„Sie sind ein Glücksfall für unser Institut”
Zwei junge Veterinärmediziner fliehen vor dem Krieg in Syrien und finden als Doktoranden am Institut für Veterinär-Anatomie ihren Platz
15.06.2016
„Es gibt noch einige Städte in Syrien, die vermeintlich sicher sind. Die Stadt Hama gehört dazu“, sagt Salah Al Masri, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Veterinär-Anatomie. „Aber schon vor den Toren der Stadt herrscht Krieg.“ Acht Jahre ist es her, dass der promovierte Veterinärmediziner Syrien verlassen hat, noch bevor Krieg und Terror das Land erschütterten. Zu seiner Studienstadt Hama hat Al Masri Kontakt gehalten – und zwei jungen Männern von dort eine Perspektive gegeben. Im Januar sind die syrischen Flüchtlinge Zaher Al. und George H. zu Al Masris Forschungsteam gestoßen: Die beiden Doktoranden promovieren am Institut für Veterinär-Anatomie der Freien Universität.
Ihre vollen Namen möchten die Geflüchteten in diesem Text nicht lesen. Weil sie ihr Studium in Syrien abgeschlossen haben, könnte das Regime sie jederzeit zum Militärdienst verpflichten, erklärt Al Masri, der bei dem Gespräch mit den jungen Männern als Übersetzer aushilft. „Der Militärdienst würde für sie bedeuten: Töten oder getötet werden“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter – und fragt: Wer würde sich da nicht auf die Flucht begeben?
Deutschkurse nach Feierabend
Ein wenig schüchtern und sehr überlegt beantworten die beiden Syrer Fragen zu ihrem früheren Leben und dem Neuanfang in Deutschland. Dafür, dass sie erst seit Kurzem hier sind, ist ihr Deutsch beeindruckend gut. Sie besuchen täglich, nach Feierabend, einen Sprachkurs. Sie bestehen darauf, das Gespräch auf Deutsch zu führen.
Der 30-jährige Zaher Al berichtet, wie er im Februar vergangenen Jahres in den Flieger von Syrien nach Algerien gestiegen ist, um sein Heimatland zu verlassen. Der Flug sei der einzige Teil seiner vierwöchigen Flucht gewesen, der legal war. Sein Weg führte von Algerien nach Marokko, dort setzte er in einem Schleuser-Boot nach Spanien über. In Deutschland angekommen, wurde Zaher Al in einer Notunterkunft in Nordrhein-Westfalen untergebracht.
Der 32-jährige George H., der über die sogenannte Balkanroute nach Deutschland gekommen ist, landete zunächst in einer Sammelunterkunft in Baden-Württemberg. Dass beide nun in Berlin leben, haben sie auch ihrer Promotionsstelle zu verdanken. Die Voraussetzungen dafür haben sich die jungen Männer hart erarbeitet, hinter ihrem Fleiß steckt auch psychologische Strategie: Da ihre jeweiligen Familien noch in Syrien leben, versuchen sie, sich mit Arbeit von Ängsten und Sorgen abzulenken.
„Es ist wichtig, auf etwas hinzuarbeiten“
George H. konnte schon im baden-württembergischen Weinheim, seiner ersten Station in Deutschland, nicht stillsitzen und abwarten. „Ich habe mir einen Praktikumsplatz in einer Kleintierklinik gesucht und dort gleich angefangen zu arbeiten“, erzählt er. Auch Zaher, der ein Praktikum in einer Pferdeklinik absolviert hat, tat dies der Ablenkung halber: „Es ist sehr wichtig, etwas zu tun zu haben und auf etwas hinzuarbeiten“, sagt er.
In drei Jahren möchten die beiden ihre Promotion abgeschlossen haben. In einem Verbundprojekt erforschen die syrischen Doktoranden Wege, um männliche Küken vor der maschinellen Tötung zu retten. Der Missstand ist schon lange bekannt: Etwa 50 Millionen männliche Küken werden jährlich gleich nach dem Schlüpfen getötet. Im Gegensatz zu den weiblichen Tieren sind sie für die Mast- und Legebetriebe uninteressant: Zu langsam setzen sie Muskelfleisch an; und Eier legen können sie erst gar nicht.
Forschen, um das Töten männlicher Küken zu beenden
„Das Thema ist politisch brisant“, sagt Al Masri. „Die Bundesländer verhandeln gerade über Wege, ob und in welcher Form das Töten männlicher Küken unterbunden werden kann.“ Kürzlich hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass das Töten männlicher Küken direkt nach dem Schlüpfen nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Unverständlich für Al Masri und seine Doktoranden, die in dem Forschungsverbund an einer Zweinutzungsrasse forschen. Zweinutzungsrasse heißt, dass die Hennen eine passable Zahl an Eiern legen und die Hähne ordentlich Fleisch ansetzen. Dann gäbe es keinen Grund mehr, die männlichen Küken zu töten.
Eigentlich, gesteht Zaher, hege er für Hühner keine besondere Leidenschaft. Seine Lieblingstiere laufen auf vier Beinen: „Später möchte ich in der Pferdeklinik arbeiten. Das wäre mein Traum“, sagt er. Beide Doktoranden möchten aber zunächst wissenschaftlich arbeiten. Salah Al Masri freut das. Neben seiner Arbeit am Institut für Veterinär-Anatomie ist er Erster Vorsitzender der gemeinnützigen „Union der syrischen Studenten und Akademiker“, die syrische Studenten beim Eintritt in das Universitätsleben unterstützt.
„Ich wusste, dass es viele Tierärzte in Syrien gibt“, sagt Al Masri. Als an seinem Institut neue Doktoranden gesucht wurden, veröffentlichte er das Stellengesuch auch auf Arabisch und Englisch. Zaher Al. und George H. waren qualifiziert – und bekamen die Jobs. Eine Entscheidung, die Al Masri nicht bereut: „Sie sind ein echter Glücksfall für unser Institut.“