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Toleranz, Tradition, Integration – und ihre Grenzen

Schirin Amir-Moazami ist Juniorprofessorin am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität

21.06.2010

Schirin Amir-Moazami ist Juniorprofessorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität

Schirin Amir-Moazami ist Juniorprofessorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität
Bildquelle: Armin Ritter

Das Minarett-Verbot in der Schweiz, der „Kopftuchstreit“, der koedukative Sportunterricht – kaum hatte Schirin Amir-Moazami ihr Büro am Institut für Islamwissenschaft an der Dahlemer Altensteinstraße bezogen, war sie begehrte Ansprechpartnerin für die Medien. Ihr Forschungsschwerpunkt „Islam in Europa“ gehört zu den zentralen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit.

„Muslime sind überwiegend als Gastarbeiter nach Europa gekommen und wurden als temporäre Gäste angesehen. Die zweite und dritte Generation in Deutschland heute fühlt sich dagegen zunehmend als Bürger und möchte auch so behandelt werden“, erklärt Professorin Schirin Amir-Moazami. Wie aber reagieren westliche Staaten auf diese Forderungen und wie versuchen sie möglicherweise, diese zu steuern? Hierbei interessiert sich Schirin Amir-Moazami vornehmlich für Macht im Sinne von Führungstechniken und – allgemeiner – für politische Philosophie. Integration ist insofern ein Begriff, den sie kritisch „dekonstruiert“: „Ich weiß nicht, wer integriert ist und wer nicht – und vor allem nicht: worin?“ Integration lasse sich schwerlich messen und sie zu „kulturalisieren“, sei problematisch. Nach Amir-Moazami geht es zunächst nicht darum, Integrationsstrategien zu entwerfen, sondern regulierende Mechanismen kritisch zu hinterfragen, die sich mit dem Integrationsdiskurs verbinden.

Ihr Tipp: Viel lesen!

Ihr derzeitiges Buchprojekt trägt den Titel  „Gouvernementalisierung von Geschlecht und Islam in Deutschland“. Untersuchungsschwerpunkte sind die Deutsche Islamkonferenz als „staatlich angeordneter Dialog“, Diskurse und rechtliche Maßnahmen gegen Zwangsehen und Staatsbürgerschaftstests. Diese würden nicht ganz zufällig „Muslim-Tests“ genannt und hätten zuletzt Kritik auch bei Verfassungsrechtlern ausgelöst. „Mich interessieren die Kriterien zur Überprüfung der Anpassungsfähigkeit von Muslimen. Wie wählt man die Test-Teilnehmer aus? Welche Logike liegt dem Konzept zugrunde?“ Schirin Amir-Moazami möchte ihren Studierenden die Kunst des kritischen Hinterfragens vermitteln. Die Lektüre von Philosophen wie Hans-Georg Gadamer und Michel Foucault legt sie ihnen dabei besonders nahe – und überhaupt: „viel lesen!“

Rückkehr an die Freie Universität

Das Interesse der gebürtigen Hessin an Religions- und Einwanderungsfragen wuchs während ihres Studiums der Soziologie und Politologie an der Freien Universität Berlin. Ein Auslandsjahr in Marseille schärfte ihren Blick. Dort sei die Trennung zwischen Zuwanderern und Einheimischen räumlich klar gezogen: „Es gibt eine Straße, die eine exakte  Trennungslinie zum ‚Ghetto’ bildet. Diese migrationspolitischen Aspekte und ihr Ursprung haben mich schon damals fasziniert.“

Neben Soziologie und Politikwissenschaft hat Schirin Amir-Moazami Arabistik an der Freien Universität studiert. Ihre Promotion über den „Kopftuchstreit in Deutschland und Frankreich“ schloss sie im Jahr 2004 am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz ab. Im vergangenen September ist sie als Juniorprofessorin an die Freie Universität zurückgekehrt.