Rede von Dieter Lenzen anläßlich der Immatrikulationsfeier im Wintersemester 2005/06, FU Berlin
Rede anlässlich der Immatrikulationsfeier an der Freien Universität Berlin zum Wintersemester 2005/2006 am 19. Oktober 2005
Prof. Dr. Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin:
Corporate Design für Corporate Identity
Auf Ihren Plätzen finden - oder wenn Sie es schon aufgegessen haben - fanden Sie ein kleines Täfelchen Schokolade. Das ist nicht ein der Haushaltssituation angepasster Ersatz für eine Schultüte, sondern ein Doppeltes: Ein kleiner Willkommensgruß der Freien Universität, dem sich noch weitere einreihen werden, darunter die, so kann man inzwischen sagen, FU-Tasche. Das ist Stoff genug für ein paar Bemerkungen zu dem, was man werbepsychologisch als Corporate Design bezeichnet, gewissermaßen die sichtbare Oberfläche des eigentlichen, nämlich der Corporate Identity, um die es uns heute geht.
Ich möchte Sie nämlich heute ganz herzlich begrüßen in einer Art Corporation, einer Organisation, einer Einrichtung, einer Institution, kurzum in der Freien Universität Berlin. Sie wissen, wo Sie sind. Sie haben eine erstklassige Wahl getroffen, und Sie haben Glück gehabt. Rund dreieinhalbtausend Studierende konnten aus den fünfundzwanzigtausend Bewerbungen erfolgreich hervorgehen. Wir freuen uns auf Sie.
Sie wissen, wo Sie sind. In einer der Spitzenuniversitäten Deutschlands und in einer internationalen Spitzenuniversität. Das ist nicht nur ein Anspruch, sondern Wirklichkeit. In zahlreichen Fächern, darunter Politologie, Pädagogik, Anglistik, Germanistik, ist die Freie Universität immer auf den ersten Plätzen. Sie gehört, seitdem es Rankings gibt, als ganze immer zu den Top Ten. Wenn man alle Rankings hintereinander schreibt, einen Summenstrich darunter setzt, dann sind wir Nummer drei, nach der Ludwig-Maximilian- Universität in München, mit der uns eine enge Allianz verbindet, und der Universität Heidelberg. Wir möchten, dass das so bleibt, dass wir weiter aufsteigen, auch international. Dafür arbeiten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität sehr hart. Gerade eben haben sie ihre ersten Anträge im Rahmen des so genannten Exzellenzwettbewerbs des Bundes und der Länder abgeliefert, drei Forschungscluster sind beantragt worden: 1. Dahlem Humanities Center, 2. Governance in a Globalized World, 3. Molecular Word in Motion. Ein weiteres, gemeinsam mit der Universität Potsdam: Earth and Space Systems.
Drei Graduiertenschulen: 1. Diversity, 2. Jewish Life in European Perspectives, 3. Graduate School of North American Studies, eine vierte, die Berlin Mathematical School, wird gemeinsam mit der Technischen und der Humboldt-Universität beantragt.
Sie sehen: Die Freie Universität kooperiert eng mit den Schwestereinrichtungen der Region. An Forschungsanträgen der Humboldt- und der Technischen Universität sind zudem zahlreiche Wissenschaftler der Freien Universität beteiligt. 75 Kilo Anträge wurden bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft abgeliefert. Nun heißt es warten, hoffen, Daumen halten bis zum Januar. Dann werden wir erfahren, wo wir erfolgreich sein können. - Soweit zur Zukunft der Forschung, die heute immer weniger Tätigkeit von Einzelnen sondern solche von großen Gruppen ist. Deshalb müssen Sie eines von vornherein lernen: Wissenschaft heute ist Teamarbeit. Angesichts der Komplexität und der Kosten für viele Forschungsprojekte können diese gar nicht mehr von Einzelpersonen durchgeführt werden, Ausnahmen bestätigen die Regel. Genies sind immer willkommen. Lernen Sie also bitte, in Gruppen zu arbeiten, nicht gegeneinander, sondern miteinander, orientiert an der Sache. Und - Gruppenarbeit ist nicht eine verkappte Gelegenheit dazu, in der Gruppe unterzutauchen und die anderen machen zu lassen. Wir alle, und damit unser Land, haben nur eine Chance, wenn Kommunikation und Teamarbeit ganz oben anstehen.
