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Strategien für mehr Chancengleichheit

Gedenkkolloquium für die im vergangenen Jahr verstorbene Wirtschaftswissenschaftlerin Professorin Gertraude Krell

11.05.2017

Gertraude Krell war von 1991 bis 2007 Professorin für Betriebswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin.

Gertraude Krell war von 1991 bis 2007 Professorin für Betriebswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Privat

Sie galt in der Betriebswirtschaftslehre als Pionierin bei den Themen Gender und Diversity und setzte sich für eine moderne Personalpolitik in Unternehmen ein: Zum Gedenken an die im vergangenen Jahr verstorbene Wirtschaftswissenschaftlerin Gertraude Krell fand anlässlich ihres 65. Geburtstages an der Freien Universität ein Kolloquium statt. Die Professorin für Betriebswirtschaftslehre wurde unter anderem als Autorin des Buches „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ bekannt, das mittlerweile als Standardwerk der praktischen Anwendung von chancengerechter Personalpolitik gilt. Gertraude Krell hatte sich als Wissenschaftlerin immer auch dafür eingesetzt, theoretische Erkenntnisse in der Praxis anzuwenden.

Im Rahmen des Kolloquiums – gemeinsam veranstaltet vom Margherita-von-Brentano-Zentrum und vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin – stellten Expertinnen und Experten aus Forschung und Praxis die Anfänge der Geschlechterforschung in der Betriebswirtschaftslehre dar und zeigten die sukzessive Anwendung gewonnener Erkenntnisse in der betrieblichen Praxis auf. Sie präsentierten dabei ausgewählte Beispiele aus Organisationen.

„Zur Zukunft von Gender und Diversity: Dach oder Tarnkappe?“ hieß die anschließende von Karin Reichel vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) moderierte Podiumsdiskussion, bei der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kolloquiums kontrovers diskutierten. Die Überschrift verweist auf ein komplexes Verhältnis: Stehen Gender und Diversity in einem Konkurrenz- oder in einem Komplementärverhältnis im Sinne einer Doppelstrategie zueinander? Diese Frage warf Moderatorin Karin Reichel auf. Während in Frauen-Förderkonzepten die Chancengleichheit von Frau und Mann Ziel ist, soll mithilfe von Diversity-Strategien in der Regel die Gleichstellung aller gesellschaftlich benachteiligten Gruppen vorangebracht werden. Nach Meinung einiger Expertinnen, so Reichel, bestünde jedoch die Gefahr, dass die Kategorie Gender unter einem Dach „Diversity“ zum Verschwinden gebracht würde. Andere Expertinnen bevorzugen Diversity-Strategien, weil sie sie für akzeptierter halten als reine Frauenförderung.

Das Gedenkkolloquium hatten das Margherita-von-Brentano-Zentrum und der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft organisiert.

Das Gedenkkolloquium hatten das Margherita-von-Brentano-Zentrum und der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft organisiert.
Bildquelle: Nora Lessing

Das Programm umfasste Fachbeiträge und eine Podiumsdiskussion zu Gertraude Krells Forschungsschwerpunkt „Gender und Diversity“.

Das Programm umfasste Fachbeiträge und eine Podiumsdiskussion zu Gertraude Krells Forschungsschwerpunkt „Gender und Diversity“.
Bildquelle: Nora Lessing

Wirtschaftswissenschaftler Michael Domsch von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg sah das Verhältnis von Gender und Diversity als wenig kontrovers, da sich Diversity als „Dachmarke“ begreifen lasse, unter der alle Benachteiligungsfaktoren – etwa Hautfarbe, Ethnizität und Geschlecht – subsumiert würden. Die zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität, Mechthild Koreuber, hingegen sagte: „Ich tue mich generell schwer mit dem Begriff Diversity-Management, denn er verwässert die Diskriminierungsproblematik.“ In dem Moment, in dem Diversity unspezifisch Vielfalt hochhalte, verliere sich jegliches kritisches Potenzial, sagte Koreuber – ein Punkt, auf den auch Gertraude Krell hingewiesen hat. Es ginge immer auch um Ressourcenverteilung, dennoch wolle sie Gender und Diversity nicht in Konkurrenz zueinander sehen.

Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) reagierte auf die These von Domsch, den Befürwortern der Gleichstellung der Geschlechter mangele es bislang an einer guten „Marketingstrategie“. Das Thema müsse die Emotionen der Menschen anzusprechen, was sich mit rein sachlicher Darstellung nicht bewerkstelligen lasse. Holst hielt dagegen, das Genderthema sei eine „knallharte Machtfrage“, bei der es gelte, Fakten mit hoher Sachlichkeit zu präsentieren und Forderungen daraus abzuleiten. Forschungsergebnisse fänden eben deshalb nur sehr langsam Eingang in den öffentlichen Diskurs, und Menschen weigerten sich, Tatsachen anzuerkennen, gerade weil die gesellschaftliche Debatte „hochemotional aufgeladen“ sei, betonte Holst.

