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Auszug eines Manuskripts des Fabelwerks "Kalila und Dimna", das etwa 750 n. Chr. aus dem Mittelpersischen ins Arabische übersetzt wurde

Auszug eines Manuskripts des Fabelwerks "Kalila und Dimna", das etwa 750 n. Chr. aus dem Mittelpersischen ins Arabische übersetzt wurde
Bildquelle: Bibliothèque National de France

Syrisch-aramäisches Evangeliar aus dem 13. Jahrhundert

Syrisch-aramäisches Evangeliar aus dem 13. Jahrhundert
Bildquelle: Shabo Talay

In der heutigen Zeit ist Englisch die Lingua franca, die Verkehrssprache zur weltweiten Verständigung. Vor 2 500 Jahren kam in der weiten Welt des Vorderen Orients diese Funktion dem Aramäischen zu. Die Erforschung dieser in Dialekten noch heute lebendigen Sprache macht einen wichtigen Teil des Faches Semitistik aus.

Aramaistik ist nicht nur unter sprachwissenschaftlichen Aspekten interessant, sondern auch für die altertums- und religionswissenschaftliche Forschung, sind doch beispielsweise wichtige Teile des Tanach und der rabbinischen Schriften, aber auch der christlichen Überlieferung auf Aramäisch verfasst.

Die Semitistik wurde schon 1812, kurz nach Errichtung der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, im Rahmen der orientalischen Sprachen eingeführt. Am Seminar der Freien Universität Berlin widmet sich die Semitistik neben der Aramaistik auch der Hebraistik, der Mandäistik, der Samaritanistik und der Äthiopistik sowie der semitischen Inschriftenkunde. Die Dozentinnen und Dozenten vermitteln hierzu die entsprechenden Sprachkenntnisse.

Das Seminar für Semitistik und Arabistik existiert an der Freien Universität Berlin formal seit 1957/1958, die Lehre wurde jedoch erst 1963 aufgenommen. Doch schon vor der Errichtung eines eigenen Seminars befasste sich der Indogermanist, Altorientalist und Semitist Johannes Friedrich (1893–1972), der seit 1950 an der Freien Universität Berlin lehrte, mit semitistischen Themen.

Im Jahr 1963 nahm Rudolf Macuch (1919–1993) den Ruf an das Seminar für Semitistik und Arabistik an. Macuch hatte in Pressburg, dem heutigen Bratislava, seinen ersten akademischen Abschluss erworben, sich dann vertiefend orientalistischen Studien in Paris gewidmet, um – zurückgekehrt in die Tschechoslowakei – seine Promotion abzulegen.

Angesichts ungünstiger beruflicher Perspektiven beschlossen er und seine iranische Ehefrau, nach Teheran auszuwandern. Dort lehrte er zwölf Jahre lang und verknüpfte seine sprach- und literaturwissenschaftlichen Interessen mit der Feldforschung. Nach seinem Wechsel an die Freie Universtiät Berlin mit der Lehrbefähigung sowohl für Semitistik als auch Arabistik gelang es ihm, grundlegende Arbeiten zum Mandäischen, Neumandäischen, Neusyrischen und Samaritanischen vorzugelegen.

Zum Samaritanischen entwickelte sich ein eigenes großes Forschungsprojekt mit einer einzigartigen Handschriftensammlung. Macuch publizierte 1969 die Grammatik des samaritanischen Hebräisch und 1982 die Grammatik des samaritanischen Aramäisch. Auch nach seiner Emeritierung 1988 veröffentlichte Macuch wichtige Werke.

Im Jahr 1988 trat Rainer Voigt Macuchs Nachfolge im Seminar an; von diesem Zeitpunkt an wurde die Venia Legendi auf jeweils eine der Disziplinen beschränkt – also auf Semitistik oder Arabistik. Voigt erweiterte den Forschungsbereich der Semitistik und befasste sich intensiv mit Äthiopistik, hierunter werden die heute in Äthiopien und Eritrea gesprochenen Sprachen Amharisch und Tigrinisch gefasst.

