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Promovieren für den Elfenbeinturm? Von wegen!

Jahr für Jahr machen sich Tausende junger Nachwuchswissenschaftler*innen auf den Weg zur Promotion. Die Freie Universität Berlin ehrt jedes Jahr Alumni, die bereits ihr silbernes oder goldenes Promotionsjubiläum begehen können. Wir stellen drei von ihnen vor.

Wer seine Doktorarbeit erfolgreich abgeschlossen hat, erntet dafür meistens viel Anerkennung Außerhalb der wissenschaftlichen Community jedoch bekommt man durchaus auch mal die eine oder andere spitze Bemerkung zu hören, wie „Im praktischen Leben kann man damit aber nicht so viel anfangen, oder?"

Dass solche „Elfenbeinturm“-Klischees oft nicht zutreffen, zeigen etliche Beispiele aus der Vielzahl von Promotionen, die seit der Gründung der FU Berlin erfolgreich abgeschlossen wurden.

Dr. Hannelore Börgel, Ökonomin, Promotion 1974

Dr. Hannelore Börgel

Dr. Hannelore Börgel
Bildquelle: Patricia Kalisch

Hannelore Börgel, „goldene“, promovierte Ökonomin, die ihre Doktorarbeit 1974 über „Abhängige Entwicklung und Inflation in Brasilien“ abschloss, muss über derlei Vorurteile schmunzeln. Denn seit vielen Jahren steckt die gebürtige Osnabrückerin, die einst zum Studium der Volkswirtschaftslehre und Politologie an die FU Berlin kam, all ihr Fachwissen und ihre menschliche Erfahrung in Projekte der Entwicklungszusammenarbeit.

Nach der Promotion absolvierte sie noch ein Postgraduierten Studium am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Arbeitete dann unter anderem als Redenschreiberin für die Ministerin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bevor sie sich als Gutachterin und Beraterin in der Entwicklungszusammenarbeit selbständig machte. Für Berlin und die FU hat sie sich bewusst entschieden. Berlin war damals „in“ und die FU DIE Reformuniversität. Ihr verdankt sie auch ein Austauschstipendium an der University of Minnesota, USA und ein Promotionsstipendium.

Dass sie promovieren würde, war keine Frage. Von ihrer Mutter, die nach dem Tod des Vaters in der Wirtschaftswunderzeit den großen Handwerksbetrieb allein weiterführte, hat sie vor allem die Einstellung mitbekommen, „dass man als Frau selbstverständlich all das machen kann, was Männer können“.

Sie bereist seit Jahrzehnten Länder in Asien, Afrika und Südamerika und leitet interkulturelle Teams vor Ort. Ihre Auftraggeber neben dem BMZ sind unter anderem politische Stiftungen, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeite, Nicht-Regierungsorganisationen und die Kreditbank für Wiederaufbau.

Sie hält Vorträge, gibt Zeitungen und Rundfunksendern regelmäßig Interviews und hat bereits mehrere Bücher über ihre Erfahrungen veröffentlicht. Nach Afghanistan, etwa, ist sie seit 2002 fast jedes Jahr gereist. Seit der Machtübernahme der Taliban, 2021, ist dort Vieles schwieriger geworden, vor allem die Situation der Frauen. „In kleinen Ortschaften abseits der großen Städte kommen oft Frauen auf mich zu, die sagen: ‚Bitte, vergesst uns nicht, kommt zurück und unterstützt uns‘“, sagt die Ökonomin.

Offiziell ist es Frauen verboten, außerhalb ihres Hauses einer Arbeit nachzugehen oder auch nur ohne männliche Begleitung auf den Markt zu gehen. Der Besuch höherer Schulen ist ebenfalls tabu. „Was mich sehr berührt ist, dass nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer auf mich zukommen. Sie suchen Rat und Unterstützung, weil sie alles versuchen wollen, um die Situation ihrer Frauen, Schwestern und Töchter stillschweigend zu verbessern und ihnen so mehr wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Damit leisten sie eine Art von stillem Widerstand.“

Im Juli 2024 war Hannelore Börgel zuletzt in Afghanistan und verfasste eine Studie zum Resilienzaufbau im ländlichen Afghanistan für eine Nichtregierungsorganisation. Man merkt schnell, dass ihr das Land sehr am Herzen liegt, und eine Sache stört sie sehr: „Wenn über Afghanistan gesprochen oder geschrieben wird, geht es meistens um die Korruption im Land und dass Hilfsprojekte letztlich daran scheitern. Aber das kann man so pauschal nicht sagen“, betont sie.