Friederike Maier von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) bezeichnete sich selbst als „gnadenlos pragmatisch“ und forderte dazu auf, gelebte Diversität genau zu untersuchen und in Hinblick auf Gender und Diversity „nicht nur über Führungsebenen“ zu reden. Es sei notwendig, über Macht und Machtverluste zu sprechen und im öffentlichen Diskurs zu zeigen, warum Geschlechtergerechtigkeit ein Gewinn für alle sei.

Heike Pantelmann (l.), Wiss. Koordinatorin Gender und Diversity in der Lehre am Margherita-von-Brentano-Zentrum, und Barbara Sieben, Professorin für Personalwesen, insb. Personalmanagement an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Heike Pantelmann (l.), Wiss. Koordinatorin Gender und Diversity in der Lehre am Margherita-von-Brentano-Zentrum, und Barbara Sieben, Professorin für Personalwesen, insb. Personalmanagement an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Bildquelle: Nora Lessing

Im weiteren Verlauf der Debatte machte sich Elke Holst für eine Doppelstrategie stark und warnte davor, Gender unter dem Dach von Diversity einzuordnen. Häufig geriete das Thema Geschlecht dann in den Hintergrund. Mechthild Koreuber ergänzte, dass es sich bei der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit um ein Querschnittsthema handele und man immer wieder betonen müsse, dass die Diskussion über die Benachteiligung von Frauen keinesfalls abgeschlossen sei.

Politikberater und Diversity-Trainer Andreas Merx gab zu bedenken, dass die soziale Herkunft immer noch der wichtigste Faktor in Hinblick auf beruflichen Erfolg und Misserfolg sei. Wenn man Gender als separates Thema setze, schaffe man unweigerlich Konkurrenz. Zudem dürfe man intersektionale Aspekte nicht vernachlässigen – Geschlecht und andere Benachteiligungsfaktoren seien immer miteinander verwoben und könnten deshalb nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. „Die am meisten diskriminierte Person auf dem Arbeitsmarkt ist derzeit die junge Frau mit Kopftuch und einem türkisch oder arabisch klingenden Namen.“ Diversity verstehe er nicht als Kategorie, die Gender gleichsam „in einem allgemeinen Brei“ auflöse, vielmehr dominiere Gender alle Bereiche innerhalb des Diversity-Managements und sei auch gesetzlich als Schwerpunkt verankert.

Abschließend fragte Moderatorin Reichel nach Strategien, wie Gender und Diversity zukunftsfähig verbunden und in die Praxis von Organisationen vermittelt werden können. Während für Merx im Vordergrund stand, intersektionale Bündnisse zu stärken und die Themen „veränderter Arbeitsmarkt“ und „soziale Gerechtigkeit“ stärker hervorzuheben, erklärte Domsch, dass die Diskussion häufig auf Führungsebene beschränkt bleibe und sich dabei an klassischen Arbeitsverhältnissen und Aufstiegsstrukturen orientiere, was aber heute zu kurz gegriffen sei. Hier gelte es, sich mit den veränderten Bedingungen auseinanderzusetzen. Koreuber plädierte für ein Zusammenspiel von Gender- und Diversity-Strategien. Auch sei es in Zukunft nötig, zum Thema Antidiskriminierung zu arbeiten. In ihrem Schlusswort sagte Moderatorin Reichel, dass die kontroversen Meinungen auf dem Podium als Indiz dafür gelten könnten, dass das Verhältnis von Gender und Diversity nach wie vor ein spannungsreiches sei und weiter ein wichtiges Thema bleibe.

Es sind diese Themen, denen Gertraude Krell ihre wissenschaftliche Tätigkeit gewidmet hat und die sie als eine der ersten in die Betriebswirtschaftslehre einbrachte. Die Arbeit der Pionierin setzen engagierte Menschen in Wissenschaft und Praxis fort.

Weitere Informationen

Gertraude Krell (1952–2016) studierte in den 1970er-Jahren Soziologie sowie Volks- und Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin. Im Anschluss war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Oldenburg tätig, wo sie ihre Promotion und Habilitation vorlegte. Von 1991 bis 2007 war Gertraude Krell Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit einem Schwerpunkt auf Personalpolitik an der Freien Universität. Sie brachte früh als eine der ersten das Thema Gender und Diversity auf die Agenda der Betriebswirtschaftslehre. Für Gertraude Krell war es ein Anliegen, wissenschaftliche Erkenntnisse auch für die Praxis nutzbar zu machen. Sie erhielt 2003 den Margherita-von-Brentano-Preis für ihre wissenschaftlichen Leistungen, ihre Arbeiten in der Frauen- und Geschlechterforschung sowie die abgeleiteten handlungsorientierten Ergebnisse.