Springe direkt zu Inhalt

Lehrveranstaltungen Wintersemester 2021/22

Ringvorlesung - EinS@FU Geist & Kultur

     - Prof. Dr. Irmela Marei Krüger-Fürhoff / Prof. Dr. Oliver Janz

„Vielfalt“ ist ein zentraler Begriff unserer Gegenwart, sei es im Sinne von „Diversität“ als wertschätzende Wahrnehmung unterschiedlicher individualitätsstiftender Gruppenmerkmale, als Streben nach gleichberechtigter gesellschaftliche Teilhabe vor dem Hintergrund kultureller Vielfalt, als „diversity management“ von Unternehmen angesichts ökonomischer Herausforderungen und globalisierter Märkte oder als Schutz von Artenreichtum und Ökosystemen („Biodiversität“) im Anthropozän. „Vielfalt“ und Verschiedenheit werden als Chance verstanden und als Bestandteil einer – nicht trotz, sondern gerade aufgrund von Pluralität und Unterschiedlichkeit – möglichen „Einheit“ entworfen. Dass dabei beständig neu ausgehandelt werden muss, was mit „Vielfalt und Einheit“ im jeweiligen Kontext gemeint ist und wie sich Gestaltungs- und Machtverhältnisse, Entfaltungswille und Rücksichtnahme, Gruppeninteressen und gesellschaftlicher Zusammenhalt jeweils austarieren lassen, dürfte auf der Hand liegen. Dies gilt für die Gegenwart, besitzt aber auch eine historische Tiefendimension, und beide Zeitebenen werden von philosophischen, geisteswissenschaftlichen, kultur- und geschichtswissenschaftlichen Disziplinen in den Blick genommen.

Wie gingen frühere Kulturen und Gesellschaften, Imperien und Nationalstaaten mit den Fliehkräften und Potentialen von politischer und gesellschaftlicher, sprachlicher, kultureller, religiöser und geschlechtlicher Vielfalt um? Haben die Zunahme von globalem Austausch, Transfer und Migration zu mehr Einheitlichkeit oder zu neuer Vielfalt und Abgrenzung geführt? Welche Rolle spielen Konzepte von Einheit und Vielfalt in politischen und kulturellen Deutungsentwürfen und Wissenssystemen? Wie entwickeln Künste und Medien kreative Impulse aus der Erfahrung von Unterschiedlichkeit, aber auch von Widersprüchen und Konflikten? Wie wird Vielfalt und Einheit erzählt und dargestellt? Wie lassen sich diese Phänomene politisch sensibel und ohne vorschnelle Urteilsfindung geistes- und kultur-wissenschaftlich untersuchen? Im Rahmen der Ringvorlesung „Vielfalt und Einheit“ des Einführungsstudiums Eins@FU (Fachliche Orientierung „Geist und Kultur“) präsentieren Vertreter*innen zahlreicher Disziplinen ein aktuelles Forschungsbeispiel aus dem Bereich „Vielfalt und Einheit“ und geben eine Einführung in ihr jeweiliges Fach.

Dienstag, 14:00 - 16:00 Uhr

Lernwerkstatt Kultur

Zufälle, Unfälle, Naturmagie - Die kontinuierliche Neuerfindung der Fotografie bis heute

     - Dr. Dennis Jelonnek

Mit den Worten „On the Art of Fixing a Shadow“, also etwa „Über die Kunst, einen Schatten festzuhalten“ überschreibt William Henry Fox Talbot einen Abschnitt zu den Eigenschaften der Fotografie in seinem Aufsatz „Some Account of the Art of Photogenic Drawing“ aus dem Jahr 1843. Talbot, einer der zentralen Protagonisten im Zusammenhang mit der Erfindung der ersten fotografischen Verfahren, war ein begnadeter Rhetoriker, wenn es darum ging, das Wesen des neuartigen Mediums in Worte zu fassen und einem erstaunten Publikum zu beschreiben – an anderer Stelle sollte er die fotografischen Bilder als das Ergebnis von „Naturmagie“ bezeichnen.

Bis heute hat die Fotografie nichts von ihrer Faszination eingebüßt und kann als eine Bildtechnik gelten, die sich in den über 180 Jahren seit ihrer Erfindung immer wieder neu erfunden und den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Anwendung angepasst hat – auch hierin liegt ein Moment der Flüchtigkeit, wie es Talbot anspricht. Wenn uns heute die (digitale) Fotografie weniger als „Naturmagie“ denn als allgegenwärtiges und unverzichtbares Bildmedium erscheint, dann kann dies als Resultat dieses erstaunlichen Anpassungsprozesses gelten.

