Ansprache von Univ.-Prof. Dr. Dieter Lenzen zur Immatrikulationsfeier am 24. Oktober 2007
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, so heißen Sie jetzt, verehrter Herr Bischof Huber, Exzellenzen, liebe Gäste, Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße Sie alle sehr herzlich an der Freien Universität Berlin, die heute nicht mehr diejenige ist, die sie noch vor wenigen Tagen war.
Einige fragende Blicke verraten mir, dass dieser Satz erklärungsbedürftig ist: Seit dem 19. Oktober gehört die Freie Universität zu den neun Exzellenz-Universitäten dieser Republik. Der Bewilligungsausschuss des Exzellenzwettbewerbs des Bundes und der Länder hat entschieden, dass die Freie Universität mit ihrem Zukunftskonzept für eine International Network University zu denen gehört, denen eine große Zukunft zugetraut wird. Wir haben insgesamt rund 42 Millionen Euro für fünf Jahre beantragt, damit wir dieses Zukunftskonzept für die Freie Universität verwirklichen können. Jeder Bürger dieses Landes, der sich eine Spur für die Zukunft unserer Republik interessiert, wird wissen: Die Freie Universität Berlin ist eine internationale Spitzenuniversität. Dieses ist der Erfolg zahlreicher Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die bei der Konkretisierung des Konzepts der internationalen Netzwerkuniversität gemeinsam mit dem Präsidium angepackt haben, damit seine Chancen und Möglichkeiten sichtbar werden. Dafür gebührt ihnen allen mein größter Dank.
An dieser Stelle wäre ein Applaus für Ihre künftigen Lehrerinnen und Lehrer nicht unangebracht…
Sie haben schwere Jahre hinter sich, nicht nur bei der Ausformulierung der großen Antragspapiere im Rahmen dieses Forschungswettbewerbs, sondern insbesondere auch bei der Umstellung des gesamten Ausbildungssystems auf die von der Europäischen Union beschlossenen BA-/MA-Strukturen. Diese Studiengänge befinden sich soeben in der ersten Revisionsphase. Ich kann es Ihnen nicht verhehlen: Sie werden im Einzelfall durchaus mit Unsicherheiten leben müssen, wenngleich alle das Beste tun, um Ihnen den Einstieg so leicht wie möglich zu machen. Einfach ist es gewiss nicht: Sie mussten sich online bewerben, Sie mussten Ihre Unterlagen zusammensuchen, einreichen und viele Details beachten. Von der Krankenversicherung bis zur Wohnung, ein großer Schritt in die Selbständigkeit, vielleicht das Wichtigste für Sie in diesen Tagen. Mit Unsicherheiten zu leben, das gehört auch zu den Herausforderungen, denen Sie, wie vielleicht keine andere Generation, gegenüberstehen, denn der Prozess der Globalisierung und Internationalisierung auch der akademischen Welt bedeutet, dass wir uns mit ganz neuen Erwartungen und Herausforderungen konfrontiert sehen, wie sie diese eine Welt für uns mit sich bringt. Darauf darf man aber nicht zaghaft warten und hoffen, dass es nur nicht so schlimm kommt, sondern Sie werden in spätestens zehn Jahren zu denjenigen gehören, von denen die wenigsten ihren Arbeitsplatz in Deutschland oder nur in Deutschland haben, Sie werden reisen, Sie werden verschiedene Sprachen sprechen müssen, sich auf verschiedene Kulturen einstellen, außerhalb und innerhalb dieses Landes.
Mit dem Konzept der internationalen Netzwerk-Universität möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass diese Unsicherheiten unserer Jahre für Sie zu Chancen werden. Wir haben das Konzept der internationalen Netzwerk-Universität deshalb auf drei Säulen gestellt. Die erste Säule wird das Zentrum für internationalen Austausch, das Center for International Exchange, sein. Es ist das Außenministerium der Freien Universität. Von hier aus wird die Arbeit unserer Außenstellen in New York, Moskau, Peking, New Dehli, São Paulo, Dubai und an anderen Orten der Welt koordiniert. Erstmals wird eine deutsche Universität über ein Netzwerk eigener Branch-Bureaus und Branch-Campuses verfügen und Sie fragen sich, was das mit Ihnen zu tun hat.
