CULT_2: Verkehrskulturen in Lateinamerika: Netzwerke, Praktiken, Diskurse, Fiktionen
Sektionsleitung: Wolfram Nitsch (Universität zu Köln), Jörg Türschmann (Universität Wien), Christian Wehr (Universität Würzburg)
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Seit ihrer Entdeckung wird die Neue Welt als Kontinent der großen Entfernungen und der unwegsamen Landschaften erfahren. Techniken und Netzwerke der Kommunikation haben daher in Lateinamerika immer schon entscheidende Rolle gespielt, und zwar im doppelten, von Harold A. Innis betonten Sinne des Wortes, im Hinblick sowohl auf die Übertragung von Nachrichten als auch auf den Transport von Gütern und Personen. Aufmerksamen Zeitgenossen ist dies selten entgangen. Schon der Inca Garcilaso de la Vega würdigte den Straßen-, Kanal- und Brückenbau der Inka ebenso ausführlich wie ihr Schrift- oder Postbotensystem; und der argentinische Avantgardist Julio Payró schlug sogar vor, die Kunstgeschichte im Lichte der Verkehrsmittel neu zu schreiben: «Podríamos — ¿por qué no? — hacer una historia del arte basada en la evolución de los medios de locomoción». Dennoch haben in der Literatur-, Kultur- und Mediengeschichte Lateinamerikas die Wegenetze und Transporttechniken bislang weit geringere Beachtung gefunden als die Kommunikationsmedien im engeren Sinne. Diesem Versäumnis versucht die die hier vorgeschlagene ‹transversale› Sektion entgegenzuwirken.
Im Rückgriff auf Konzepte der klassischen Medienwissenschaft (Innis, McLuhan), der Technikphilosophie (Flusser, Simondon) und der Akteur-Netzwerktheorie (Latour, Hennion) sowie auf Resultate der in den letzten Jahren florierenden Verkehrs- und Mobilitätsgeschichte sollen folgende Fragen erörtert werden: Inwiefern haben sich in Lateinamerika Verkehrskulturen eigener Art entwickelt? Welche besonderen Praktiken treten bei den lokalen Verkehrsteilnehmern zutage? Welche Diskurse werden an den Ausbau und die Benutzung nationaler wie transnationaler Verkehrsnetze geknüpft? Inwiefern wirkt sich die durch solche Netze bewirkte Beschleunigung der Mobilität auf die Raum- und Zeiterfahrung der Benutzer aus? Welche Rolle spielen bei bei einer solchen Transformation durch den Transport Reiseberichte oder journalistische Texte? Wie wird dieser Prozess in literarischen und filmischen Fiktionen dargestellt oder antizipiert, vom Großstadtroman bis hin zum road movie? Der historische Schwerpunkt der Diskussion soll auf der Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart liegen.
Kontakt: wolfram.nitsch@uni-koeln.de , joerg.tuerschmann@univie.ac.at, christian.wehr@uni-wuerzburg.de