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Lesen und Schreiben in Stichpunkten

Kurz-fundiert

04.06.2010

Hokuspokus oder handfeste Wissenschaft? Ergebnisse der Schriftpsychologie hören sich bisweilen zumindest recht wundersam an.

Hokuspokus oder handfeste Wissenschaft? Ergebnisse der Schriftpsychologie hören sich bisweilen zumindest recht wundersam an.
Bildquelle: photocase/BPP95 www.photocase.de/foto/15835-stock-photo-hand-schule-schreiben-wissenschaften-schreibstift-bildung

Schreiben füllt Bücher, Lesen auch. Um diesen kurzen Satz zu schreiben, braucht man 31 Zeichen. Hoffentlich genug, um Sie als Leser neugierig zu machen auf die letzten drei Seiten dieses Heftes. Denn hier können Sie noch einiges lesen, was bislang beim Schreiben zu kurz kam: Wichtiges und Amüsantes, zum Thema Lesen und Schreiben, aus verschiedenen Perspektiven, zusammengefasst in knapp 8000 Buchstaben. 

Was wird denn heute gelesen?

Der Medienkrise zum Trotz: Deutschland ist immer noch ein Zeitungsland. Dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V. zufolge gab es 2009 immer noch 352 Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von 20,8 Millionen Exemplaren, außerdem 27 Wochenzeitungen und sieben Sonntagszeitungen. Mehr als 1.200 Fachzeitschriften und rund 900 Magazine, wie die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) angibt, sorgen zusätzlich dafür, dass der Lesestoff nicht ausgeht. Im Schnitt liest jeder Deutsche jeden Tag 36 Minuten Zeitung, 46 Millionen, die älter als 14 sind, nehmen täglich eine Zeitung in die Hand. Die meisten Leser sind zwischen 40 und 69. In dieser ALtersgruppe erreichen Zeitungen über 70 Prozent der Bevölkerung. Frauen lesen besonders häufig Lokalzeitungen, am Zeitungskiosk und bei den überregionalen Zeitungen sind es jedoch eher die Männer, die Zeitungen kaufen und abonnieren. Viele Medienwissenschaftler sind sich jedoch einig: In Zukunft wird immer mehr im Internet gelesen – und nicht auf Papier.

Wer hat das Schreiben erfunden?

In der Schriftforschung gab es lange Zeit zwei verschiedene Thesen zur „Erfindung“ der Schrift. Die erste geht davon aus, dass die Stadt Uruk im Zweistromland der Entstehungsort der ersten Schriftsysteme sei, von dort habe sich die Kunst des Schreibens verbreitet. Diese These von der sogenannten Monogenese der Schrift wird heute von den meisten Forschern bezweifelt. Denn auch in Südosteuropa, Ägypten, im Industal, China oder Mittelamerika entstanden um etwa 3000 vor Christus verschiedene Zeichensysteme, die als Schriften oder Vorläufer von Schriften gelten. Mittlerweile wird die These von der Polygenese der Schrift häufiger vertreten als die der Monogenese. Und es hört sich auch für Laien plausibel an, dass mehr als nur eine Kultur damit begonnen haben könnte, Informationen über ihre Umwelt mithilfe von Zeichen und Symbolen zu beschreiben. 

Wie stellt man eine heilige Schrift her?

Heilige Schriften, wie Bibel, Tora oder Koran, sind nicht nur wegen ihrer Inhalte besondere Bücher. Auch ihre Form war und ist meist etwas Besonderes – wobei der Goldschnitt einer Konfirmanden-Bibel noch vergleichsweise schlicht ist. Für die Herstellung einer Tora-Rolle etwa gelten viele Regeln, die streng zu beachten sind: Das Material, auf dem später der Text stehen soll, muss Pergament aus der Haut eines koscheren Tieres sein – Schweinsleder scheidet da schon aus. Außerdem kommt es auf die Haltung des Gerbers an: Das Pergament muss mit der Absicht hergestellt werden, es für eine Tora-Rolle zu  Bildverarbeitungsverwenden. Auch der Schreiber muss eine besondere Ausbildung durchlaufen, um eine Tora zu schreiben. Er darf nur mit speziellen Tierfedern schreiben, und die einzige mögliche Farbe der Tinte ist schwarz. Sie wird meist aus Gall-Apfelsaft und Gummi hergestellt. Beim Schreiben ist besondere Sorgfalt geboten, denn der Text darf keinen einzigen Fehler enthalten. Nachträgliches Ausbessern ist nicht möglich – bei einem Verschreiben müsste von vorne begonnen werden. Auch Verzierungen wie etwa Ornamente sind verboten: Sie könnten die Lesbarkeit und somit den Originaltext verändern. 

Kann man aus der Handschrift eines Menschen wirklich etwas über seinen Charakter herauslesen – oder ist das eher Esoterik?