Die Antwort ist sehr klar: Absolventen einer Universität, die international niemand kennt, werden es schwer haben auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Wir sorgen dafür, dass die Qualität und Leistungsfähigkeit der Freien Universität durch unsere Außenstellen international bekannt wird, durch Ausstellungen, durch Veranstaltungen und ganz einfach durch die Präsenz unserer Wissenschaftler und Studenten. Ja, ganz richtig, Studenten: Sie sollen nämlich die Möglichkeit haben, mit Hilfe zusätzlicher Stipendien einen Teil Ihres Studiums im Ausland zu verbringen. Die Außenstellen sollen die Suche nach Studien- und Praktikumsplätzen unterstützen und für Sie so etwas wie die Botschaften der Freien Universität in der Welt sein. Aber wir möchten noch mehr: Wir möchten internationale Studierende in noch größerem Maße für ein Studium an dieser internationalen Universität gewinnen. Wir möchten, dass der Anteil ausländischer Studierender wenigstens ein Viertel unter Ihnen ausmacht. Es ist also auch wichtig, dass Sie hier internationalen Kommilitoninnen und Kommilitonen begegnen und zeigen, dass diese Universität weltoffen ist. Bekämpfen Sie mit uns das größte Übel unserer Zeit: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus!
Die zweite Säule der internationalen Netzwerk-Universität ist das Zentrum für Cluster-Entwicklung. Hier werden künftig Forschungsschwerpunkte für die Freie Universität und die Region entwickelt, innerhalb derer die Universität besondere Stärken aufweist, und deren Zukunftsrelevanz sich erweisen muss. Sie wollen nicht forschen, sondern Apothekerin werden, Lehrer oder Rechtsanwalt? Recht so, aber erfolgreich können Sie das nur an einer Universität tun, deren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf hohem Niveau forschen, dafür bekannt sind und Ihnen aus erster Hand, weil selbst erarbeitet, mitteilen können, was die neuesten Ergebnisse ihrer Untersuchungen und Projekte sind. Die Freie Universität hat das humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre in den 40 Jahren des geteilten Berlins bewahrt und weiterentwickelt. Wir möchten Ihnen deshalb auch die Möglichkeit verschaffen, zumindest im fortgeschrittenen Studium in die Forschung involviert zu werden. Deshalb ist es wichtig für Sie zu wissen, dass große Forschungsschwerpunkte zurzeit an dieser Universität in drei Zentren organisiert sind, auf dem Bio-Campus Dahlem die Biowissenschaften, wofür auch heute die Ausrichtung dieser Veranstaltung durch die Medizin steht, die besonders starken Geisteswissenschaften an der Freien Universität, die Humanities, die beim Exzellenzwettbewerb so außerordentlich erfolgreich waren in Clusters und Graduiertenschulen, und das Center for Area Studies. Seine Forschungsarbeit repräsentiert in besonderer Weise den Anspruch einer internationalen Netzwerk-Universität. Denn hier werden auf höchstem Niveau sogenannte Regionalstudien betrieben für wichtige Regionen der Welt: Nordamerika, Lateinamerika, Ostasien, Afrika, Osteuropa, Vorderer Orient, aber auch in Zentren für die Erforschung westeuropäischer Länder, wie im Italien-Zentrum oder im Frankreich-Zentrum der Freien Universität. Weitere große Forschungsschwerpunkte werden folgen. Es würde uns freuen, wenn Sie eines Tages dabei sind.
Die dritte Säule schließlich stellt die Dahlem Research School dar. Dabei handelt es sich um eine Dacheinrichtung für die zahlreichen Graduiertenschulen und die Studiengänge, die an der Freien Universität bestehen oder im Entstehen begriffen sind. Sie wollen nicht promovieren? Woher wissen Sie das jetzt schon? Wichtig heute ist für Sie, zu wissen, dass die Universität über strukturierte Promotionsstudiengänge verfügt. So werden Sie nicht, wie in der dunklen Vergangenheit der Ordinarien-Universitäten, als Promovenden Objekt professoraler Willkür, sondern in Betreuungsverträgen, die die Promovenden mit drei Hochschullehrern treffen, wird festgelegt, welche wechselseitigen Pflichten und Rechte bestehen. Stipendien werden für die Promotion vorgehalten und der gesamte Promotionsprozess ist von vornherein international orientiert. Warten wir es ab, vielleicht sehen wir uns eines Tages dort wieder.
Daran müssen Sie heute noch nicht denken, sondern es genügt, wenn Sie außer einem Dach über dem Kopf und einem Account Ihren Studienplan haben, wissen, wo die Hörsäle sind und wodurch sich eine Vorlesung von einem Seminar, ein Seminar von einer Übung, eine Übung von einem Tutorium unterscheidet. Sie werden dieses und vieles andere ganz schnell begriffen haben, vor allem dann, wenn Sie den Ihnen möglicherweise noch bekannten Spruch aus der Sesamstraße beherzigen: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Fragen Sie also Ihre Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, deren wissenschaftliche Mitarbeiter, das Personal in Prüfungsbüros und Studienberatungs-Zentren und natürlich auch Kommilitoninnen und Kommilitonen. Nicht jede Auskunft, auch die von Profis, wird exakt das Richtige erfassen. Eine zweite Erkundigung zur Absicherung ist manchmal hilfreich. Und: Glauben Sie keinen Gerüchten über die Qualität von Veranstaltungen und Lehrenden, machen Sie Ihre Erfahrungen selber.