Im Norden, wo sich Deutschland stark mit Projekten engagiert hat, gebe es spürbare Verbesserungen. „Es sterben heute beispielsweise weniger Frauen bei oder nach der Geburt ihrer Kinder, weil mit deutschen Hilfsmitteln Straßen gebaut wurden, über die man deutlich schneller und sicherer als früher ins nächstgelegene Krankenhaus kommt.“ Solche in westlichen Augen simplen Veränderungen hätten oft große Wirkungen, deshalb seien gezielte Aufbauprojekte weiterhin wichtig.

Fühlt sie sich als Frau sicher in Afghanistan und wird sie respektvoll behandelt, wenn sie fast ausschließlich mit Männern über Entwicklungsprojekte spricht? „Das hat in Afghanistan noch nie eine Rolle gespielt. Ich spreche mit allen auf Augenhöhe“, betont Hannelore Börgel. Alle Partner in afghanischen Organisationen vor Ort seien an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert.

Die vom Alumni-Büro der Freien Universität organisierte Festveranstaltung zur Silbernen und Goldenen Promotion versammelt nicht nur die unterschiedlichen Disziplinen und Promotionsthemen, sondern ist auch immer ein Treffen zweier Generationen von ehemaligen Promovierenden: Ihre silberne Promotion feierten in diesem Jahr auch zwei Alumni, die sich in ihrer Arbeit mit der Vielfalt des Pflanzen- und Tierlebens beschäftigen und einen wichtigen Beitrag leisten, um die Öffentlichkeit für das Thema Artenschutz zu sensibilisieren – ganz im Sinne des Jahres der Biodiversität 2024 an der Freien Universität.

Dr. Michael Stech, Biologe, Promotion 1999

Dr. Michael Stech

Dr. Michael Stech
Bildquelle: Patricia Kalisch

Die meisten Menschen denken bei Moos an den hübschen, samtig-grünen Teppich, der im Wald unter Bäumen zu finden ist. Doch die Welt der Moose – Bryophyta, so ihre wissenschaftliche Bezeichnung – ist vielfältiger. Dass Moose auch einen Beitrag für das Klima und als Lebensraum für noch kleinere Organismen in Großstädten leisten können, wenn man sie dort, zum Beispiel auf grünen Dächern und an Häuserfassaden, gezielt wachsen und gedeihen lässt, ist zum Beispiel weniger bekannt.

Der Biologe Dr. Michael Stech konzentriert sich in seiner anwendungsbezogenen Forschungsarbeit auf diese „Hidden Champions“ unter den Pflanzen. Ihre biologische Vielfalt mit den auf ihren lebenden Bakterien und Pilzen und ihre vielfältigen klimaverbessernden Eigenschaften faszinieren den 54-Jährigen. „Moose speichern Wasser und dämpfen Geräusche. Außerdem filtern sie natürlich auch CO2 aus der Luft“, erläutert Stech, der als Senior Researcher am Naturalis Biodiversity Center im niederländischen Leiden arbeitet. Seit 2007 lebt er mit seiner Familie in der hübschen 130.000-Einwohner-Stadt, zunächst als Assistant Professor an der Universität Leiden, dann wechselte er zum Naturkundemuseum Naturalis.

Stech wuchs in der Nähe von Bonn auf und beschäftige sich schon als kleiner Junge so intensiv mit Pflanzen und Naturschutz wie andere Jungs mit Paninibildchen oder Matchbox-Autos. Keine Frage, dass Stech in der Oberstufe Biologie als Leistungskurs wählte und anschließend an der Universität Bonn Biologie studierte.

