"Unsere Vision ist, dass Lehrkräftebildung zu einem integralen Bestandteil der FU wird, wissenschaftlich fundiert betrieben wird und wir den Platz der Fachwissenschaften in der Lehrkräftebildung aushandeln können."
Im Gespräch mit dem Direktorium der Dahlem School of Education (DSE) zu ihrer täglichen Arbeit sowie den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Lehrkräftebildung an der Freien Universität (FU) Berlin.
17.02.2021
"Auf einen Kaffee mit K2teach" traf sich 2021 (selbstverständlich virtuell) mit dem Direktorium der Dahlem School of Education. Gesprochen haben wir mit Prof. Daniela Caspari (Didaktik der romanischen Sprachen), mit Prof. Uwe Gellert (Mathematische Bildung und Gesellschaft) und mit Prof. Martin Lücke (Didaktik der Geschichte) über ihr Rollenverständnis, die täglichen Herausforderungen der Direktoriumsarbeit sowie über ihre Visionen für die Lehrkräftebildung an der FU Berlin. Dabei kam unter anderem heraus, dass das Direktorium täglich unterschiedlichste Anforderungen wie beispielsweise bildungspolitische Setzungen, den Studierendenaufwuchs und die Digitalisierung von universitärer Lehre bewältigt. Gleichzeitig hegt das Direktorium die gemeinsame Vision, die Lehrkräftebildung am Standort der FU Berlin wissenschaftlich und strukturell zu fundieren, den Dialog zwischen den Fächern zu stärken und den Platz der Fachwissenschaften in der Lehrkräftebildung auszuloten.
Die DSE gibt es jetzt seit 2016. Seit 2018 leiten Sie als Direktorium die DSE. Wie würden Sie Ihre Rolle als Direktorium für die Lehrkräftebildung an der Freien Universität beschreiben?
Gellert: Wenn man in den Einrichtungsbeschluss der DSE schaut, gibt es das Direktorium gar nicht, sondern eine Direktorin oder einen Direktor und zwei stellvertretende Direktor:innen. Es gibt also eine weniger klare Arbeitstrennung als in Dekanaten und auch eine geringere Reduktion der Lehrverpflichtung für die Wahrnehmung dieser Funktionen. Ich finde es spannend und wichtig, gemeinsam in einem Direktorium zu arbeiten. Ich sehe hier die Möglichkeit, dass man im Sinne eines akademischen Direktoriums, das in der Lehrkräftebildung Schwerpunktthemen setzt oder vor- und mitstrukturiert, viel gestalten kann. Für das Präsidium der FU und die Berliner Senatsverwaltung ist das Direktorium der Ansprechpartner für alle Dinge, die das Lehramt betreffen.
Lücke: Wir gestalten inhaltlich Lehre und Forschung, führen die akademischen Akteur:innen der Lehrkräftebildung zusammen, bündeln die unterschiedlichen Erwartungen an die DSE und führen diese Erwartungen weiter, um gemeinsam mit der Arbeit an unseren Zielen voranzukommen.
Caspari: Außerdem sind wir Ansprechpartner für die Fachbereiche, es ist also vor allem eine Schnittstellenfunktion.
Die Lehrkräftebildung ist und bleibt berlin- und universitätsweit an der Freien Universität ein großes Thema. Welche Vision verfolgen Sie für die Lehrkräftebildung an der Freien Universität?
Caspari: An Visionen werden wir manchmal etwas gehindert, weil wir nicht nur das Tagesgeschäft haben, sondern auch von außen längerfristige Aufgaben gesetzt bekommen. Wir sind in Berlin gerade mitten im Aufwuchs der Lehrkräftebildung - mit allem, was dazu gehört, wie zum Beispiel Einstellungsanträgen. Dazu kommen die beständigen gesellschaftlichen und politisch notwendigen Anforderungen, die es umzusetzen gilt. Denken wir nur ans letzte Semester: plötzlich Digitalisierung. Oder das Praxissemester, das schon im vierten Jahr läuft, aus Sicht der Universität aber immer noch vergleichsweise neu ist. Nichtsdestotrotz ist meine Vision, dass wir noch stärker deutlich machen, dass alle an der Lehrkräftebildung an der Freien Universität Berlin Beteiligten eine wissenschaftlich fundierte Lehrkräftebildung betreiben wollen - auch wenn sowohl von Studierenden- als auch von Politikseite aus manchmal eine sehr praktische Vorbereitung auf die Praxis erwartet wird. Das ist etwas, was uns im letzten Jahr sehr stark begleitet hat: Wir haben von der DSE im letzten Herbst einen Thementag zu der Frage angeboten, was ‚Theorie’ in einer wissenschaftlich fundierten Lehrkräftebildung bedeutet, was alles ‚Praxis‘ ist und wie die unterschiedlichen Formen von Theorie und Praxis zusammenwirken können. Praxis ist mehr, als im Klassenzimmer hinten zu sitzen oder vorne zu unterrichten. Das überhaupt zu verstehen, fällt Studierenden oft sehr schwer. Man sollte differenzierter und breiter denken und die Möglichkeiten, die sich schon überall bieten, konsequenter nutzen. Das ist auch eine Stärke unseres Ansatzes im Gegensatz zu anderen Modellen der Lehrkräftebildung, die sehr stark auf das ‚Überleben‘ im Klassenzimmer ausgerichtet sind.
