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Mr. Europa

Wolfgang Mackiewicz rief das Sprachenzentrum der Freien Universität ins Leben und etablierte das Erasmus-Austauschprogramm. Seiner Leidenschaft geht er im Ruhestand weiter nach.

26.06.2017

Wolfgang Mackiewicz rief an der Freien Universität das Sprachenzentrum ins Leben und etablierte dort auch das europäische Erasmus-Austauschprogramm.

Wolfgang Mackiewicz rief an der Freien Universität das Sprachenzentrum ins Leben und etablierte dort auch das europäische Erasmus-Austauschprogramm.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Wolfgang Mackiewicz hat das Rollo heruntergelassen, Neonlicht hält den trüben Regentag draußen vor dem Fenster seines Büros im ersten Stock der unscheinbaren Dahlemer Villa, die sich gleich gegenüber der Rostlaube unter Lärchen duckt. Mehrere Regalmeter Aktenordner lassen erahnen, wie intensiv sich Mackiewicz zeit seines Lebens einer der wichtigsten Zentraleinrichtungen der Freien Universität gewidmet hat – dem Sprachenzentrum. Dessen Leitung hat er zwar 2011, „im zarten Alter von 71 Jahren“, an die promovierte Romanistin Ruth Tobias abgegeben, ein Büro hat er an der Freien Universität aber immer noch. Gerade ist er aus Brüssel zurück, wo er als Berater an einer öffentlichen Veranstaltung des EUForschungsprojekts „MIME – Mobilität und Inklusion in einem vielsprachigen Europa“ teilgenommen hat. Leider befinde sich das Thema Mehrsprachigkeit „sowohl in der EU-Kommission als auch beim Europarat in Straßburg in einem steilen Sinkflug“, klagt er.

Das war nicht immer so. Die EU-Fahne auf Mackiewicz’ Schreibtisch und die drei Urkunden an der Wand zeugen davon – es sind Ehrendoktorwürden von Hochschulen in Brüssel, Lille und Cluj. Sie erzählen von einer langen akademischen Karriere im Dienste Europas, immer eng verbunden mit der Freien Universität. „Ohne deren Unterstützung hätte ich niemals ein „European Player“ werden können“, sagt er. 1959 nahm der gebürtige Berliner Mackiewicz dort sein Studium in Germanistik und Anglistik auf. Das Gymnasium hatte er mit einer Eins in Englisch abgeschlossen – doch Sprachen, erzählt er, lernte man damals „wie Latein, mit Übersetzen von und in die Fremdsprache und viel Grammatik, aber nicht als Kommunikationsmittel“. Als er noch vor dem Studium zum ersten Mal auf einen englischen Muttersprachler traf, verstand er kein Wort, und sein Gegenüber auch nicht. Er dachte schon daran, sich für ein anderes Fach einzuschreiben, doch die Studienstiftung des Deutschen Volkes schickte ihn 1961 zu einem Englisch-Ferienkurs an die University of London und anschließend für zwei Trimester zum Studium an die Universität Leeds, ein gutes Vierteljahrhundert, bevor er selbst im Rahmen des europäischen Erasmus-Programms die erste Studentin der Freien Universität nach Großbritannien schickte (siehe Titelgeschichte). „Das war für mich ein Durchbruch“, sagt Mackiewicz. „Ich bin in eine bilaterale Lage gekommen, konnte mich selber von außen sehen.“ Nach dem ersten Staatsexamen für das Lehramt 1967 – „Ich habe, wie so viele damals, ewig studiert“ – wurde er Assistent am Englischen Seminar, später entwickelte er an der Technischen Universität Braunschweig einen Masterplan für den Aufbau eines Sprachenzentrums.

Auch im Ruhestand will Wolfgang Mackiewicz den Geist der Mehrsprachigkeit und Internationalität in die Welt tragen.