Wir sind unversehens von der Lage der Forschung zum Thema Lehre gekommen. Viele von Ihnen, die meisten, haben sich für die neu eingeführten BA-Studiengänge immatrikuliert. Die Freie Universität wird die erste in Deutschland sein, die in 2007/2008 die Umstellung auf das europäische System hinter sich gebracht hat. Sie folgt damit den so genannten Bologna-Vorgaben auf Einführung eines Credit-Systems und der internationalen Studiengangstypen. Für Sie bringt dieses Vorteile, allerdings auch einige Beschwernisse mit sich. Ihre Leistungen sind europaweit kompatibel. Wenn Sie sich morgen entscheiden, in Cohimbra oder in Åbo, in Edinborough oder in Krakau weiterzustudieren, nur zu: Es müsste Ihnen alles anerkannt werden und: Wer heute studiert ohne einen Auslandsaufenthalt, ohne wenigstens ein Semester abroad, wie es heißt, reduziert seine Beschäftigungschancen in brutaler, vielleicht auch kaum verantwortlicher, Weise. Menschen, deren Horizont nicht über den Spreewald und seine wohlschmeckenden Gurken hinausgeht, werden keine Zukunft haben. Es ist mir deshalb eine besondere Freude, dass es gelungen ist, heute den Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes als Festredner bei uns begrüßen zu können. Herr Dr. Christian Bode hat dieses Amt seit dem 01.08.1990 inne. Er verfügt also über eine lange Erfahrung und über einen perfekten Überblick, was den Ort deutscher Universitäten in der Welt betrifft. Zuvor war er über acht Jahre Generalsekretär der damals noch westdeutschen Rektorenkonferenz, und er hat an der Freien Universität Berlin studiert. Er führt drei Ehrendoktortitel und er ist chevalier de l'Ordre national du Mérite. Seien Sie herzlich begrüßt, lieber Herr Bode!
Die Tatsache, dass wir Sie heute hier begrüßen, hat auch noch einen anderen, eher visionären, Grund: Der Antrag, den die Freien Universität in der letzten Woche im Rahmen des Exzellenzwettbewerbs in der so genannten dritten Förderlinie abgegeben hat, der Antrag für die Zukunftskonzepte der Universitäten hat nämlich eine erhebliche internationale Komponente: Die Freie Universität beantragt Mittel dafür, den erfolgreich angefangenen Prozess der Gründung von Außenstellen der Freien Universität in den wichtigsten Kontinenten fortzusetzen. So verfügen wir gegenwärtig über solche Zweigstellen in New York, Moskau, Peking und Abu Dhabi. Es soll weitergehen mit Tokio, Rio de Janeiro, und und und. Warum machen wir das? Die Zukunft deutscher Spitzenuniversitäten liegt in Deutschland und in einer zusammengewachsenen Welt ohne Grenzen. Wir möchten Ihnen, liebe Studierende, die Möglichkeit geben, auch mit Hilfe unserer Dependancen einen leichteren Weg zu einem Studium im Ausland zu finden. Unsere Zweigstellen werden Orte des Ex- und Imports von Exzellenz sein, an den Plätzen der Erde, wo heute wissenschaftlich differenzierte Musik gespielt wird. Nutzen Sie also die Möglichkeiten, zu denen Herr Bode sicher nachher noch mehr sagen wird, neben den zitierten Essiggurken auch Zuckerhüte, Brownies, Sushi, Bambus und - ja auch russischen Wodka - jeweils vor Ort zu genießen, als Neben- nicht als Hauptzweck Ihres Auslandsstudiums.
Internationalität war, ist und wird deshalb also ein wesentliches Merkmal der Corporate Identity der Freien Universität sein. Warum das so ist, liegt auf der Hand: Sie wurde gegründet mit internationaler, besonders amerikanischer, Hilfe, 1948, in einer Situation, in der die Universität Unter den Linden Studenten schikanierte, relegierte. Und - wie wir heute wissen - mehr als zehn von Ihnen mussten sogar ihr Leben lassen, weil sie sich an der Gründung der Freien Universität beteiligt hatten. Internationalität ist also eine Verpflichtung. Wir haben etwas zurückzugeben für die selbstlose Hilfe, die die Existenz der Freien Universität möglich gemacht hat. Dieses aber nicht irgendwie, sondern im Zeichen der Freiheit. Dort, wo andere Universitäten heute manchmal mühevoll nach einem Mission Statement, nach einem Leitbild, suchen, ist dieses Ausgangspunkt und Inbegriff dieser Universität selbst: Es ist die Freiheit.