Lücke: Es wäre außerdem Teil einer Vision, dass wir die Fachwissenschaften wieder stärker mit ins Boot der Lehrkräftebildung holen, beziehungsweise mehr ins Gespräch darüber kommen, was der Platz der Fachwissenschaften in der Lehrkräftebildung ist. Ich hatte das Vergnügen, und das meine ich ernst, sehr, sehr viele von den Fachgesprächen zu moderieren, in denen alle Fächer ihren Anteil in der Lehrkräftebildung noch einmal kritisch reflektiert haben. Dabei ist deutlich geworden, dass die Fächer stellenweise noch ihren Platz suchen.
Gellert: Ich finde auch, Teil der Vision ist es, dass die Fächer integraler Bestandteil der Lehrkräftebildung sind. Dieses gilt es auszuweiten: In meiner Vision wäre auch die Lehrkräftebildung integraler Bestandteil der Freien Universität Berlin. Wenn demnächst jede:r vierte Student:in Lehramtsstudent:in ist, dann muss sich das auch im Selbstverständnis der FU niederschlagen. Es muss dazu führen, dass angehende Lehrkräfte nicht riskieren, als Studierende „zweiter Klasse“ betrachtet zu werden. Dazu empfangen wir immer wieder kritische Signale aus verschiedenen Bereichen. Meine Vision wäre, dass sich das ändert.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen in den nächsten fünf Jahren?
Caspari: Einiges ist schon genannt worden – das Theorie-Praxis-Verhältnis, die bessere Verzahnung bzw. die Suche nach den Beiträgen von Fachdidaktiken und Fachwissenschaften – dazu müssen wir ins Gespräch kommen. Im letzten Sommersemester (2020) waren wir alle sehr mit der Digitalisierung beschäftigt und viele haben festgestellt, dass Digitalisierung deutlich mehr ist und sein muss, als einfach nur bestimmte Tools anzuwenden. Die zentrale Frage wäre jetzt, wo und wie es einen echten Mehrwert geben kann. Die andere Frage, die damit zusammenhängt, ist, wie wir Schüler:innen und Studierende besser zu autonomem Lernen befähigen, so dass auch sie diese Tools selbstständig und funktional anwenden können.
Gellert: Es ist schwer zu sagen, was die größten Herausforderungen sind, weil diese im Wesentlichen auch miteinander zu tun haben: Fragen der Digitalisierung und Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen und auch die hohen Absolventenzahlen, die es innerhalb der nächsten Jahre zu erreichen gilt. Das ist ein gesellschaftlicher Auftrag, der nicht so leicht umzusetzen ist. Man denke da ans Praxissemester, das für eine relativ kleine Studierendenschaft konstruiert worden ist und jetzt für immer größere Anzahlen verändert werden muss. Eine weitere Herausforderung, die ebenfalls mit steigenden Studierendenzahlen zu tun hat, ist die Einstellung von Dozent:innen. Berufungsverfahren für Professor:innen etwa dauern lange und in der Zeit haben alle anderen eigentlich noch viel mehr zu tun, da sie sich um die Besetzungsverfahren kümmern.
Lücke: Aus Organisationsentwicklungssicht ist es eigentlich unmöglich, dass wir eine institutionelle Strukturentwicklung, neue Aufgaben mit dem Praxissemester und den massiven Aufwuchs von Studierendenzahlen gleichzeitig bewältigen. Da ist es schon eine große Herausforderung, nicht unterzugehen und gleichzeitig die übergeordneten Themen zu priorisieren, die von der Politik an uns herangetragen werden oder in der Gesellschaft virulent sind, zum Beispiel Medienbildung und Demokratiebildung.
Gellert: Es ist auch so, dass die von außen gesetzten Aufgaben sich extrem schnell ändern. Zum Beispiel habe ich mich unlängst mit einer Seminarleiterin des Grundschullehramts der zweiten Phase unterhalten, die berichtete, dass in ihren Seminaren nur noch 15 Prozent Absolvent:innen des Lehramts seien, die anderen Quereinsteiger:innen. Wir als Universität sollten aus ihrer Sicht dafür ein Auge haben, dass unsere Studierenden sofort diese Quereinsteiger:innen weiterbilden oder anleiten können. Solche Aufgaben sind wichtig, wenn man für gute Schulen eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen möchte.
Caspari: Darüber hinaus stellen sich Fragen zur Phasigkeit der Lehrkräftebildung. Auch in den Kollegien treffen Menschen mit vollkommen verschiedenen Ausbildungsständen zusammen. Was bedeutet das für die ursprünglich als dreiphasig geplante, aber in der Regel, wenn überhaupt, nur noch zweiphasig durchgeführte Lehrkräftebildung? Was ist mit der ganzen dritten Phase? Das wäre ein Thema, das ich aus DSE-Sicht auch hoch spannend und vor allem wichtig fände.
