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Drei Frauen, drei Wege, eine Universität

In 70 Jahren nahmen hunderttausende Karrieren ihren Anfang an der Freien Universität. Drei ehemalige Studentinnen berichten zum Jubiläum über ihr Studium in Dahlem.

09.12.2018

Jutta Eliks studierte englische und italienische Philologie, heute arbeitet sie als Journalistin.

Jutta Eliks studierte englische und italienische Philologie, heute arbeitet sie als Journalistin.
Bildquelle: Sarah Glaubach

Jutta Eliks war 19, das Abitur rückte näher, sie lebte in einer kleinen Stadt in Westfalen – „und ich hatte den bekannten Drang nach Berlin“, erzählt sie. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hatte sie die Hauptstadt zum ersten Mal besucht und beschlossen: Hier will ich studieren. Englische und italienische Philologie sollten es werden. Als sie zum Sprachtest erstmals in Dahlem aus der U-Bahn stieg, war sie sofort verliebt in die Uni, den Campus, die Entschleunigung. „Ob ich prokrastiniert habe? Aber hallo!“, sagt sie lachend. Plötzlich schaute ihr niemand mehr auf die Finger wie in der Schule, plötzlich merkte sie, dass sie sich selbst organisieren musste, „denn ohne Struktur bin ich erstmal völlig ausgeufert“.

Erste Maßnahme, man kennt es: Seminare so legen, dass mindestens ein Wochentag ganz frei bleibt. Viel Zeit verbrachte sie in der Philologischen Bibliothek zwischen Rost- und Silberlaube, „im Gehirn“, wie sie den Ort nennt. „Ich habe da sehr gerne recherchiert und gearbeitet“, sagt sie und schwärmt von „der absoluten Ruhe, den tollen Rückzugsmöglichkeiten und den gemütlichen Lesesesseln in der obersten Etage“. Auch dem Unichor des Collegium Musicums widmete sie viel Zeit. Jutta Eliks Stimmlage ist Alt, der Chor sang unter anderem Stücke von Mozart. Zweimal im Jahr trat er in der Berliner Philharmonie auf, „in diesem tollen Saal, der ausschließlich für die Akustik konstruiert wurde“.

Doch schnell lernte sie, Zeit vor allem effizient zu nutzen: Erstens lernte sie Italienisch an der Freien Universität viel schneller und besser, als es in der Schule möglich gewesen wäre. „Es ist erstaunlich, welches Sprachniveau man schon nach einem Semester erreicht“, sagt sie. Zweitens denkt sie heute manchmal fast wehmütig an die Mensen zurück – wegen der Zeitersparnis: „In der Mensa dauert der Entscheidungsprozess nicht so lang. Jetzt im Berufsleben nervt mich die Frage ,Was esse ich heute zu Mittag?’ jeden Tag aufs Neue.“ Drittens lernte sie in einem Präsentationsseminar im Englischstudium, kurz, präzise und spannend zu berichten. Ihre Aufgabe: ein Referat zu einem frei gewählten Thema. Einzige Bedingung ihrer Dozentin: „Es muss spannend sein.“ Jutta Eliks wählte das Phänomen des seltenen „foreign accent syndrome“, bei dem Menschen nach einer Kopfverletzung mit dem Akzent eines Nicht-Muttersprachlers zu sprechen beginnen. Und sie schaffte es, ihre Zuhörer mit dem Thema zu fesseln. Diese Erfahrung gab womöglich den letzten Ausschlag für ihre Laufbahn im Journalismus. Schon zu Schulzeiten hatte sie ein Praktikum bei der Lokalzeitung gemacht, die Semesterferien nutzte sie für ein weiteres Praktikum beim Radio. Nach dem Studium erhielt sie einen Platz an der Axel-Springer-Akademie, es folgte ein Volontariat – und heute arbeitet Jutta Eliks als Video-Redakteurin beim Online-Frauenmagazin „GoFeminin“. Einen Satz aus dem Seminar von damals wendet sie heute als Redakteurin selbst an, wenn jemand nicht auf den Punkt kommt: „Erklär es mir so, wie du es einer Freundin erzählen würdest.“


Heide Wrobel Nørgaard promovierte in Ur- Und Frühgeschichte an der Universität Aarhus, an der sie heute als PostDoc beschäftigt ist.

Heide Wrobel Nørgaard promovierte in Ur- Und Frühgeschichte an der Universität Aarhus, an der sie heute als PostDoc beschäftigt ist.

Heide Wrobel Nørgaard ist sofort per Du. „Ich bin schon so lange in Dänemark, da klingt ,Frau Doktor’ komisch für mich“, sagt sie. Sie hat in Ur- und Frühgeschichte promoviert. Ihre Begeisterung dafür erwachte in der Schulzeit, bei einem Referat über Heinrich Schliemann und das Gold von Troja: „Mama, ich will auch so einen Schatz haben“, verkündete sie. „Oder einen bauen.“ Wer Schätze „bauen“ will, sollte Gold schmieden können – das lernte Heide Wrobel Nørgaard nach dem Abitur. Doch ihr Interesse ging über die Ausbildung hinaus: Sie wollte lernen, historische Schmuckstücke nachzubauen. „Gerade in der Bronzezeit sind die schönsten Stücke entstanden“, sagt sie.