Freiheit ist immer bedroht, an vielen Stellen auf der Welt, aber auch hier, wenn in die akademische Freiheit seitens übermütiger Regierungen eingegriffen wird. Dann gilt es "Halt" zu sagen und dem entschlossen entgegen zu treten. Die Freie Universität hat das Glück gehabt, gleich bei ihrer Gründung eine besondere Rechtsform zu bekommen, die sie unabhängiger als andere vom Staat machte. Insofern ist sie die Mutter aller deutschen Reformuniversitäten. Intellektualität, Ideenreichtum, zukunftsorientierte Forschung können nur in einem Rahmen gedeihen, der den Forschenden, den Lehrenden und Lernenden jede nur erdenkliche Freiheit lässt. Jede nur erdenkliche heißt Freiheit des Denkens, der Suche nach Inhalten, nach Methoden. Die Freiheit, nichts zu tun, umschließt dieses Recht allerdings nicht. Denn nur dafür sind Universitäten da: Nach Wahrheit zu suchen, sie zu bekennen und zu kommunizieren. Das kann ein quälender Prozess sein, denn nicht jede Wahrheit, die entdeckt wird, ist bequem, manchmal auch nicht opportun, und häufig interessiert sich niemand für sie. Das sind oft die interessantesten Wahrheiten, die, für die sich niemand interessiert, die unbequem und inopportun sind. In der Freien Universität können sie geäußert werden. Übrigens auch dann, wenn sich herausstellt, dass keine Wahrheiten, sondern nur Meinungen sind. Die Verpflichtung, dieses zu tun, hat das Präsidium veranlasst, einen weiteren Schritt zu gehen. Wir haben einen Freiheitspreis gestiftet für Menschen dieser Welt, die nicht selten unter Einsatz ihres Lebens sich für die Freiheit von Menschen eingesetzt haben. Persönlichkeiten, die sich zur Wahrheit bekannt haben und die durch dieses Bekenntnis etwas bewirkten. Wir hoffen, dass wir das Geheimnis bald lüften können, wer der erste Preisträger sein wird. Das Bekenntnis zur Wahrheit ist neben dem Bekenntnis zur Freiheit und dem aktiven Eintreten für sie deshalb ein zweiter Bestandteil unseres Leitbildes. Das dritte ist Iustitia, Gerechtigkeit. Dieses ist der schwierigste Begriff. Als Edwin Redslob, einer der Gründer dieser Universität, und übrigens auch unseres Medienpartners, des Tagesspiegel, das Siegel der Freien Universität 1948 entwarf, war die Bedeutung ganz klar: Die Menschen hatten Sehnsucht nach einem Rechtsstaat, in dem Gerechtigkeit herrscht, d. h., dass jeder Mensch davon ausgehen kann, vor dem Gesetz gleich behandelt zu werden. Dafür, nicht für ein gleiches Monatsgehalt aller Bürger, steht dieser Begriff. Unsere Verpflichtung ist es, sicherzustellen, dass jedes Mitglied dieser Universität Gerechtigkeit im Rahmen der Gesetze erfährt und, dass Sie lernen, Gerechtigkeit zu üben. Einer der wichtigen Bestandteile mancher Eidesformeln ist es deshalb auch, zu versprechen, Gerechtigkeit gegenüber jedermann walten zu lassen. Libertas, Veritas, Iustitia, Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit, für die diejenigen unter Ihnen, die nicht in den Genuss eines Lateinunterrichts kamen, sind also die Bestandteile unseres Leitbildes, unserer Corporate Identity.
Ein modernistischer Graphiker hatte es vor fast 10 Jahren für richtig gehalten, das Siegel der Universität mit diesen Begriffen zu beschneiden, umzumodeln, kurz zu verschandeln. Viele Mitglieder der Universität haben das mit Unverständnis quittiert. Deshalb kommt jetzt des Rätsels Lösung: Die Schokolade auf Ihrem Tisch ziert das neue Logo, wie es heute heißt, das Corporate Design. Das Siegel ist wieder da. Daneben in aller Klarheit noch einmal die Freie Universität Berlin, nicht die FU, wir hassen diese Abkürzung, und jeder, der sie verwendet, zahlt einen Euro in die Universitätskasse. Und jetzt sehen Sie das Ganze auch an der Wand und haben einen Eindruck davon, wie demnächst der Internetauftritt der Universität aussehen wird. Und noch mehr: Die Taschen, die Sie von uns erhalten, sind so gesiegelt, das Briefpapier, die Stempel, die Briefumschläge, Visitenkarten, Vorlesungsverzeichnisse, all das werden wir Stück für Stück auf den richtigen Weg bringen, auf den Weg eines Corporate Designs, was Corporate Identity zum Ausdruck bringt. Und wer hat sich dieses dezente, unaufdringliche Logo ausgedacht? - Unsere Grafikerin Gösta Röver. Herzlichen Dank dafür und für die Mühe, die Sie mit der Umsetzung noch haben werden, gemeinsam mit Herrn Apostolopoulos und denen, die noch mitwirken werden.
Identity, das heißt Identität, das impliziert sich zu identifizieren mit einer Corporation, mit der Freien Universität. Wir haben versucht, dafür auch äußerlich Voraussetzungen zu schaffen. Die innerlichen stehen Ihnen nun in den nächsten Jahren bevor. Hoffentlich begegnen wir uns hier oder dort als überzeugte, nein nicht FU'ler, sondern Bürgerinnen und Bürger der Freien Universität Berlin. Als solche heiße ich Sie herzlich willkommen!