K2teach hat in der ersten Förderlaufzeit Ziele in verschiedenen Handlungsfeldern verfolgt. Das Projekt zielt auf die Verknüpfung von Theorie und Praxis, die Verzahnung der Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften und die Profilierung und Optimierung der Strukturen der Lehrkräftebildung an der Freien Universität. In welcher Beziehung sehen Sie diese Ziele zu den Aufgaben der DSE?
Gellert: Für mich sind das natürlich identische Handlungsfelder der DSE, die haben wir genauso auf der Agenda. Von daher würde ich immer denken, dass das etwas ist, was die DSE und K2teach gemeinsam betreiben. Wir hatten zum Beispiel den Thementag des letzten Herbsts, den Frau Caspari bereits erwähnt hat, bei dem es um die Frage ging, wie wir Theorie und Praxis sehen. Es stellte sich heraus, dass da die K2teach-Diskurse stark mit einfließen. Von daher ist K2teach als Ergänzung und Unterstützung der Arbeit der DSE prima.
Lücke: K2teach ist ein temporäres Projekt und leistet im Moment forschungsmäßig das, was eigentlich als Graduate School oder als Forschungsforum strukturell an der DSE verankert sein sollte. K2teach ist also das, was eine School of Education dauerhaft bräuchte, um auch Forschungsaufgaben dauerhaft und kontinuierlich versehen zu können. Gleichzeitig wurde mit K2teach auch sichtbar, dass es drittmittelorientierte Forschung und einen Methodenpluralismus in der Lehrkräftebildung gibt.
Caspari: Über die Forschung sprechen wir in K2teach tatsächlich inhaltlich miteinander, sowohl auf Hochschullehr:innenebene, als auch auf WiMi-Ebene und nicht nur immer in der Bewältigung der Lehr- und sonstigen Aufgaben, die wir ja alle in unseren verschiedenen Funktionen zu leisten haben. Durch das intensive Gespräch über Forschung hat K2teach hier etwas angestoßen. Außerdem gibt es Projektergebnisse, die dann hoffentlich langfristig an der FU Berlin Bestand haben. Eine Entwicklung stellen die Überlegungen zu alternativen Wegen ins Lehramt dar, die durch den Q-Master angestoßen worden sind. Wir haben damit letztlich ein umfangreiches Studienstrukturprojekt auf die Schiene gesetzt, das auslotet, wie man Vorgaben aus dem Lehrkräftebildungsgesetz und den KMK-Rahmenbedingungen praktisch realisieren kann. Nicht nur zur Theorie-Praxis-Verknüpfung ist mit den verschiedenen Formaten in K2teach – Lehr-Lern-Laboren in unterschiedlichen Fachkulturen oder der Arbeit mit Unterrichtsvideos – ein Beitrag geleistet worden, sondern auch dazu, wie wir unseren Nachwuchs gut bilden.
Gellert: Für mich ist K2teach im positivsten Sinne eine Plattform für den kollegialen Austausch, gar nicht so konkret definiert über Forschung oder über Lehre, und damit im Prinzip genau das, was eine Universität bieten sollte: Sie sollte Platz schaffen für den Austausch von Menschen, die aus unterschiedlichen Disziplinen kommen und wohlmöglich am gleichen Thema arbeiten. Von daher stellt sich die Frage, wie man solchen Austausch auch langfristig institutionalisiert. Das ist etwas, was ich für eine zentrale Frage halte.
Welchen konkreten Beitrag erhoffen Sie sich bis 2023 von K2teach zur Lehrkräftebildung? Wo würden Sie am liebsten Akzente setzen?
Caspari: Erstens, dass Lehrkräftebildung nicht ohne Forschung gedacht wird und zwar universitätsweit und darüber hinaus. Die Forschung in der Lehrkräftebildung ist tatsächlich unverzichtbar und muss dann auch unterstützt werden. Darin enthalten ist Pluralität und die Gleichberechtigung unterschiedlicher Akteure aus unterschiedlichen Fachkulturen, um forschend tätig zu werden.
Lücke: Ich hätte sehr gerne ein Forum, in dem wir uns inhaltlich begegnen. Wir begegnen uns in Gremien mit bestehenden Strukturen, da sprechen wir auch miteinander, aber es sollte eine Institutionalisierung gerade des inhaltlichen Dialogs in der Lehrkräftebildung geben.
Gellert: Das heißt im Prinzip ja auch, dass man die Zeit bis zum Ende der Projektlaufzeit nutzen kann, um neue Ideen zu entwickeln, wie man fortfahren möchte. Wenn man nicht davon ausgeht, dass die FU K2teach institutionalisiert und finanziert, dann werden auch die Gemeinsamkeiten, die man entdeckt hat, zwar noch etwas nachwirken, aber irgendwann droht Austrocknung. Von daher wäre es wichtig, die letzte Zeit auch dafür zu nutzen, weitere Richtungen anzudenken.
Das Gespräch führte Christiane Klempin. Berlin, den 17.02.2021