Und so schrieb sich die Berlinerin an der Freien Universität für Ur- und Frühgeschichte ein. Dass sie mit dem Fach nicht reich werden würde, wusste sie spätestens nach der Auftaktvorlesung: „Wenn Sie Geld verdienen wollen, gehen Sie jetzt und werden Sie Zahnärzte“, sprach Professor Bernhard Hänsel. Heide Wrobel Nørgaard blieb und arbeitete fortan archäologisch: Sie grub und kratzte, pinselte und kategorisierte. Im Oderbruch, in Ungarn oder auf dem sandigen Boden Mecklenburgs war sie mit Spitzhacke, Schaufel und Schubkarre unterwegs, identifizierte Überbleibsel bronzezeitlicher Lehmöfen und Pfahlbauten. Daneben lernte sie viel über bronzezeitliche und altertümliche Metallverarbeitung. Schmelzen, gießen, erstarren lassen – das beherrschten die Menschen schon vor 4.000 Jahren. Sie wussten, welche Mischverhältnisse eine Legierung härter oder flexibler machen, und sie kannten Methoden, die heute fast vergessen sind. „Das Granulieren etwa, bei dem kleine Metallkugeln mit einer metallenen Unterlage verbunden werden, war um das Jahr 0 herum weit verbreitet“, erzählt Heide Wrobel Nørgaard. „Im Mittelalter ging diese Technik verloren; erst im 19. Jahrhundert fing man wieder damit an.“

Das Erasmus-Semester verbrachte sie in Aarhus – später promovierte sie dort, heute spürt sie als PostDoc in Aarhus frühzeitlichen Handelswegen und -plätzen nach. Dafür nutzt Heide Wrobel Nørgaard unter anderem die Blei-Isotopenanalyse. Diese Methode hat sie am Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie in Mannheim gelernt. Man kann damit indirekt feststellen, woher ein Metallgegenstand stammt – genauer gesagt kann man ausschließen, woher er nicht stammt. Und so klickt sie sich heute am Computer durch endlose Excel-Tabellen und sucht in riesigen Datenmengen nach Anhaltspunkten für die Herkunft von Metallen. Ist das nicht langweilig? Da widerspricht sie energisch: „An Archäologie ist alles toll!“


Helena Kandarova leitet heute die Europazentrale eines US-Biotechnologieunternehmens. Ihre Doktorabeit schrieb sie an der Freien Universität.

Helena Kandarova leitet heute die Europazentrale eines US-Biotechnologieunternehmens. Ihre Doktorabeit schrieb sie an der Freien Universität.
Bildquelle: privat

Helena Kandarova ist auf einer Mission: Sie will Tierversuche durch ihre Forschung weitgehend überflüssig machen. Schon in ihrer Bachelorarbeit, die sie an der Slowakischen Technischen Universität in Bratislava schrieb, befasste sie sich mit alternativen Testmethoden in der Kosmetikforschung. Im Master nahm sie einen Umweg, schrieb über die Stabilität von Emulsionen mit UV-Filtern, bevor für sie als Doktorandin die Tierversuche wieder in den Fokus rückten. Auf Umwegen kam sie dabei 2003 auch an die Freie Universität. „Es war damals sehr schwierig, Forschungsgelder zu erhalten, und gerade in der In-vitro-Forschung kann man ohne Geld nichts machen“, sagt sie. Sie schaute sich deshalb europaweit um, kam in Kontakt mit deutschen Forscherinnen und Forschern und landete schließlich in Berlin.

Erst sollte sie nur für ein Jahr bleiben, doch dann wurden es drei, in denen sie ihre Doktorarbeit abschließen konnte – in einer Art Joint-Venture zwischen der Freien Universität und dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). An dessen „Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ (ZEBET) forschte sie im Labor an 3D-Modellen menschlichen Hautgewebes und verschlang Fachliteratur. Monika Schäfer-Korting, Professorin am Institut für Pharmazie, fungierte als ihre Doktormutter, während Dr. Manfred Liebsch am BfR ihre Arbeit begleitete. „Sie haben mich quasi adoptiert“, sagt Helena Kandarova. „Ich hatte wirklich großes Glück.“ 2003, vor dem EU-Beitritt der Slowakei, war es für Arbeitskräfte aus Osteuropa noch besonders schwer, in Westeuropa zu arbeiten oder zu forschen. In Berlin tat sich für Helena Kandarova eine völlig neue Welt auf – auch das war ein Grund, warum sie sich so in die Studien stürzte. „Ich habe in der Zeit etwa 10.000 Stunden gearbeitet“, sagt sie. „Westliche Studierende wissen manchmal gar nicht zu schätzen, was ihnen alles zur Verfügung steht.“

Heute arbeitet sie für das US-Biotechnologieunternehmen „Mattek“, das genau die Art künstlichen Hautgewebes produziert, an dem sie damals geforscht hat. Seit zehn Jahren leitet sie in Bratislava die Europazentrale des Unternehmens, die sie auch aufgebaut hat. „Man kann heute schon eine Menge ohne Tierversuche machen“, sagt sie. „Und in 20, 30 Jahren wird Computertechnologie noch viel mehr Versuche ersetzen können.“ Helena Kandarova ist der Freien Universität dankbar für die Chance, die sie damals bekam: „Ich wünschte, es gäbe mehr solche Unis, und ich wünschte, osteuropäische Unis würden von ihr lernen.“