Diversity-Verständnis
Der englische Begriff Diversity lässt sich im Deutschen zunächst wortwörtlich mit „Vielfalt“ übersetzen. Die inzwischen gängige Verwendung des Begriffs „Diversity“ im Deutschen weist aber auf ein Konzept hin.
Die Diversity-Strategie der Freien Universität Berlin baut auf einem Diversitätsverständnis auf, das mehrdimensionale Unterschiede zwischen Menschen entlang sozialer Kategorien anerkennt und wertschätzt. Bei den Unterschieden handelt es sich nicht um Charaktereigenschaften oder Lebensweisen, sondern um soziale Gruppen, die hinsichtlich Kategorien oder Dimensionen wie beispielsweise Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter, Religion, Behinderung und sozialem Status konstruiert werden.
Die Unterschiede sind mit vielen ineinandergreifenden – sogenannten intersektionalen – Ungleichheitsverhältnissen und Machtstrukturen verknüpft. Diese schaffen Barrieren, die dazu führen, dass manche Gruppen von Menschen nicht den gleichen Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe haben wie andere Gruppen.
Das heißt, Menschen werden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der Zuschreibung dieser Zugehörigkeit entweder pivilegiert oder benachteiligt bzw. diskriminiert. Erst durch den Abbau von Barrieren können Menschen sich mit ihren Unterschiedlichkeiten und spezifischen Bedürfnissen entfalten und teilhaben. Nur so kann eine reale Chancengleichheit entstehen. Daraus folgt, dass Antidiskriminierung ein inhärenter Teil unseres Diversity-Verständnisses ist.
Somit strebt die Freie Universität einen machtsensiblen und auch selbstkritischen Umgang mit Diversity an.
Horizontaler Ansatz
Die Freie Universität versteht Diversity als einen horizontalen Ansatz, der alle Dimensionen zu umfassen sucht. Durch einen solchen zielgruppenübergreifenden und intersektionalen Ansatz soll der Gefahr der Reproduktion und Verfestigung stereotyper Zuschreibungen durch die Benennung spezifischer Zielgruppen entgegengewirkt und die Umsetzung eines intersektionalen Ansatzes unterstützt werden. Gleichwohl sieht die Universität die Notwendigkeit spezifischer Strategien und Maßnahmen für bestimmte Gruppen, denn sie sind mit unterschiedlichen Barrieren konfrontiert und haben unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen und somit entsprechende Bedarfe.
Ein Fokus auf bestimmte Zielgruppen macht deren Benachteiligung sichtbar und thematisierbar und eröffnet Möglichkeiten zur Bearbeitung und Behebung von Benachteiligung. Eine systematische Betrachtung konkreter Zielgruppen, für die Lösungsansätze gefunden werden, kann zudem in die übergreifende Diskussion über Diversity und der strukturellen Verankerung entsprechender Maßnahmen in die langfristige strategische Planung der Universität zurückfließen.
Intersektionalität
Diskriminierung ist häufig auf das Zusammenspiel verschiedener Merkmale zurückzuführen wie ethnische oder soziale Herkunft, Religion oder Geschlecht (sogenannte mehrdimensionale Diskriminierung). Beispielsweise unterscheiden sich die Erfahrungen von Frauen of Color mit einem vermeintlich nichtdeutschen Namen und islamischem Glauben oft von den Erfahrungen weißer Frauen und anderer People of Color, die nicht als Muslim*innen wahrgenommen werden. Dieses Zusammenspiel von ineinandergreifenden Ungleichheitsverhältnissen bzw. Diskriminierungsstrukturen wird manchmal mit dem Konzept „Intersektionalität“ beschrieben.
Sowohl bei horizontalen als auch bei vertikalen Ansätzen werden die Dimensionen und Kategorien aus intersektionaler Perspektive als ineinandergreifend, das heißt miteinander verschränkt, begriffen. Zum Beispiel gilt es bei Beratungsangeboten für Personen mit Behinderungen (vertikaler Ansatz), die Verknüpfung mit anderen Dimensionen, zum Beispiel Geschlecht, Alter, sozialer Status, Sprache, rassistische Zuschreibung, zu berücksichtigen. Das heißt, dass berücksichtigt wird, dass Mädchen und Frauen mit einer Behinderung einem erheblich höheren Risiko ausgesetzt sind, sexualisierte Gewalt zu erfahren als Jungen und Männer mit einer Behinderung und als Mädchen und Frauen ohne Behinderung. Zugleich sind viele von ihnen mit höheren Zugangsbarrieren zu Beratung und Hilfe bei sexualisierter Gewalt konfrontiert als die meisten Mädchen und Frauen ohne Behinderung. Diese Barrieren sind noch höher, wenn beispielsweise Beratung nicht in einer Sprache angeboten wird, die die Person beherrscht.
Das Ineinandergreifen der Kategorien und der Ungleichheits- und Machtstrukturen beeinflusst die Erfahrungen und die materiellen und sozialen Ressourcen, die einer Person zur Verfügung stehen. Bei der Anerkennung von Diversity gilt es, die komplexen und dynamischen Lebensrealitäten anzuerkennen und in der Arbeit angemessen zu berücksichtigen, auch wenn der Fokus der Arbeit auf einer bestimmten sozialen Kategorie liegt.
Für die Diversity-Strategie der Freien Universität bedeutet das unter anderem, dass die Sensibilisierung und die Arbeitsstrukturen, die eine gute Vernetzung der vielen Diversity-Akteur*innen der Universität ermöglichen, unabdingbar sind, denn eine umfassende Expertise jeder Anlaufstelle in Bezug auf alle Diversity-Dimensionen und Ungleichheitsverhältnisse kann nie erreicht werden.
Diversity als Querschnittsaufgabe
Diversity wird als Querschnittsaufgabe der Universität verstanden. Einer der handlungsleitenden Grundsätze der Diversity-Strategie der Freien Universität ist ein Mainstreaming-Ansatz, bei dem die Förderung von Diversity in der Arbeit aller integriert ist, verschränkt mit Fachstellen mit spezifischer Expertise und Aufgaben. Somit gilt es, Diversity auch in andere Prozesse und Aufgaben der Universität einzubetten, deren Fokus nicht explizit diversitybezogen ist.