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„Ich ziehe meinen Hut vor Dir“

Der Soziologe Siegward Lönnendonker feierte kürzlich seinen 75. Geburtstag / Medizinprofessor S. Karol Kubicki gratuliert

03.06.2014

Weggefährten: Dr. Siegward Lönnendonker (l.) und Prof. Dr. S. Karol Kubicki

Weggefährten: Dr. Siegward Lönnendonker (l.) und Prof. Dr. S. Karol Kubicki
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„48 trifft 68“ – unter diesem Motto stand ein Gesprächskreis, in dem Wissenschaftler und ehemalige Gründungsstudenten der Freien Universität über Jahrzehnte zu politischen Diskussionen zusammenkamen. Zu den Initiatoren dieses sogenannten Malteser-Kreises gehörten Siegward Lönnendonker und S. Karol Kubicki. Die langjährigen Weggefährten vereint, dass sie der Freien Universität seit ihren Anfängen verbunden sind, dass sie die Geschichte ihrer Alma mater nie losgelassen hat und dass sie trotz unterschiedlicher politischer Ansichten immer das Gespräch miteinander gesucht haben. Medizinprofessor S. Karol Kubicki, Jahrgang 1926, Matrikelnummer 1 der Freien Universität, gratuliert seinem Freund Siegward Lönnendonker zum 75. Geburtstag.

Lieber Siegward!

Ich gratuliere Dir sehr herzlich zu Deinem 75. Geburtstag. Nachdenkend, was ich Dir schreiben sollte, stelle ich zunächst einmal fest, daß wir über die Jahre hin – mit unserer gemeinsamen Arbeit an denselben Projekten – verlässliche Freunde geworden sind. Dem tut der Altersunterschied keinen Abbruch, der uns zwei sehr unterschiedlichen Erlebnisgenerationen zugewiesen hat. Ich habe die berüchtigten zwölf „großdeutschen“ Jahre direkt erlebt, Du hast sie reflektiert. Das sahst Du als Deine Pflicht an, was Dich ehrt, wie auch, daß Du gelernt hast, die Handlungsweisen der Vorgeneration aus ihrer Zeit heraus zu verstehen und im Einzelnen mitunter doch etwas milder zu beurteilen.

Wann und wie sind wir beide eigentlich zueinander gekommen? Ich weiß es noch genau, und doch wieder nicht so exakt, daß mir unsere ersten Treffen bildhaft in Erinnerung geblieben wären. Entschuldige also bitte, wenn ich etwas Falsches sage. Ich denke, wir begegneten uns erstmals 1994 in der Gesprächsrunde, die wir damals initiiert hatten: unter dem Schlagwort „48 trifft 68". Ihr – Du und Bernd Rabehl – suchtet das Gespräch, und Horst Hartwich – der langzeitliche und segensreiche Leiter des Außenamtes der Freien Universität und einer ihrer Gründungsstudenten – akzeptierte das Gespräch. Unter den alten 48ern, und aus langjähriger Freundschaft heraus rekrutierte er auch mich.

Unsere Gespräche fanden ursprünglich in Räumen der Humboldt-Universität statt, die wir 1948 – damals hieß sie „Universität Unter den Linden“ – einst verlassen hatten, um mit der dankbar erinnerten Hilfe der Amerikaner eine neue und freie Universität aus dem Boden zu stampfen. Uns ging es damals primär um die Freiheit des Geistes, der Forschung und der Lehre – Freiheit auch von der Politik. Doch wollten wir auch eine politische Alma mater, deren Mitglieder sich den politischen Ereignissen und Themen der Zeit wissenschaftlich stellen sollten. Die Studentenschaft hatte an der Gründung der Freien Universität einen überragenden Anteil und damit einen für damalige Universitäten ungewohnt großen Einfluss gewonnen. Ich denke, auch das zog euch an, vor allem Dich als Studenten und Assistenten. An unserer Alma mater wurde bewegenden studentischen Kräften Raum für die Verwirklichung neuer Ideen geboten. Und ihr wolltet ja über die Universität die Welt verändern.

Ich will keineswegs verschweigen, daß die 48er eure politischen Vorstellungen zuweilen mehr mit hochgezogenen Augenbrauen als mit Wohlwollen verfolgten. Das betraf eure politischen Vorstellungen, nicht euch persönlich, so wie ihr auch eure Vorbehalte nicht den 48er-Gesprächspartnern unterstelltet. Das war die entscheidende Voraussetzung für unsere fruchtbaren Debatten. Man schätzte sich sehr schnell gegenseitig und hörte einander wirklich aufmerksam zu. Wir strichen einen Teil unserer früheren Vorbehalte, und ihr auch.