In der Lernwerkstatt des Faches Kunstgeschichte wollen wir im Wintersemester einerseits historische Etappen und Anwendungsbereiche der Fotografie, etwa anhand prägnanter Bildbeispiele und Quellentexte, auf Ihrem Weg von der nicht reproduzierbaren Daguerreotypie zur Bildschirmanzeige auf unseren Smartphones erkunden. Andererseits wollen wir das Fach Kunstgeschichte durch das Medium Fotografie betrachten und kennenlernen, da diese die Fotografie nicht nur als einen ihrer Gegenstände kennt, sondern auch als eines ihrer Arbeitsmittel nutzt. Sofern die Umstände es erlauben sollen die Lektüre- und Diskussionsrunden durch Besuche von relevanten Fotografie-Ausstellungen ergänzt werden, sodass wir uns auf diesem Wege auch die Berliner Museumslandschaft erschließen.

Mittwoch, 16:00-18:00 Uhr

Lernwerkstatt Geist

Thinking, doing, reading Gender

     - Dr. Johanna Bundschuh-van Duikeren

Die Kategorie Gender ist immer wieder Gegenstand teils aufgeheizter gesellschaftlicher Debatten; ob es um geschlechtergerechte Sprache, Quotenregelungen oder Sexualkundeunterricht geht. In dieser Lernwerkstatt werden wir Geschichte und Gegenwart des Gender-Begriffs anhand der Lektüre von Auszügen aus einschlägigen Grundlagentexten (u.a. von Simone de Beauvoir und Judith Butler) kulturwissenschaftlich einkreisen. Dabei geht es darum, die Bezüge auf diese Theorien und Konzepte in den aktuellen Debatten erkennen und kritisch reflektieren zu können. Die Lernwerkstatt spannt den Bogen von den historischen Hintergründen moderner Geschlechterkonzeptionen (Thinking Gender), über die Beschäftigung mit der oft zitierten Formel des „Doing Gender“ (auch im Hinblick auf das Verhältnis zu den Forschungsdisziplinen Biologie und Anatomie), bis hin zu einem Einblick in philologische Arbeitsweisen und Erkenntnisse der Gender- und Queer Studies (Reading Gender). Schließlich soll ein kurzer Einblick in intersektionale Perspektiven auf und in den Gender-Studies geboten werden.

Mittwoch, 14:00-16:00 Uhr

Lernwerkstatt Kultur

Eure Heimat ist unser Alptraum - postmigrantische Literatur und arabische Diaspora

     - Victoria Mummelthei & Timo Sestu

Autor*innen, deren Texte noch vor einigen Jahren als Migrationsliteratur bezeichnet wurde, verstehen sich heute als postmigrantisch. Dieser Begriff, entstanden im diskursiven Umfeld des Maxim-Gorki-Theaters und aufgegriffen von Soziolog*innen wie Naika Foroutan und Erol Yildiz, fordert eine andere Sichtweise und betont Gemeinsamkeiten in der Erfahrung einer postmigrantischen Generation jenseits von Herkunft. In den Fokus rücken stattdessen auch soziale Herkunft, Sexualität und Geschlecht, und andere Erfahrungen von Marginalisierung. Der programmatische Ausruf an die sogenannte Mehrheitsgesellschaft lautet: Eure Heimat ist unser Alptraum.In dieser germanistisch-arabistischen Lernwerkstatt werden wir literarische und essayistische Texte lesen und diskutieren, die sich mit der Thematik von Identität und Identifizierungen, von Zugehörigkeit und Ausgrenzung auseinandersetzen. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf Texten, die mit Werken der arabischen Diaspora korrespondieren. Im Kontext der Globalisierung ist die arabische Literatur heute nur in ihrer internationalen und kulturellen Vernetzung zu verstehen. Migration und Exil sind dabei wichtige Themen. Darüber hinaus sind auch weitere Lektürevorschläge („nicht-arabischer“ Schriftsteller*innen) willkommen!

Dienstag, 10:00-12:00 Uhr

Lernwerkstatt Geist

Von Saalschlachten, frenetischen Applaus und Emojis – Theaterpublika im Wandel

     - Kai Padberg

Von Saalschlachten, frenetischen Applaus und Emojis - Theaterpublika im Wandel

„Ohne Publikum gibt es kein Theater“ lautet eine gängige Grundformel in der Theaterwissenschaft. Doch was macht ein Publikum zum Publikum im Theater? Gekaufte Eintrittskarten? Besonders aufmerksames Zuschauen oder der Applaus am Schluss? Das Zuschauen als Gruppe? Theatermacher*innen haben sich seit jeher viele Gedanken gemacht wie sie ihre Zuschauer*innen bzw. ihr „Publikum“ haben wollen. In den vielfältigen Geschichtsschreibungen und Positionen über Theaterpublika finden sich Saalschlachten, Spektakel und Massenrituale ebenso wie Absorbierung, die vierte Wand oder Überlegungen zur Katharsis. Viele vorherrschende Formen des gemeinsamen Zuschauens im Theater, die wir heute kennen, sind Ergebnisse historischer Transformationen. In den Auseinandersetzungen zwischen Theater und seinem Publikum verdichten sich Diskurse, gesellschaftliche Entwicklungen, künstlerische Strategien und technologischer Wandel.