Auch im Ruhestand will Wolfgang Mackiewicz den Geist der Mehrsprachigkeit und Internationalität in die Welt tragen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ab 1973 baute er dann – gemeinsam mit seinem Kollegen Harald Preuss – das Sprachenzentrum der Freien Universität auf, das damals noch „Sprachlabor“ hieß. Dabei ging er weit über die damaligen Empfehlungen des Europarates hinaus: Das Sprachenzentrum ist bis heute zuständig für die Sprachpraxis in vielen philologischen und Regionalstudiengängen. 13 Sprachen bietet es derzeit an – darunter nicht nur europäische Sprachen, sondern auch Japanisch, Arabisch oder Persisch. Damit ist es „fast einzigartig in Europa. Darauf bin ich sehr stolz“, sagt er. Doch mit besserem Unterricht allein ist es nicht getan, das war Mackiewicz seit seiner eigenen Studienzeit klar. Umso wichtiger war es ihm denn auch, möglichst viele Studierende eine Zeitlang auf eine Hochschule in einem Zielsprachenland zu schicken. Er nutzte seine guten Kontakte zum British Council, den man vielleicht mit dem Goethe-Institut vergleichen kann, und der in Westberlin der Militärregierung unterstand. „Die haben meinen Kollegen Harald Preuss und mich auf eine Tournee nach Großbritannien geschickt“, erzählt Mackiewicz. Dabei vereinbarten sie in den frühen 80er Jahren einen Austausch mit fünf Universitäten – Bath, Essex, Ulster, Southampton und Edinburgh.

1987 startet das Erasmus-Austauschprogramm

Als die Staaten der Europäischen Gemeinschaft dann 1987 das Erasmus-Programm beschlossen, wurde es anfangs folgerichtig auch beim Sprachenzentrum angesiedelt – die Pioniere dort verfügten über einen großen Erfahrungsschatz. Und sie nutzten ihn auch: Schon im ersten Erasmus- Jahr kooperierte die Freie Universität mit Hochschulen in Padua und Thessaloniki, Amsterdam und Grenoble, Dundee und Paris. Nicht umsonst gilt Mackiewicz heute als „Geburtshelfer“ des Erasmus-Programms an der Freien Universität. Umgekehrt weitete Erasmus seinen Blick, er gewann eine europäische Perspektive und Zugang zu den EU-Institutionen. Sein Einsatz für die Mehrsprachigkeit führte ihn zu Hochschulen in ganz Europa. „Ich war überall“, sagt er. Er beriet die EU-Kommission und den Europarat in Sachen Mehrsprachigkeit, er saß dem Europäischen Sprachenrat vor und ist bis heute dessen Ehrenvorsitzender, er war Bologna-Beauftragter des Präsidiums der Freien Universität und nationaler Bologna-Promotor des Bundesbildungsministeriums – zu einer Zeit also, als es darum ging, wie die Hochschulen in Europa näher zueinander finden könnten, ohne ihr eigenes Profil aufzugeben. Nach der Wende war er maßgeblich am Aufbau eines Sprachenzentrums an der neugegründeten Universität Potsdam beteiligt, er war Gutachter für das „European Language Portfolio“ des Europarates – und er koordinierte entscheidende Phasen des EU-Projekts „Dialang“, das einen diagnostischen Online-Test für 14 europäische Sprachen entwickeln sollte.

Pendeln zwischen Berlin und Brüssel

Auch heute wirkt Mackiewicz weiter, in Brüssel ebenso wie an seiner Heimatuniversität – und wenn möglich, führt er beides zusammen. Momentan engagiert er sich etwa in einer Initiative des Europäischen Sprachenrats zum Thema „Sprachen und Wissenschaft“ und will 2018 an der Freien Universität eine internationale Tagung dazu durchführen. An diesem Nachmittag hat er Sprechstunde am Institut für Englische Philologie, denn als Honorarprofessor gibt er nach wie vor Seminare und Vorlesung. Er selbst ging 1981 in seiner Promotion am Beispiel von „Robinson Crusoe“ der Frage nach dem Verhältnis Daniel Defoes zum Puritanismus nach. „In meiner ganzen Arbeit waren und sind mir zwei Dinge besonders wichtig“, sagt er: „die Studierenden – und das, was sie nach dem Studium in der Gesellschaft machen werden.“ Dabei hofft Mackiewicz, dass sie den Geist der Mehrsprachigkeit und Internationalität in die Gesellschaft tragen, den sie an der Freien Universität kennengelernt haben. „Laufen Sie doch nur mal durch die Gänge der Rostlaube, da hören Sie dutzende Sprachen“, sagt er. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die deutschen Studierenden davor zurückschrecken.“ Er selbst tut das sowieso nicht. Auch wenn er „das Unbehagen vieler Menschen über die Globalisierung“ verstehen könne, bleibt er dabei: „Europa muss sich in einem globalen Kontext verstehen und offen bleiben, auch unter den aktuell schwierigen Bedingungen.“