„Wir sind Eltern, Lehrer*innen und Arbeitnehmende gleichzeitig"
Beschäftigte der Freien Universität kamen mit dem Lockdown an die Belastungsgrenze
Wendy Stollberg: „Als Eltern haben wir uns alleingelassen gefühlt.“
Bildquelle: Fotostudio Farbtonwerk
Besonders die Schließung von Schulen und Kitas im Frühjahr stellte für viele Angestellte der Freien Universität eine besondere Herausforderung dar. Zum damaligen Zeitpunkt befragten wir bereits Beschäftigte der Freien Universität dazu, wie sich die Corona-Krise auf ihren Alltag auswirke. Wie haben sie Familie und Beruf unter Pandemiebedingungen vereinbaren können? Wie ist ihre Position zur Kita-Notbetreuung während der Pandemie? Antworten darauf gaben Wendy Stollberg und Beatrice und Michael Hierl. Beatrice Hierl arbeitet im Weiterbildungszentrum und Michael Hierl in der Zentralen Universitätsverwaltung. Sie haben einen achtjährigen Sohn und eine fünfjährige Tochter. Wendy Stollberg ist Mitarbeiterin im Team Zentrale Frauenbeauftragte, ihre Kinder sind vier und sieben Jahre alt.
Wie empfinden Sie die aktuelle Doppelbelastung, Arbeit und Kinderbetreuung gleichzeitig leisten zu müssen?
Stollberg: Die Frage ist richtig formuliert: Es handelt sich um eine Doppelbelastung. Weder bleibt ausreichend Zeit und Kraft, die Arbeit konzentriert in gleichbleibender Qualität und im selben Umfang zu erledigen wie vorher, noch die Kinder altersgemäß und geduldig zu betreuen. Im Fall unseres Schulkindes übernehme ich sogar die Rolle der Lehrerin. Arbeit läuft nicht nebenbei und die Betreuung kleiner Kinder schon gar nicht. In engen Wohnverhältnissen ohne Balkon und Garten war die Situation über viele Wochen wegen geschlossener Spielplätze und Picknickverbots in Parks zusätzlich angespannt.
Schließlich kommen zu Arbeit und Kinderbetreuung noch das häufigere Einkaufen, Kochen, Aufräumen und Reparieren hinzu. Die Ankündigung gegen Ende der Osterferien, dass die Kitas erst im August wieder öffnen würden und es für die Schulen auch noch lange bis zur schrittweisen Öffnung dauern werde, war, gelinde gesagt, sehr demotivierend. Als Eltern haben wir uns allein gelassen gefühlt.
Ehepaar Hierl: Es ist keine Doppelbelastung, es ist eine Mehrfachbelastung. Wir sind nicht nur Mutter und Vater, sondern nebenher noch Lehrer*in, Kindergartenerzieher*in, beste*r Freund*in, Koch/Köchin und dann noch Arbeitnehmer*in. Es ist nervenaufreibend und es mangelt an der richtigen Konzentration für die Arbeit, da man ständig mit Unterbrechungen durch die Kinder rechnen muss. Die psychische und physische Belastungsgrenze ist längst erreicht. Hinzu kommen die Müdigkeit und Überlastung durch das nicht absehbare Ende der Corona-Krise. Irgendetwas fällt am Ende dabei runter – entweder die Kindererziehung oder es leidet die Qualität der Arbeitsleistung. Es ist ein 200% -Arbeitstag gegenüber dem "normalen" Arbeitsalltag, in dem die Kinder tagsüber in Schule und Kita betreut werden.
Wie gestaltet sich derzeit die Arbeitsaufteilung innerhalb Ihrer Familie?
Ehepaar Hierl: Wir arbeiten im Schichtbetrieb und sprechen uns ab, wer mit dem Homeoffice beginnt. Je nach Terminen wechseln wir uns alle zwei bis vier Stunden ab. Mittlerweile arbeiten wir über den Tag verteilt zwischen sechs Uhr früh und acht Uhr abends. Während eine*r arbeitet, betreut der oder die andere die Kinder, wobei natürlich das Homeschooling im Vordergrund steht. Nicht ganz einfach ist es, wenn wir beide parallel eine Telefon- oder Videokonferenz haben, da dann die Kinderbetreuung anders sichergestellt werden muss.
Stollberg: Die Arbeitsaufteilung in meiner Familie spiegelt jene bei zahlreichen Familien in unserem Umfeld wider. Eine*r, in unserem Fall ist es mein Mann, konzentriert sich auf die Arbeit, der andere Elternteil – ich – versucht, alles so gut es geht unter einen Hut zu bekommen.
Würden Sie eine Kita-Notbetreuung während der Corona-Pandemie in Anspruch nehmen wollen?
Ehepaar Hierl: Anfangs waren wir dagegen, würden es aber nach zehn Wochen Homeoffice und Kinderbetreuung notgedrungen machen. Nach Rücksprache mit der Stadtverwaltung und der Kita erfüllen wir aber gar nicht die Voraussetzungen, um die Notbetreuung in Anspruch nehmen zu können. Erschwerend kommt bei der Entscheidungsfindung hinzu, dass unser schulpflichtiges Kind zur Risikogruppe gehört.
Stollberg: Ja, das würde ich tun. Ich bin überzeugt, dass es allen Familienmitgliedern guttun würde. Unser Kitakind würde endlich wieder auf Gleichaltrige treffen und passend beschäftigt und gefördert werden. Es vermisst die Kita und ihre Freund*innen sehr. Das Schulkind hätte Zeit für sich und müsste nicht immer auf die kleine Schwester Rücksicht nehmen. Und wir als Eltern könnten konzentrierter und effektiver arbeiten oder einfach mal durchatmen.