Die Immatrikulationsfeier hat, wie jedes Jahr, verschiedene Sprecher, die Ihnen einen ersten Eindruck von der Vielfalt einer Universität vermitteln. Dazu gehörte zu Beginn dieser Veranstaltung die Begrüßung durch den Prodekan der humanmedizinischen Fakultät, die die Freie Universität gemeinsam mit der Humboldt-Universität unterhält. Der Name „Charité – Universitätsmedizin Berlin“ erweckt bei Unkundigen den Eindruck, als ob es sich um eine selbständige Einrichtung handele. Das ist nicht der Fall, sondern die Medizin ist wie jedes andere Fach ein Bestandteil der Freien Universität. Die Besonderheit einer gemeinsamen Einrichtung zweier Universitäten verlangt von unseren Medizinern und Medizinstudenten gewissermaßen eine doppelte Loyalität. Wir freuen uns, wenn Sie diese auch der Freien Universität gegenüber zeigen und versichern uns umgekehrt der unseren.
Stellvertretend für alle Studierenden wurden Sie von einem Studenten der Medizin begrüßt. Danke an Sie und an den Prodekan der humanmedizinischen Fakultät. Eine studentische Begrüßung erfolgte auch durch eine Vertreterin des Allgemeinen Studentenausschusses, der vom Studentenparlament der Universität mit der Mehrheit der Stimmen gewählt wurde. Dieses Studentenparlament selbst ist wiederum aus einer Wahlbeteiligung von rund 12 Prozent aller Studierenden der Universität hervorgegangen. Die Ausführungen sind also lediglich durch etwa 6 Prozent der Studierenden legitimiert. Das ist wichtig zu wissen, damit in der Öffentlichkeit kein falscher Eindruck entsteht. Gleichwohl ist es bedauerlich, dass so wenige studentische Mitglieder dieser Universität sich an den Wahlen beteiligen.
Ich komme nun zum Höhepunkt der Kette von Beiträgen unserer heutigen Feier, zum Festvortrag, den der Ratsvorsitzende der EKD und Bischof Professor Dr. Huber heute zu meiner großen Freude zu halten übernommen hat. Dafür danke ich ihm sehr herzlich. Sie, lieber Herr Bischof Huber, um diesen Beitrag gefragt zu haben, ist für mich Ausdruck eines besonderen Anliegens. Ich habe eingangs davon gesprochen, dass die Internationalisierung unserer Welt Unsicherheiten mit sich bringt. Zu diesen Irritationen gehört auch eine religiöse Dimension. Wie seit 50, 60 Jahren nicht mehr wird die Welt irritiert durch soziale Verhaltensweisen, die im Namen eines vermeintlichen religiösen Auftrags aktiviert werden und deren grausamste Formen im Massenmord enden. Spätestens seit der europäischen Aufklärung, in der akademischen Welt allerdings schon früher, galt als unhinterfragbar, dass die Vernunft und nur die Vernunft die treibende Kraft der Wissenschaft sein kann. Umgekehrt verstand und versteht Wissenschaft sich als eine Tätigkeit, die der Vernunft immer wieder zum Durchbruch verhilft und Wissen an die Stelle von Indoktrination setzt. Diese Tradition der europäischen Academia ist christlich- platonischen Ursprungs. Ohne die christliche Grundabkehr von der Gewalt, ohne Reformation und ohne Aufklärung, die sich ja keineswegs gegen den religiösen Glauben richtete, sind die Universitäten heutiger Prägung nicht denkbar. Ich freue mich deshalb besonders darüber, dass der oberste Repräsentant der Evangelischen Kirche Deutschlands die Bedeutung dieses Zusammenhangs aufgreifend heute zu uns sprechen wird. Und ich freue mich auch darüber, dass es erstmals gelungen ist, einen ökumenischen Gottesdienst der Studentengemeinden öffentlich anzukündigen. Viele von Ihnen sind heute Morgen dieser Einladung gefolgt und haben ihr Glaubensbekenntnis abgelegt. Das ist durchaus nicht unakademisch. Der Name des Professors heißt übrigens nichts anderes als der Bekennende. Zur Wahrheit sollen wir uns bekennen, wenn wir Wissenschaft betreiben.
Schlagwörter
- Sandra Maischberger, Immatrikulationsfeier, Freie Universität Berlin, FU, feierliche Immatrikulation