Was die Handschrift über einen Menschen verrät, damit beschäftigen sich vor allem zwei Disziplinen: die Schriftpsychologie und die Graphologie. Während die Schriftpsychologie als empirisch fundierte und kontrollierte Methode der Handschriftendiagnostik entwickelt wurde, gilt die Graphologie eher als zweifelhafter Ansatz – etwa bei der Auswahl von Personal. Doch auch die Ergebnisse der Schriftpsychologie hören sich bisweilen recht wundersam an: So publizierten Wissenschaftler aus Haifa 2009 einen Artikel, in dem sie die Auffassung vertraten, Handschriften könnten ähnlich funktionieren wie Lügendetektoren. Denn wer schwindele, schreibe anders. Computergestützte Auswertungen ergaben, dass Menschen, die eine erfundene oder gelogene Geschichte aufschreiben, höhere und breitere Buchstaben zu Papier bringen, als die mit reinem Gewissen. Das erklärten sich die Forscher mit einer unterschiedlichen Konzentration: Wer sich beim Schreiben auf die Lüge konzentrieren müsse, könne sich weniger darauf konzentrieren, ordentlich zu schreiben. Die Unterschiede waren mit bloßem Auge zwar nicht zu erkennen, entgingen dem Computer aber nicht. Der Vorteil der Handschriftenanalyse: Er sei weniger bedrohlich für die Testperson als ein Lügendetektor und weniger von menschlicher Interpretation abhängig. 

Kann die Technik Blinden beim Lesen helfen?

Seit der Erfindung der Braille-Schrift im Jahr 1825 können auch Blinde Bücher lesen. Vorausgesetzt, die Werke werden in dem speziellen Schriftsystem auch gedruckt. Im Alltag könnten auch sogenannte Vorlesegeräte weiterhelfen. Die Arbeitsgruppe „Künstliche Intelligenz“ der Freien Universität war an der Entwicklung eines solchen Gerätes beteiligt: Eine hoch auflösende Kamera dient als „Auge“, ein schneller Rechner mit Bildverarbeitungsalgorithmen übernimmt die Erfassung und Übersetzung der gedruckten Buchstaben. Auch das Lesen von Inhalten im Internet wird für Blinde und Sehbehinderte in Zukunft einfacher. 2009 stellte Professor Raúl Rojas einen kleinen Spezial-Computer vor, der per Funk mit dem Internet verbunden ist und Blinden zum Beispiel die Tageszeitung als Audiodatei „vorspielt“, die Uhrzeit und Wetterbericht ansagt sowie E-Mails vorliest. Auch E-Mails zu verschicken, könnte einfacher werden: Eine diktierte Mitteilung kann das Gerät direkt als Mail versenden.

Sind Lesen und Schreiben im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit?

Leider nein. Während in Europa oft die Rede von der Informations- und Wissensgesellschaft ist, die es ohne Lesen und Schreiben nicht gäbe, sind weltweit noch rund 860 Millionen Menschen Analphabeten, 100 Millionen haben keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass zwei Drittel davon Frauen sind. Ihre Teilhabe an der Zukunft einer globalen Kommunikationsgesellschaft sieht die UNO als derart gefährdet an, dass sie 2003 die „United Nations Literacy Decade“ ausrief. Bis 2015 soll die Rate der Analphabeten nach Angaben der UNESCO weltweit um die Hälfte gesenkt werden. Das Problem betrifft nicht nur Schwellen- und Entwicklungsländer. Alleine in Deutschland gibt es Schätzungen zufolge mindestens vier Millionen Erwachsene, sechs Prozent der Bevölkerung, die nicht oder nur kaum lesen oder schreiben können. Die meisten Analphabeten in Deutschland gelten als so genannte „funktionale“ Analphabeten. Das heißt, dass sie zwar Buchstaben erkennen und einfache Worte schreiben können, ganze Sätze sind ihnen jedoch beim Lesen und Schreiben noch zu schwierig. Bisher gehen Forscher davon aus, dass es zwischen Arbeitslosenquote und Analphabetismus einen engen Zusammenhang gibt. Um die Ziele der UNO zur Beseitigung des Analphabetismus zu erreichen und den Forschungsstand zu verbessern, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) noch bis 2012 mehrere Projekte. 

Wo kann man in Berlin besonders gut lesen und schreiben?

Berlin hat eine beeindruckende Anzahl an Bibliotheken: 141 Bibliotheken listet der kooperative Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg für das Stadtgebiet auf. Die Zahl der dort gesammelten Schriftstücke – Bücher, Zeitungen, Handschriften, Noten – ist kaum zu beziffern. Allein die Staatsbibliothek verfügt über mehr als zehn Millionen Exemplare. Zählt man Bibliotheks- Busse mit, gibt es neben den universitären Bibliotheken etwa auch 70 öffentliche Bibliotheken, in denen mehr als drei Millionen Bücher stehen. Wer Bibliotheken nutzt, um dort wissenschaftlich zu schreiben, hat die Qual der Wahl. Sind ästhetische Gründe für eine Bibliothek entscheidend, dann ist die Philologische Bibliothek der Freien Universität eine Empfehlung. Der britische Architekt Lord Norman Foster entwarf ein Gebäude, das von außen an ein Gehirn erinnert und deshalb in kurzer Zeit auf den Spitznamen „The Berlin Brain“ getauft wurde. Hier kann man nicht nur schöner lesen, sondern vielleicht auch besonders gedankenreich schreiben.