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LIT_4: Das romantische Drama in Spanien und Hispanoamerika: ein Medium der transnationalen Verhandlung von Moderne und Identität

Sektionsleitung: Susanne Greilich (Universität Regensburg), Dagmar Schmelzer (Universität Regensburg)

Link zum Sektionsprogramm (PDF)

Die Romantik wird als eine Krise der europäischen Kultur gesehen, als Epoche des Bruchs, des Neuanfangs, der Bilanzierung und des erinnernden Rückblicks. Selbst wenn sie sich in den verschiedenen Ländern Europas mit beachtlichen zeitlichen Verschiebungen und je unterschiedlichen politischen Programmen manifestiert, steht außer Zweifel, dass ihre Akteure über transnationale Netze des Austauschs verbunden sind. Nicht umsonst gilt das Exil als ‚Vater der Romantik’. Im Kulturtransfer erfahren die Ideen und literarischen Formen vielschichtige Transformationen. Je nach nationalem und regionalem, ideologischem und politischem Kontext kommt es zu Prozessen der Aneignung, der Verhandlung und Verschiebung. Schon im europäischen Raum zeigt sich die Spannung zwischen Globalem und Lokalem, die zentral für Transnationales ist: Der universalistische Anspruch und die Entgrenzungssehnsucht des modernen Subjekts stehen in Konkurrenz zum Wunsch, eine kollektive Identität als Basis für Nationalstaat und bürgerliche Gesellschaft zu schaffen. Dies gilt für Europa und das spanische Mutterland und ebenso für die spanischsprachigen Länder Amerikas, die durch ihre Entkolonialisierung eine neue Phase der globalen Geschichte einläuten und ihre Identitäten im Spannungsfeld der Moderne bestimmen.

Zweifellos ist die Literatur für die international vernetzten Eliten der Romantik ein Medium, um individuelle und kollektive Identitäten durchzuspielen. Auch das Theater bietet eine geeignete Bühne: Es bricht mit Tabus, provoziert offen, lotet psychologische und soziale Widersprüche aus, probt Identitätsprojekte. Bezüglich Iberoamerikas stand bislang der (neo)romantische Roman im Fokus der Forschung (z.B. Sommer, Foundational Fictions, 1991). Das hispanoamerikanische romantische Drama dagegen erreichte infolge der politischen Turbulenzen oft nicht sein Publikum und ist dementsprechend weniger erforscht. Es scheint aber besonders interessant, da es am Kreuzungspunkt transnationaler Austauschbeziehungen angesiedelt ist. Der Kontakt zu Theatergruppen und Autoren des alten Mutterlandes bleibt eng; es gibt transnationale Karrieren (z.B. G. Gómez de Avellaneda). Das Drama in spanischer Sprache konkurriert auf den Spielplänen mit der italienischen Oper, dem französischen Theater und der ‚Weltliteratur’ aller Epochen. Es finden sich verschiedene Aspekte der Aneignung: das re-enactmentder nationalen Geschichte, wie in Vasco Núñez de Balboa (F. González Bocanegra) oder Muñoz, Visitador de México (I. Rodríguez Galván), die Mythologisierung der Unabhängigkeitskriege wie in Los Lanzas (F. Reyes Ortiz). Es werden Integrationsfiguren gefeiert – Bolívar – und der Kampf gegen tyrannische Gegner – Manuel de Rosas. Romantische Außenseiter werden in amerikanisches Lokalkolorit versetzt wie der Pirat Diego el Mulato von J. A. Cisneros. Indigene Helden werden beansprucht, wie in El charrúa (P. P. Bermúdez) oder Atahualpa ó la conquista del Perú (C. A. Salaverry). 

Nicht erst der „transnational turn“ macht deutlich, dass diese Verhandlungen in grenz- und sprachüberschreitenden Konstellationen und Netzen zu sehen sind. In Amerika sind im 19. Jahrhundert die Nationalstaaten in der Ausbildung. Parallel prägen sich komplementäre Identitätsentwürfe aus, wie der Panamerikanismus und die Hispanität. Die neuen Länder definieren ihre Beziehung zu Spanien, zu Europa und den Vereinigten Staaten. Das Konzept der Transnationalität kann angesichts dieses multidimensionalen Geflechts fruchtbar sein (und angesichts der Entflechtungsprozesse im Rahmen der Entkolonialisierung).

Die Sektion will ein Korpus erschließen, das teilweise schwer zugänglich bleibt, z.B. über Anthologien, und erst neuerdings in digitaler Form greifbar wird. Der Fokus liegt auf historischen Dramen, da zu kostumbristischen Stücken bereits mehr Studien vorliegen. Im Zentrum steht die Analyse konkreter Texte, ergänzt durch Untersuchungen der Strukturen und Prozesse des Austauschs.

Kontakt: susanne.greilich@ur.de , Dagmar.Schmelzer@sprachlit.uni-regensburg.de