Die Gespräche „48 trifft 68" zogen sich – bei wechselnden Teilnehmern – über die Jahre hin und entwickelten sich zu einem dauerhaften Gedankenaustausch. Die ursprünglichen Fronten zwischen uns wichen sehr bald der persönlichen Achtung. Als die Diskussionen in der Humboldt-Universität unmöglich wurden, organisiertest Du Räume der Freien Universität in der Lankwitzer Malteser Straße, um das Überleben des Kreises zu sichern. Später tagten wir dann bei unserer liebenswürdigen Gesprächspartnerin und Gastgeberin Frau Dr. Ursula Besser im Grunewald-Viertel. Unsere Themen hatten sich aktualisiert und betrafen nicht mehr nur den alten Kern „48 trifft 68“. Wir hatten längst zueinander gefunden.

1998 nahte dann das Datum des 50-jährigen Bestehens der Freien Universität, und Du fandest, daß es tunlich wäre, diese Jahre – vor allem die frühen – anhand der Aussagen damaliger und noch lebender Gründungsmitglieder zu dokumentieren. Die Einrichtung der Ringvorlesung „50 Jahre Freie Universität aus der Sicht von Zeitzeugen" geht letztlich auf Dich zurück, und Du übernahmst auch den entscheidenden Teil der Organisation. Zudem ist die Dokumentierung der Ringvorlesung in gedruckter Form Dein Werk. Die Alt-48er danken es Dir.

Und Du warst es auch, der drängte, noch einen wichtigen Schatz zu bergen, der für spätere Arbeiten über die Anfänge der Universität verloren gehen würde, wenn man ihn nicht höbe – zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zeitzeugen noch greifbar und ihre Erinnerungen präzise genug sind. Und wiederum verdanken wir es Deiner Initiative und Deiner aufopferungsvollen, zähen Arbeit, daß vieles dokumentiert – quasi „gerettet" – werden konnte, was sonst unwiederbringlich verloren gegangen wäre. Ich meine damit die bislang siebenbändige Reihe zur Geschichte der Freien Universität: „Schriften des Universitätsarchivs der Freien Universität". Wiederum lag bei Dir die wesentliche Organisation, die manchmal quälende Überzeugungsarbeit bei den Autoren, die Lektoratsarbeit und die Korrespondenz mit dem Verlag V&R unipress.

Was mich Dir freundschaftlich verbindet, ist, daß Du dies alles mit Passion und höchst möglicher Objektivität begleitetest. Du bist ohne jegliche, der wissenschaftlichen Qualität so abträgliche ideologische Verblendung, die 48ern den Kontakt mit vielen 68ern einst so schwer machte, an die langjährige Arbeit gegangen. Dennoch bist Du – ganz so, wie wir 48er es uns wünschten – nie ein unpolitischer Wissenschaftler gewesen.

Ich ziehe im Namen meiner alten Freunde meinen Hut vor Dir.
Bleibe uns noch lange erhalten,

dein Kombattant und Freund Karol Kubicki

Weitere Informationen

Dr. Siegward Lönnendonker (*1939), Soziologe und Experte für die Geschichte der Außerparlamentarischen Opposition

Von 1958 an studierte er zunächst Physik und Mathematik, ab 1963 dann Soziologie, Politologie und Psychologie an der Freien Universität Berlin. 1970 bis 1977 war er Assistent am dortigen Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung (ZI 6, ehemals Institut für politische Wissenschaft), von 1978 an dort wissenschaftlicher Angestellter sowie zugleich Gründer und Leiter des Archivs „APO und soziale Bewegungen", heute „APO-Archiv der Freien Universität". 1987 promovierte er mit einer Arbeit zur Geschichte der Freien Universität Berlin. Er war lange Zeit Mitglied des Kuratoriums der Hochschule.

Prof. Dr. Karol S. Kubicki (*1926), Professor für Klinische Neurophysiologie und Kunstwissenschaftler

Mitgründer der Freien Universität Berlin und deren „Matrikelnummer 1“. Nach der politisch motivierten Exmatrikulation von drei systemkritischen Studierenden an der damaligen Universität Unter den Linden forderte Kubicki gemeinsam mit zahlreichen Kommilitonen und Dozenten die Gründung einer freien Universität in den Westsektoren der Stadt. Mithilfe der amerikanischen Alliierten und unterstützt von Berliner Politikern wurde am 4. Dezember 1948 die Freie Universität Berlin gegründet. Kubicki gehörte dem Gründungs-AStA der Universität an. Nach Studium und Promotion wurde Stanislaw Karol Kubicki Professor für Neurologie. Der renommierte Schlafforscher leitete von 1974 bis 1991 die Abteilung für Klinische Neurophysiologie im Klinikum Charlottenburg der Freien Universität.