners, die in existentielle Situationen geraten und denen absonderliche Dinge passieren. Spielt Georg Büchner, der Namenspate des Literaturpreises, für Terézia Moras Schreiben eine Rolle?

Ich habe darüber noch nicht mit ihr gesprochen, aber ich würde schon sagen, dass der Name des Preises gut passt, weil Büchner und Mora sich bei bestimmten Thematiken treffen: bei den Außenseiterfiguren und der gesellschaftlichen Kritik, die sich mit der Darstellung dieser Figuren verbindet. Oder auch in der Auseinandersetzung mit sensiblen psychologischen Fragen, die ja oft Teil der sogenannten gesellschaftlichen Randexistenzen sind. Sie treffen sich darüber hinaus bei einer Form von Komik, die ins Traurig-Tragische kippt.

Terézia Mora ist in einem kleinen Dorf an der ungarisch-österreichischen Grenze aufgewachsen. In der Familie wurde Deutsch gesprochen, im Umfeld Ungarisch. Hat diese mehrsprachige und von mehreren Kulturen geprägte Sozialisation ihre literarische Sprache besonders geprägt?

Sicherlich spielt das eine wichtige Rolle. Terézia Mora ist 19-jährig gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Berlin gekommen und hat hier angefangen, auf Deutsch zu schreiben, in der Sprache ihrer Familie. Aber tatsächlich ist für ihr Schreiben wichtig, dass sie zweisprachig ist und zweisprachig aufgewachsen ist, weil sie das Deutsche und das Ungarische miteinander in Beziehung setzen und ineinander spiegeln kann. Dadurch ist sie in der Lage, Sprache ganz grundsätzlich auf besondere Weise zu beobachten.

In ihrer Salzburger Poetikvorlesung mit dem Titel „Der geheime Text“ hat sie darüber Auskunft gegeben, wie sich Ungarisches in ihr Werk mischt – auch wenn Sie und ich das gar nicht wahrnehmen. Zum Beispiel ungarische Redewendungen, die sich in ihre deutschen Texte „mogeln“, oder bekannte Zitate aus der ungarischen Literatur, die man hierzulande nicht kennt; ein bestimmter Doppelsinn, mit dem sie beim Schreiben spielt, der einen gewissen Abstand zur Sprache und einen reflexiven Umgang mit der deutschen Sprache ermöglicht. Aus gutem Grund wird stets die Spracharbeit im Werk von Terézia Mora besonders hervorgehoben. Das ist auch bei der Begründung des Büchner-Preises so.

Terézia Mora hat einmal gesagt, ihr Ziel sei, dass nach ihren ersten Roman niemand mehr fragt, wer ihn geschrieben habe: ob jemand mit einem deutschen Pass oder ohne. Ist ihr das, drei Romane später, gelungen?

Ja, das ist ihr gelungen. Der Büchner-Preis, der wichtigste deutsche Literaturpreis, bezeugt das. Terézia Mora will nicht auf das Label der „zweisprachigen Autorin“ oder auf ihre ungarische Herkunft reduziert werden. Ihr ist wichtig, als deutschsprachige Autorin und mit ihrem Werk als Teil der deutschsprachigen Literatur wahrgenommen zu werden. Eine Literatur die vielleicht immer schon vielsprachiger war, als das gemeinhin wahrgenommen wird.

Gleichzeitig hat sie im Laufe ihres Schreibens stärker als zu Beginn zugelassen, dass solche Fragen, wie wir sie jetzt auch besprechen, gestellt werden. So hat sie in ihrer Salzburger Poetikvorlesung explizit Auskunft zu ihrer Mehrsprachigkeit gegeben.

In ihrer Frankfurter Poetikvorlesung 2014 hat sie außerdem erzählt, dass sie sich von alltäglichen Erlebnissen inspirieren lässt – etwa von einem Kinobesuch mit ihrer kleinen Tochter, bei dem sie einen Animationsfilm mit Steinzeitmenschen sah – um danach das Bild der Höhle zu nutzen: „Man muss zum Schreiben aus der Höhle kommen”, sagte sie in der Vorlesung. Heißt das, dass die Autorin, nicht nur Spracharbeit betreibt, sondern auch hinausgeht in die Welt?

Das ist vollkommen richtig. Sprache und Welt lassen sich aber eben gar nicht voneinander trennen. Die Sprache selbst enthält ja Welt, in der sich Terézia Mora als Autorin Irritationen und vielleicht sogar Bedrohungen ausgesetzt sieht, derer sie sich erwehren muss, die andererseits aber auch Antriebskräfte ihres Schreibens werden. Und sicher spielt auch ihr Erfahrungsfundus eine Rolle, etwa die schwierige dörfliche Situation während ihrer Kindheit in Ungarn, Erfahrungen mit Gewalt, mit einer unüberwindlichen Grenze und die Auseinandersetzung mit Diktatur grundsätzlich.

Als Terézia Mora 2013 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, nannte die Jury „Das Ungeheuer“ – das ist Teil zwei einer Trilogie um einen IT-Spezialisten – einen „zeitdiagnostischen Roman“…

… Terézia Moras Texte haben auf jeden Fall eine solche zeitdiagnostische Qualität. Sie ist eine Autorin, die sich äußerst genau mit der unmittelbaren Gegenwart auseinandersetzt. Wenn man ihre Romane anschaut, sieht man, wie sie mit ihrem Schreiben die neunziger Jahre bis in die Zeit nach der Jahrtausendwende geradezu seismografisch mitvollzieht. Da kann man viel über die heutige Zeit erfahren – und das in einer bemerkenswert klaren und zugleich sensiblen Sprache.

Welche der beiden Hauptfiguren aus „Das Ungeheuer“ repräsentiert unsere Zeit besser: der angepasste IT-Experte Darius Kopp oder dessen schwer depressive Ehefrau Flora? Weshalb sind Terézia Moras Texte so aktuell?

Die beiden Figuren, Darius und Flora, ergeben zusammen ein Bild unserer Zeit. Wir erfahren zum Beispiel, wie schwer das Zusammenleben überhaupt ist, wie schwierig Verständigung und wie sehr jeder einzelne von seiner eigenen Geschichte geprägt ist.

Interessant ist die formale Gestaltung von Das Ungeheuer: Die Buchseite ist in der Mitte geteilt: Oberhalb der Linie nimmt die Erzählung von Darius Reise ihren Lauf, darunter – in der Unterwelt – spricht die tote Flora durch ihre Tagebücher. Wie wirkt sich das Layout auf das Leseerlebnis aus? Welchen Teil liest man zuerst, den oberen oder den unteren? Wie lässt sich Ordnung in den Lesefluss bringen?

Ja, das ist tatsächlich eine Herausforderung, das Buch ist auf eine ganz praktische Art schwer zu lesen. Im Prinzip wird durch eine Nummerierung der Teile angedeutet, welche Reihenfolge die „richtige“ ist, was auch dazu führt, dass man hin- und herblättern muss. Aber weil man so daran gewöhnt ist, eine Seite von oben nach unten zu lesen, ist man jedes Mal, wenn man auf den schwarzen Strich stößt, der die Seiten halbiert, aufs Neue irritiert. Jedes Mal stellt sich wieder die Frage: Springe ich jetzt unter den Strich zu Flora oder folge ich Darius auf die nächste Seite? Durch das Layout wird die Fremdheit unter den Figuren verdoppelt und hervorgehoben.

Die Fragen stellte Sören Maahs