Wir lesen ausgewählte Texte zu verschiedenen Positionen über Publikum sowie Analysen zu Veränderungen von Theaterpublika. Schließlich schauen uns an wie aktuelle Inszenierungen ihr Publikum adressieren, anordnen und einbinden. Wir werden diskutieren was zeitgenössische künstlerische Strategien, die mit Konzepten wie „Immersion“, „Partizipation“ oder „Digitalität“ arbeiten, für die Konstituierung und das Erleben von Publikum im Theater bedeuten. Im Rahmen des Seminars erkunden wir zudem die vielfältige Berliner Theaterlandschaft und besuchen verschiedene Theateraufführungen. Unsere Erfahrungen als Teil eines Publikums werden wir gemeinsam im Seminar besprechen, analysieren und in Beziehung zu den gelesenen Texten diskutieren.

Donnerstag, 16:00-18:00 Uhr

Lernwerkstatt Kultur

LW Bild

Von Ritterburg bis Bauernhütte: Wohnalltag im Mittelalter

     - Julian Helmchen

Dem europäischen Mittelalter hängt hartnäckig der Ruf an, eine „finstere“ Epoche gewesen zu sein. Nicht zuletzt liegt das daran, dass mit der vorangegangenen Antike urbanistischer Luxus assoziiert wird. Es ist allgemein bekannt, dass römische Häuser über Ziergärten, Wasserleitungen und Thermen verfügten. Im Mittelalter hingegen, so wird es zumindest gerne in Hollywood dargestellt, lebte man in baufälligen Hütten oder zugigen Türmen. Blickt man aber alleine auf die im 13. Jahrhundert erbaute Marienburg mit ihrem ausgeklügeltem Heizungssystem, bekommt dieses Bild empfindliche Risse. Freilich stand dieser Komfort hier nur einer privilegierten Gruppe zur Verfügung, aber auch die Wohnverhältnisse der durchschnittlichen Bevölkerung gestalteten sich wesentlich differenzierter. Daher wollen wir uns in diesem Seminar auf eine Rundreise durch eintausend Jahre mittelalterlicher Geschichte begeben, um den Wohn- und Lebensverhältnissen verschiedenster Menschen auf den Grund zu gehen. Dabei werden wir unter anderem reichen Grundherren, Mönchen hinter Klostermauern, Königen auf Reisen und Bürgern in ihren Stadthäusern begegnen. Um uns diesen anzunähern, werden wir auf vielfältige Quellen – vom Gedicht bis hin zum Steuerbuch – zurückgreifen und diese mit Hilfe mediävistischer Methoden und genauer Lektüren erschließen. Im Vordergrund stehen werden hierbei Fragen nach der Gestalt des Wohnraums, der sozialen Topographie, der Regulierung des Zusammenlebens und dem Zusammenhang zwischen Wohnen und Wirtschaft.

Freitag, 12:00-14:00 Uhr

Lernwerkstatt Geist

Technikphilosophie

     - Dr. Christian Krüger

Das menschliche Selbst-, Fremd- und Weltverhältnis ist heute mehr denn je von Technik geprägt. Mit nahezu blinder Selbstverständlichkeit setzen wir tagein tagaus technische Mittel ein, um bestimmte Ziele zu erreichen und haben wir uns daran gewöhnt, dass technische Erfindungen die Grenzen des uns Möglichen verschieben. Wir gebrauchen zahllose technische Geräte, die unsere emotionalen, sinnlichen und kogni­tiven Fähigkeiten auf vielfältige Weise beeinflussen und so mitbestimmen, wie wir uns selbst und die Welt erfahren. Zwischen­menschliche Beziehungen, gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse, unser Wohlbefinden und unsere Praktiken der Reproduktion sind durchdrungen von technischen Verfahren.

Aufgabe der Technikphilosophie ist es, auf diese technisch-technologische Bedingt­heit der Conditio humana zu reflektieren. Mit Rücksicht auf klassische Texte und neuere Debatten zur Technikphilosophie will das Seminar Grundprobleme des philosophischen Nachdenkens über Technik er­arbeiten. Wichtige Fragen sind: Was ist Technik? Ist Technik ein Mittel, das wir instrumentell nutzen, oder ein Medium, das den Möglichkeitsraum menschlichen Lebens aufspannt? In welchem Verhältnis stehen Technik und Natur (des Menschen)? Ist Technik neutral und wird nur in unseren Händen gut oder schlecht, oder sind in Technik bestimmte normative Logiken eingeschrieben, verfolgt Technik gar eine eigene Politik? Welche Versprechen und Gefahren birgt Technik und wie weit können wir Technikfolgen abschätzen?

Zur vorbereitenden Lektüre wird empfohlen:

  • Nordmann, Alfred: Technikphilosophie zur Einführung, Hamburg: Junius 2015.
  • Poser, Hans: Homo Creator. Technik als philosophische Herausforderung, Wiesbaden: Springer VS 2016.
  • Scharff, Robert C. (Ed.) / Dusek, Val (Ed.): Philosophy of Technology. The Technological Condition: An Anthology, 2nd Edition, Chichester: John Wiley & Sons 2014.
Freitag, 10:00-12:00 Uhr