Nach dem Studium zog er für die Promotion nach Berlin. „Für meine Doktorarbeit habe ich mich mit der damals noch relativ neuen DNS-Sequenzierung beschäftigt, die Verwandtschaft von Moosarten erforscht und dafür ihr Erbgut entziffert. An der FU Berlin, am Institut für Biologie – Systematische Botanik und Pflanzengeographie, fand ich dafür beste Arbeitsbedingungen“, sagt Stech. Er fügt lächelnd hinzu: „Natürlich habe ich auch die Großstadt sehr genossen. Und auch privat passierte viel: Ich habe in der Zeit meine Frau kennengelernt, und unsere Tochter wurde geboren.“

Heute ist Leiden die Heimat der Familie. Die Arbeit am Naturalis Biodiversity Center sei für ihn ideal, schwärmt Stech „Ich arbeite als Wissenschaftler und kann mit meiner Arbeit am Museum den Menschen vermitteln, wie wichtig biologische Vielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt ist.“ Auch auf Niederländisch, denn das, sagt Stech augenzwinkernd, spreche er nach 17 Jahren im Land ganz passabel.

Dr. Nicola Gaedeke, Biologin, Promotion 1999

Dr. Nicola Gaedeke

Dr. Nicola Gaedeke
Bildquelle: Patricia Kalisch

„Die Promotion hat sich für mich gelohnt, weil ich seitdem weiß, wie schön es ist, voll in ein Thema einzutauchen und sich dabei die Tiefe dieses Themas erst erschließt“, sagt Nicola Gaedeke, wenn sie danach gefragt wird, warum sie die Entscheidung zu promovieren, nie bereut hat. „Auf der Suche nach pflanzlichen Anionenkanälen: Molekulare Klonierung, Funktionelle Charakterisierung und die Analyse ihrer Expressionsmuster“, lautet der Titel ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam und an der FU Berlin. Für Laien klingt das kompliziert, für Nicola Gaedeke war die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Genetik der Pflanzen faszinierend.

Zwar arbeitet sie heute nicht mehr als Forscherin, hat allerdings als Leiterin der Berliner Naturschutzakademie der Stiftung Naturschutz nach wie vor mit Pflanzen und anderen schützenswerten Lebewesen zu tun. Die 56-Jährige koordiniert Fortbildungsworkshops und Seminare für Multiplikator*innen, die haupt- oder ehrenamtlich im Naturschutz arbeiten und in den Veranstaltungen Interessantes über Selbstorganisation, regionales Saatgut oder invasive Arten erfahren.

Die Stiftung vergibt zudem jedes Jahr einen Naturschutzpreis. 2023 ging dieser an eine Mitarbeiterin der FU Berlin: Sophie Lokatis wurde für ihre Initiative „Blühender Campus“ ausgezeichnet.

Gaedeke, die in Hamburg aufwuchs, hat in ihrem Berufsleben einige Male Neues begonnen. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin studierte sie Biologie in Göttingen. Nach der Promotion und Postdoczeit in Potsdam zog sie mit ihrem Mann, einem Mediziner, nach Salt Lake City. Ihr Mann arbeite in einem Forschungsprojekt an der dortigen Universität, ihre älteste Tochter wurde in den USA geboren. „Ich war auf der Suche nach einer sinnstiftenden Arbeit, die National Library of Medicine wiederum suchte eine wissenschaftliche Bibliothekarin, die Datenbankrecherche unterrichten konnte. Der Bereich hat mich sehr interessiert, und ich bekam meine Chance“, berichtet sie.

Zurück in Berlin arbeitete sie weiter im Bereich der biowissenschaftlichen Datenbankrecherche und machte sich mit Workshops und Kursen für Wissenschaftler*innen selbständig. Und bekam nach 13 Jahren als Freelancerin Lust auf eine neue Aufgabe: im Naturschutz, kombiniert mit Bildung. Um die Arbeitsfelder der Stiftung Naturschutz besser kennenzulernen, absolvierte Gaedeke dort ein Bundesfreiwilligen-Jahr, ehe sie angestellt wurde. Sie hat den Wechsel nie bereut: „Ich arbeite in einem tollen Team, in dem alle das gleiche Anliegen haben: Diversität zu fördern, in der Natur wie im gesellschaftlichen Leben.“

Mareike Knoke