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Film als eine Art zu schreiben

Amerikanerin mit deutschen Wurzeln: Filmwissenschaftlerin Brigitta Wagner forscht als Alexander-von-Humboldt-Stipendiatin an der Freien Universität

17.01.2014

Die amerikanische Filmwissenschaftlerin Brigitta Wagner ist Alexander-von-Humboldt-Stipendiatin an der Freien Universität Berlin und der Universität der Künste.

Die amerikanische Filmwissenschaftlerin Brigitta Wagner ist Alexander-von-Humboldt-Stipendiatin an der Freien Universität Berlin und der Universität der Künste.
Bildquelle: Privat

Ihr Vater kommt ursprünglich aus Deutschland, aber das Interesse für deutsche Kultur erwachte bei Brigitta Wagner erst, als sie ihr Faible für den frühen deutschen Film entdeckte. Die Filmwissenschaftlerin, die einige Jahre als Assistant Professor of Germanic Studies an der Indiana University in Bloomington und als Visiting Professor of Film Studies am Programm NYU Berlin tätig war, wuchs in der Nähe von New York City auf. 2008 wurde sie an der Harvard University in Germanic Languages and Literatures and Film and Visual Studies promoviert. Nun ist sie als Alexander-von-Humboldt-Stipendiatin bis 2015 zu Gast in Berlin: bei Professorin Gertrud Koch vom Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität und bei Professor Joachim Sauter von der Universität der Künste.

Brigitta Wagner sitzt im Billy Wilder’s, einer Cocktailbar am Potsdamer Platz im Erdgeschoss der Deutschen Kinemathek, einem der größten deutschen Filmarchive: Für sie spiegelt der Potsdamer Platz vieles wider, was die Amerikanerin an Berlin so einmalig findet: „Hier treffen Geschichte und Erneuerung Berlins aufeinander. An der Stadt fasziniert mich, wie offen über die Vergangenheit, aber auch über die Zukunft gesprochen wird.“

Wagner hat das Ende des Kalten Kriegs selbst miterlebt, sie war als Kind vor dem Mauerfall in Berlin und auch danach: „In den USA hatte man ja keine Vorstellung davon, wie die Ereignisse damals in Deutschland erlebt wurden, das Einzige, was es dort gab, waren die Bilder im Fernsehen. Ich fand den Kontrast zwischen dem Leben in den USA und den häufigen Besuchen in Deutschland sehr interessant, weil ich das Gefühl hatte, den Mauerfall mitzuerleben, aber trotzdem distanziert zu bleiben.“

Den Geschichtsdialog zwischen den Generationen führen

Erinnerung und deren mediale Vermittlung sind Themen, die Brigitta Wagner auch wissenschaftlich intensiv beschäftigen. 2010 gründete sie das DEFA-Projekt an der Indiana University, in dessen Rahmen sie Filmprogrammierung als Kursmodell anbot: Das Projekt das sich mit den letzten Jahren der großen DDR-Filmstudios beschäftigt, bot Studierenden und Schülern aus dem Mittleren Westen die Chance, gemeinsam mit Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen und Profis aus der deutschen Filmbranche, filmhistorische Vorgänge aktiv nachzuvollziehen.

Für Brigitta Wagner ist ein derartiger Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis genauso wichtig wie der Geschichtsdialog zwischen den Generationen.

Mit einer halbfiktiven Biografie Geschichte erzählen

Vor einigen Jahren stieß die Filmwissenschaftlerin, die auch ein Berlin-Buch über Film, Geografie, und urbane Nostalgie schreibt, auf digitalisierte Adressbücher im Internet. Darüber kam sie zu der Frage, wie das digitale Archiv, die Datenflut in den Zeiten von Big Data, dazu beitragen, Ereignisse, Personen oder Orte davor zu bewahren, in Vergessenheit zu geraten.

„Im frühen 20. Jahrhundert handelten Biografien immer von bedeutsamen Männern. Mich beschäftigt nun die Frage, ob es möglich ist, die Biografie einer unbekannten Frau aus dieser Zeit zu schreiben, einer Frau, die – nach bisherigen Maßstäben – keine Geschichte hat, weil sie als nicht relevant gilt.“ Dazu plant Brigitta Wagner, Daten aus verschiedenen Quellen, beispielsweise den Adressbüchern, zusammenzutragen und zu einer halbfiktiven Lebenserzählung und Ortsgeschichte zu verdichten. Die Frage, die sich letztendlich stelle, sei: Wird es durch die größere Datenmenge und den erleichterten Zugriff heute einfacher, vermeintlich in Vergessenheit geratene Lebensläufe zu rekonstruieren?

Medienproduktion als Teil der akademischen Arbeit

Neue Medien sind für Brigitta Wagner allerdings nicht allein Gegenstand ihrer Forschung; sie sind integraler Bestandteil ihres Arbeitens. Die Filmwissenschaftlerin versucht, die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten, die neue Technologien und Medien bieten, besonders Video, in ihre Arbeit zu integrieren und damit die Medienproduktion als Teil der akademischen Arbeit zu betrachten.

So ist das Filmedrehen für Brigitta Wagner auch eine Art zu schreiben, die dem Verfassen von Texten in nichts nachsteht. Die Critical Media Practice, eine Praxis, die künstlerische Ansätze und traditionelle geistes- und sozialwissenschaftliche Ansätze verbindet und oft sogar ergänzen kann, bedeutet für Wagner, dass die komplette Arbeitswirklichkeit der Wissenschaftler überdacht werden müsse.

"Sprache ist nicht die einzige Möglichkeit zu kommunizieren"

Wagner bedauert, dass viele Geisteswissenschaftler gar nicht wüssten, welche Möglichkeiten ihr Computer berge: „Für viele ist er bloß ein Schreib- und Recherchegerät. Aber darauf darf man ihn nicht reduzieren.“ Gerade in den Filmwissenschaften habe es über Jahre den paradoxen Zustand gegeben, dass zwar über Film gesprochen wurde, der Film als Medium im Text aber nicht vorkam. „Heute können unsere Aufsätze Multimedia-Essays sein: Filmsequenzen, Ton und Bilder dürfen da für sich selbst stehen, weil wir davon überzeugt sind, dass Sprache nicht die einzige Möglichkeit ist zu kommunizieren.“

Es werde in den kommenden Jahren eine wichtige Aufgabe für die Geisteswissenschaften sein, eine Argumentationsform zu entwickeln, in der Bild und Sprache gleichberechtig sind: „Fern ist das nicht“, meint Brigitta Wagner. Im Alltag sei das längst der Fall, etwa bei Online-Artikeln, die auf Videos verlinkten. Durch die Verbindung verschiedener Medien als Kommunikationsmittel könnten Wissenschaftler mit ihrer Arbeit Zutritt zur öffentlichen Wahrnehmung finden.