Seit Juli 2014 hat Shabo Talay als Nachfolger von Rainer Voigt die Professur für Semitistik inne. Er war zuvor Professor für Arabische Sprache und Kultur an der norwegischen Universität Bergen gewesen. Neben der Forsetzung der bisherigen Forschungsfelder der Berliner Semitistik ergänzt Talay das Fach mit weiteren Schwerpunkten, darunter die Geschichte und Gegenwart des Christlichen Orients, Neoaramaistik und die Arabische Dialektologie.

Während das Aramäische seine Funktion als Lingua franca verlor, ist das Arabische seit 1 400 Jahren Verkehrssprache in einem Raum, der von Marokko bis zum Irak und von Syrien bis in den Tschad reicht. Als Sprache des Koran und als offizielle Staatssprache des Umayyadenreiches wurde Arabisch schnell zu einem Kommunikationsmittel einer sich über drei Kontinente erstreckenden kosmopoliten Kulturgemeinschaft, in der es von Autoren vielerlei religiöser und ethnischer Herkunft benutzt wurde.

Dies und die frühe Einführung der chinesischen Papierherstellung über die Seidenstraße in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts führten zu einer ausgesprochenen Buchkultur, deren Werke zu großen Teilen erhalten sind. So geben arabische Geschichtswerke, biografische Nachschlagewerke und Enzyklopädien eloquent und reichhaltig Auskunft über die Menschen der arabisch-islamischen Zivilisation.

Die reiche und vielfältige arabische Literatur ist in unserem Kulturbereich wenig bekannt. Die Studierenden der Arabistik setzen sich intensiv mit dieser auseinander: mit Poesie (in Form des klassischen Liebesgedichts – ghazal –, der klassischen Ode – qasida – oder der modernen, nicht mehr metrisch gebundenen Dichtung), aber auch mit Prosa, und zwar sowohl mit klassischer als auch mit moderner vom früharabischen Essay zum modernen Roman.

Daneben liegt auf dem Koran als Dokument spätantiker Religionsgeschichte ein großer Schwerpunkt der wissenschaftlichen Forschung. In diesem Zusammenhang ist auch das Gotthelf-Bergsträsser-Archiv mit Aufnahmen von Koran-Abschriften zu nennen, das inzwischen in dem Projekt Corpus Coranicum in Zusammenarbeit mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften erschlossen wird. Außerdem befindet sich hier ein bedeutendes Archiv samaritanisch-arabischer Handschriften; diese sind größtenteils noch nicht ausgewertet.

Auch die Arabistik wurde in Berlin bereits im 19. Jahrhundert von wegweisenden Wissenschschaftlern vertreten wie dem polyglotten Orientalisten und Dichter Friedrich Rückert (1788–1866) und dem Verfasser der ersten westlichen Biobibliografie arabischer Literatur, Carl Brockelmann (1868–1956). Seit 1974 wurde sie durch eine zweite Professur am Seminar für Semitistik und Arabistik durch Zuhair Shunnar bis zu seinem Ruhestand 1998 vertreten.

1991 nahm Angelika Neuwirth, eine anerkannte Koranforscherin und Spezialistin für moderne arabische Literatur, den Ruf für Arabistik an. Sie erweiterte die Forschung und Lehre am Seminar nicht allein um die Koranforschung und -auslegung, sondern auch um die Auseinandersetzung mit der modernen palästinensischen Literatur. Neben verschiedenen Auszeichnungen wurden ihr Ehrendoktorwürden der Universitäten Bamberg, Basel, Salzburg und Yale verliehen. Sie ist inzwischen ebenfalls im Ruhestand.

Seit September 2014 lehrt Beatrice Gründler Arabistik – Sprache und Literatur –, nachdem sie 18 Jahre lang Professorin an der Yale University gewesen war. Mit ihr wird die klassische arabische Literatur zum ersten Mal Schwerpunkt von Forschung und Lehre am Seminar.

Unter ihrer Verantwortung werden die bisherigen Forschungsfelder der Berliner Arabistik fortgeführt, und es wurden weitere Richtungen hinzugefügt, darunter die Entwicklung der arabischen Schrift, die klassische arabische Dichtung in ihrem sozialen Umfeld, die Integration moderner Literaturtheorie in das Studium nahöstlicher Literaturen und die frühe arabische Buchkultur unter dem Gesichtspunkt der Mediengeschichte.