Von papiernen Akten und Cyber-Betrügern
Ignacio Czeguhn ist neuberufener Professor für Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische sowie Vergleichende Rechtsgeschichte an der Freien Universität
17.03.2010
Wie wurden in der Vergangenheit Prozesse geführt? Wie hat sich unser heutiges Rechtssystem entwickelt? Um den Spuren der Rechtsgeschichte zu folgen, reicht es nicht, hinter dem Schreibtisch sitzenzubleiben. Ignacio Czeguhn, neuberufener Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte an der Freien Universität, erzählt von Kisten mit alten Urkunden und Akten, von Archiven und der Quellenarbeit vor Ort. Er forscht nicht nur zur Entwicklung von Gesetzen und Gerichtsbarkeit der vergangenen Jahrhunderte in Europa. Ein weiterer Schwerpunkt Czeguhns Arbeit ist das moderne Verbraucherprivatrecht, das beispielsweise vor eBay-Betrügern schützen soll.
Der Alltag hat seine Tücken: Am Telefon verspricht eine sympathische Stimme Sofort-Gewinne nach Überweisung einer Bearbeitungsgebühr. Vor der Haustür lauert ein Vertreter mit einem Zeitschriftenabonnement, das einen zehn Jahre zu binden droht. Die Post bringt unbestellte Pakete inklusive Rechnung, und die bei eBay ersteigerte Ware entpuppt sich als Ramsch.
Ignacio Czeguhn, seit Anfang Oktober vergangenen Jahres Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte an der Freien Universität, weiß Rat. Die Gesetze, die den Verbraucher vor den Fallstricken des Alltags schützen sollen, gehören zu seinem Handwerkszeug. „Der Gesetzgeber kann oft nur reagieren“, erklärt er. Das vielfältige Angebot des Internets habe das Privatrecht erschwert. Je mehr Möglichkeiten für Vertragsabschlüsse es gebe, desto notwendiger würden neue Gesetze. Was tun, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die mit einem schnellen Klick im Internet akzeptiert werden, Verbraucherrechte einschränken? Czeguhn legt die Gesetze aus und kommentiert die Entscheidungen der Gerichte aus wissenschaftlicher Sicht.
Europäische Perspektiven
Vor seinem Ruf an die Freie Universität hat Czeguhn an den Universitäten in Granada (Spanien), Konstanz und Würzburg gelehrt. Eine seiner Forschungsaufgaben ist zu untersuchen, inwieweit es Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Umsetzung der EU-Richtlinien in Deutschland und Spanien gibt. Er ist zweisprachig aufgewachsen und in der juristischen Fachsprache beider Länder zu Hause. Das erleichtere die Kooperation auch im Hinblick auf seinen zweiten fachlichen Schwerpunkt, die historische Rechtsprechung, sagt er.
Die wechselvolle Geschichte des heute geeinten Europas spiegelt sich in der Geschichte der Gesetzgebung wider. Während die Höchstgerichtsbarkeit, ein vom Herrscher eingesetzter oberster Gerichtshof, in Spanien bereits im 13. Jahrhundert eingeführt worden ist, wurden in Deutschland die entsprechenden Organe erst sehr viel später begründet. Nationalistische Strömungen im 19. Jahrhundert brachten beiden Ländern nicht nur Verfassungen, sondern auch die Grundlagen der modernen Prozessverfahren, etwa die heute selbstverständliche Begründung von Urteilen. „Bislang ist dazu nur wenig geforscht worden. Es gilt, die Archive zu besuchen und die Materialien zu sichten“, sagt Czeguhn.
Auch die Kolonialgerichtsbarkeit, wie der Transfer deutscher Gesetze in die afrikanischen Kolonien, ist Forschungsthema. Als erstes will der Rechtswissenschaftler im Berliner Bundesarchiv die Urkunden und Urteile der Kolonialämter überprüfen. Die meisten Unterlagen lagern jedoch noch in den ehemaligen Kolonien. „Die Quellenarbeit am Ort macht mir als Rechtshistoriker Spaß.“ Reisen nach Namibia, um Kisten mit papiernen Akten zu durchforsten, also nicht ausgeschlossen.