Wer regiert im Netz?
Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität, lotet die Regelsetzung im Netz aus
19.05.2017
Freier Zugriff auf Informationen, keine Meinungszensur und die Möglichkeit, über Ländergrenzen hinweg zu kommunizieren und gemeinsam Ideen zu entwickeln, um Fortschritt und Wohlstand zu fördern – deshalb wurde das World Wide Web 2009 für den Friedensnobelpreis nominiert. Acht Jahre später beherrschen Fake News, Filterblasen, Hassbeiträge oder Datenmissbrauch die Diskussionen über „das Netz“. Welche Regeln im virtuellen Raum gelten und wer diese festlegen sollte, dazu forscht Jeanette Hofmann seit knapp zwei Jahrzehnten am Wissenschaftszentrum zu Berlin. Das Zusammenspiel von Gesellschaft, Politik und Internettechnologie ist auch Thema eines Seminars der Netzpionierin und neuberufenen Professorin am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität.
Soll Facebook verpflichtet werden, Hasskommentare und Gewaltvideos zu löschen? Dürfen Regierungen entscheiden, welche Inhalte im Netz gezeigt werden? Internetnutzer, Politiker, Wirtschaftsunternehmen und deren Juristen rund um den Globus verhandeln darüber, welche Regeln im Netz gelten sollten und wer ihre Umsetzung überprüft. „Wie die Politik mit den Errungenschaften und Problemen des Internets umgeht, ist weitestgehend ungeklärt“, sagt Jeanette Hofmann. Ob das Netz als Querschnittsthema alle Politikfelder streife oder als eigenes Politikfeld wahrgenommen und entsprechend eingerichtet werde, sei noch unklar. „Das liegt auch an der grundsätzlich dezentralen und nicht-hierarchischen Struktur des Internets, das keine Ländergrenzen kennt“, sagt die Wissenschaftlerin.
Lange bestimmten technische Möglichkeiten die Regeln des Internets
Als Jeanette Hofmann Mitte der 1990er Jahre begann, die soziopolitische Entwicklung des Internets wissenschaftlich zu untersuchen, brummten erst in vergleichsweise wenigen deutschen Haushalten die Router. Das Regelwerk für die Funktionsweise des Netzes war damals vor allem technischer Natur. „Ich habe das Internet als sehr offenes Medium kennengelernt, das im Vergleich zum staatlich gestalteten Telefonnetz sehr wenig Regeln kannte“, sagt Hofmann. Mit der Zahl der Internetnutzer wuchsen über die Jahre die unterschiedlichen Interessen an der Netzgestaltung.
2003 organisierten die Vereinten Nationen in Genf erstmals einen „Weltgipfel zum Thema der Informationsgesellschaft“. Nahezu ergebnislos verhandelten Dutzende Staatschefs über eine „Internet-Regierung“. Als Vertreterin der Zivilgesellschaft in der Deutschen Regierungsdelegation reiste Jeanette Hofmann kurz darauf zu einem zweiten Weltgipfel nach Tunis, wo sich die Verhandlungsparteien dieses Mal annäherten. „In Tunis wurde unter anderem die Einrichtung des transnationalen Internet Governance Forums beschlossen, das gleichermaßen von Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft getragen wird. Solche sogenannten Multi-Stakeholder-Prozesse spielen in der internationalen Politik eine zunehmend wichtige Rolle.“
Dem Thema „Big Data“, der massenhaften Sammlung von digitalen Daten, widmet Jeanette Hofmann nun ihr erstes Seminar am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität. Das umstrittene Sammeln und die Aufbereitung von Nutzer-Daten ist in verschiedenen Bereichen gewollt: Beim Sport, wenn die Smart-Watch jeden Schritt aufzeichnet und Trainingserfolge dokumentiert, etwa. Aber auch bei der Fahndung nach Terroristen, über deren Flug- und Fluchtrouten Profile erstellt werden können. In ihrem Seminar wird es der Politikwissenschaftlerin deshalb auch um die Regelsetzung für „Big Data “ gehen.
Regeln für Facebook und Co.
Denn beim Datentransfer haben Unternehmen wie Facebook oder Google mit ihren Geschäftsbedingungen trotz nationaler und europäischer Regelungen große Gestaltungsspielräume. Das sei ein Problem, sagt Hofmann: „Im Internet hat sich ein problematisches Geschäftsmodell etabliert. Ich halte es für sehr bedenklich, dass detaillierte Informationen über das Alltagsleben ganzer Generationen gesammelt werden. Das widerspricht nach meiner Meinung unseren demokratischen Grundsätzen und läuft letztlich auf ein totalitäres System hinaus. In jedem Fall widerspricht es dem Prinzip der informellen Selbstbestimmung.“ Schließlich habe in Deutschland jeder das Recht, über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten selbst zu entscheiden.
Zwar sei den deutschen Internetnutzern grundsätzlich bewusst, dass ihre Daten als „Währung“ genutzt würden: etwa für den nur vermeintlich kostenfreien Service von Suchmaschinen oder Sozialen Medien. Damit Alternativen zum „Datenkapitalismus“ geschafft werden könnten, müsse aber der Druck der Gesellschaft auf Politik und Unternehmen wachsen, sagt Jeanette Hofmann.
Davon, das Netz grundsätzlich zu verteufeln, wie manche Kritiker es tun, ist Jeanette Hofmann weit entfernt. Ihren Studentinnen und Studenten möchte sie in ihrem Seminar aber demonstrieren, dass niemand dem Internet und neuen Technologien ausgeliefert ist. „Wir schreiben der Technik große Autonomie und Wirkungsmacht zu, die Gesellschaft hingegen soll sich immer lernbereit und flexibel zeigen“, stellt die Wissenschaftlerin fest. „Damit überschätzen wir die Technik. Wir sollten nicht vergessen, dass wir das Internet mitgestalten können.“
Weitere Informationen
Das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ist für die Freie Universität mit mehreren Mitgliedern an der Antragstellung für ein künftiges Deutsches Internet Institut beteiligt, das im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Auf der Projektwebsite können sich Interessierte über den Antrag des vom Wissenschaftszentrum zu Berlin (WZB) koordinierten Verbunds aus der Region Berlin-Brandenburg informieren. Neben dem WZB sind die vier Berliner Universitäten – Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste Berlin und Technische Universität Berlin – sowie die Universität Potsdam und das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) am Konsortium der Antragsteller beteiligt.
Das Institut soll die Wirkungen und Konsequenzen der Digitalisierung in unterschiedlichen Lebensbereichen erforschen und die Erkenntnisse für die Gesellschaft nutzbar machen. Die Entscheidung des BMBF, welcher Verbund den Zuschlag bekommt, wird am Dienstag, 23. Mai 2017, bekanntgegeben. Der Bund wird das Institut in den ersten fünf Jahren mit bis zu 50 Millionen Euro fördern.