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Multikulturalität als antike Lebensrealität

Die Arabistin Isabel Toral-Niehoff von der Freien Universität wird am 9. März mit dem Buchpreis des Iran ausgezeichnet

08.03.2017

Die Arabistin PD Dr. Isabel Toral-Niehoff

Die Arabistin PD Dr. Isabel Toral-Niehoff
Bildquelle: © MI Fotografie Göttingen

In der Spätantike war die Stadt Al-Ḥīra im heutigen Irak ein wichtiges Handelszentrum und zugleich ein Ort, an dem verschiedene Sprachen, kulturelle Gepflogenheiten und Religionen aufeinandertrafen. Wie genau das Zusammenleben in der antiken Stadt zwischen dem dritten und siebten Jahrhundert n. Chr. ausgesehen hat, hat die promovierte und in Berlin habilitierte Historikerin und Arabistin Isabel Toral-Niehoff in ihrem Buch „Al-Ḥīra. Eine arabische Kulturmetropole im spätantiken Kontext“ untersucht. Campus.leben sprach mit der Wissenschaftlerin über die Auszeichnung, über ihr Buch und darüber, was sich aus der Vergangenheit lernen lässt.

Frau Toral-Niehoff, in Ihrer Arbeit haben Sie sich auf die Spätantike spezialisiert, also auf den Übergang von der Antike zum Frühmittelalter im Mittelmeerraum. Was ist so spannend an dieser Zeit im Allgemeinen und der Stadt Al-Ḥīra im Speziellen?

In der Spätantike sind viele Dinge entstanden, die noch heute prägend für unsere modernen Gesellschaften sind. In diese Zeitspanne fällt etwa die Entstehung der großen Monotheismen: des Christentums, des Islams und im gewissen Sinne auch des Judentums. Zugleich finden hier Theologie und Philosophie zueinander, komplexe Gesetzessysteme bilden sich aus, und es entstehen und konsolidieren sich große politische Gebilde wie Byzanz und das frühe islamische Kalifat.

Es ist eine sehr dynamische Zeit, in der auch neue Schriftsprachen wie das Arabische aufkommen, das Papier im Orient eine erste Medienrevolution auslöst und sich alle möglichen Kulturtechniken und Technologien verbreiten. Nun ist eine wichtige Fragestellung in meinem Forschungsfeld, wie der Islam als Religion und Gesellschaftsform entstanden ist und wie er mit dem Christentum und letztendlich auch mit der europäischen Kultur zusammenhängt. Antike Städte wie Al-Ḥīra – in der Nähe des heutigen Kufa gelegen – sind in diesem Kontext sehr spannend: Hier trafen zur Zeit der Entstehung der monotheistischen Religionen Menschen mit ganz unterschiedlichen Identitäten aufeinander. Das gilt für Al-Ḥīra ganz besonders, da die Stadt in einem Grenzraum zwischen Rom, Byzanz und dem Iran am Euphrat lag. Lange Zeit ist allerdings kaum dazu geforscht worden, die letzte große Veröffentlichung zu Al-Ḥīra stammte aus dem Jahr 1898.

Was war ihr zentrales Anliegen und welche Schwierigkeiten stellen sich ein, wenn man über etwas schreibt, das so weit zurück liegt?

Sehr interessiert haben mich in Hinblick auf das Zusammenleben in Al-Ḥīra unter anderem die Themen Identität, Vielsprachigkeit und Multikulturalität. Wie sich so etwas ausformt und sogar stabilisierend wirken kann, ist bis heute Dauerthema im Nahen Osten, aber auch in Europa und der westlichen Welt.

Ich wollte ein möglichst umfassendes und ausgewogenes Bild der damaligen Verhältnisse zeichnen und herausfinden, wie es kommt, dass ein Ort, der auf den ersten Blick ziemlich entlegen wirkt, dennoch Kontakt in die ganze Welt hatte. Schwierig dabei ist, dass man mit sehr unterschiedlichen Quellen arbeiten muss – etwa mit Tonscherben, archäologischen Berichten und Schriftstücken in unterschiedlichen Sprachen. Jede Quelle für sich genommen ist irgendwo einseitig. Man muss also möglichst viele Quellen zusammen betrachten und miteinander vergleichen. Leider konnte ich aufgrund des Irakkrieges die Region nicht selbst bereisen und war auf zum Teil sehr widersprüchliche Berichte und Quellen angewiesen. Ein konsistentes Bild zu schaffen, war auch insofern eine große Herausforderung.

Ausgezeichnetes Werk

Das mit dem iranischen Buchpreis ausgezeichnet Werk.

Das mit dem iranischen Buchpreis ausgezeichnet Werk.
Bildquelle: Isabel Toral-Niehoff

Das Buch ist 2014 erschienen. Wie fielen die Reaktionen damals aus?

Sehr positiv. Womit ich vorab nicht gerechnet hätte, war, dass das Buch so stark in Hinblick auf seine politischen Implikationen gelesen werden würde. Meine Untersuchung zeigt nämlich unter anderem, dass in Al-Ḥīra Menschen mit ganz unterschiedlichen Identitäten – teilweise in einer Person vereint – miteinander gelebt haben. Und dass das gut funktioniert hat: Menschen, die dreisprachig aufgewachsen, christlich und oder heidnisch geprägt waren zum Beispiel. Daran kann man sehen, dass der klassische Islam, der sich kurz darauf in dieser Region ausgebildet hat – das spätere Bagdad ist nicht weit – über sehr multikulturelle Wurzeln verfügt. Man kann aber auch praktische Schlüsse in Hinblick auf Multikulturalität heute ziehen, wie das viele Leser getan haben. Es fasziniert und freut mich, dass man mit etwas so Altem Menschen in der Jetztzeit bewegen kann.

Sie haben zehn Jahre lang an dem Buch gearbeitet. Nun wird Ihre Arbeit mit dem Jahresbuchpreis des Iran für den deutschsprachigen Raum gewürdigt. Hatten Sie mit der Auszeichnung gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Als die Nachricht kam, musste ich mich erstmal hinsetzen und die E-Mail dreimal lesen, bis ich überzeugt war, dass es sich nicht um einen Scherz handelte. Der Buchpreis des Iran ist ein sehr wichtiger und prestigeträchtiger Preis in meinem Fachgebiet. Insofern ist das eine wunderschöne Anerkennung. Zudem freue ich mich sehr, dass mein Buch im Nahen Osten so viel Resonanz erfährt und so breit rezipiert wird.

Die Fragen stellte Nora Lessing

Weitere Informationen

Feierliche Preisverleihung des Jahresbuchpreises des Iran für den deutschsprachigen Raum 2016

Zeit und Ort

  • Donnerstag, 9. März 2017, 15.30 – 17.30 Uhr
  • Freie Universität Berlin, Henry Ford Bau, Hörsaal D, Garystraße 35, 14195 Berlin (U-Bhf. Freie Universität, U 3)

Der Eintritt ist frei.