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Lebensgefühl und Lebenskunst

Wie Sport uns hilft, glücklicher zu leben

12.06.2008

Wie Sport uns hilft, glücklicher zu leben.

Wie Sport uns hilft, glücklicher zu leben.
Bildquelle: iStockphoto, dulezidar

Kaum einer der 24.000 Starter beim diesjährigen Berliner Halbmarathon hatte eine Chance gegen den Sieger Patrick Makau Musyoki.

Kaum einer der 24.000 Starter beim diesjährigen Berliner Halbmarathon hatte eine Chance gegen den Sieger Patrick Makau Musyoki.
Bildquelle: SCC-RUNNING

Im Alltag selten, im Sport eine normale Herausforderung: den eigenen Körper beherrschen und steuern.

Im Alltag selten, im Sport eine normale Herausforderung: den eigenen Körper beherrschen und steuern.
Bildquelle: fotolia, Olivier Tuffé

Die Herausforderung durch Bewegung und Sport bleibt auch bis ins hohe Alter reizvoll.

Die Herausforderung durch Bewegung und Sport bleibt auch bis ins hohe Alter reizvoll.
Bildquelle: iStockphoto, bloodstone

Regelmäßiges Fahrradfahren schont die Gelenke und stärkt den Kreislauf.

Regelmäßiges Fahrradfahren schont die Gelenke und stärkt den Kreislauf.
Bildquelle: iStockphoto, Graffissimo

Früh mit Sport zu beginnen, fördert die Entwicklung junger Menschen – gerade mit Mannschaftssport.

Früh mit Sport zu beginnen, fördert die Entwicklung junger Menschen – gerade mit Mannschaftssport.
Bildquelle: iStockphoto, D4Fish

Die Profis rasen davon, die Massen laufen hinterher. Über 24.000 Läuferinnen und Läufer aus 86 Nationen sind unterwegs auf den Straßen Berlins, um fast an der gleichen Stelle – nur zu unterschiedlichen Zeiten – wieder dort anzukommen, wo sie gemeinsam losgelaufen sind. Es ist Anfang April, Halbmarathon in Berlin: Rund 21 Kilometer sind zu bewältigen. Doch warum nehmen so viele Sportler die Strapazen auf sich, obwohl sie niemals gegen den späteren Sieger, den Kenianer Patrick Makau Musyoki, gewinnen werden? Welcher Sinn steckt dahinter? Macht Sport einfach nur glücklich?

Sport findet eigentlich um seiner selbst willen statt; er verfolgt, abgesehen vom professionellen und meist hochbezahlten Leistungssport, keine materiellen Ziele und keine vorzeigbaren Güter, er ist nicht einmal lebensnotwendig. Und doch treiben Menschen Sport, und es werden immer mehr. Sie suchen immer größere sportliche Herausforderungen – und das bis ins hohe Alter: 50-Jährige sind bei Marathons genauso dabei wie 80-Jährige.

Hat Sport also doch einen „Mehrwert“? Sportler versprechen sich offensichtlich etwas von ihren körperlichen Aktivitäten, aber auch von deren Wirkungen, die sich unmittelbar oder langfristig einstellen. Die Frage nach Sinn und Zweck des Sports muss also etwas differenzierter beantwortet werden, denn einen einzigen Sinn des Sports gibt es nicht. Bei der Frage, warum Menschen sich sportlich betätigen, unterscheidet die neuere Sportpädagogik mehrere sogenannte Sinnbezirke: Sie sind miteinander verbunden, können zum Teil gleichzeitig verfolgt werden, sind von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich ausgeprägt und können sich im Laufe des Lebens verschieben. Jeder Sporttreibende kann den „Mehrwert“ insofern nur für sich selbst entdecken und „auskosten“.

Eigene Grenzen ausloten

Ein Motiv für sportliche Leistungen ist, die eigenen Fähigkeiten zu erproben und die eigenen Grenzen auszuloten, aber es ist nur eins der Motive. Viele suchen im Sport auch schlicht den körperlichen Ausgleich zum Alltag oder der Büroarbeit, sie wollen sich fit und gesund halten. Andere sehen den besonderen Reiz auch in Aktivität in der Natur, sei es Segeln, Surfen, Wandern oder Skifahren. Für viele Menschen sind auch Situationen attraktiv, die nicht immer mit Sport in Verbindung gebracht werden: etwa beim Tanz, wenn man seine Bewegungen als besonders schön und ästhetisch erlebt und präsentieren kann. Ein wichtiger Antrieb für Sport ist auch der soziale Kontakt und die gemeinsamen Erlebnisse beim Sport. Viele schätzen gerade diese besonderen sozialen Erfahrungen: Im Sport entstehen Verbindungen, die über Jahre halten.

Sport ermöglicht auch die Erfahrung, den eigenen Körper zu beherrschen und zu steuern – wenn zum Beispiel Kletterer steile Felsen erklimmen oder Turmspringer mit absoluter Präzision Saltos und Schrauben vollführen, bevor sie ins Wasser eintauchen. Der Sinn des Sports kann mit sechs Schlagworten zusammengefasst werden: Leistung, Gesundheit, Eindruck, Ausdruck, Miteinander und Spannung. In diese Kategorien lassen sich sämtliche Sportarten und Bewegungsformen mit jeweils unterschiedlichen Akzenten einordnen. Zwar treffen nicht alle Sinngebungen für alle Sportarten gleichermaßen zu, aber das Sporttreiben kann in den einzelnen Kategorien besonders akzentuiert oder modifiziert werden. Würden zum Beispiel beim Halbmarathon alle nur ein Ziel verfolgen, nämlich das Rennen zu gewinnen, dann müssten die meisten gar nicht erst antreten. Jeder Läufer und jede Läuferin setzt sich also selbst ein Ziel, das dem eigenen, individuellen Leistungsanspruch gerecht wird: Die einen wollen vielleicht möglichst „unter zwei Stunden“ laufen, die anderen wollen „einfach nur ankommen“. Eines haben aber alle gemein: Laufen müssen sie schon selbst, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen.

Sport in den Alltag integrieren

Sport kann auch ein sinnvolles Element der eigenen Lebensführung sein: Wer das Sporttreiben in seinen Alltag integriert, hat für sich herausgefunden, was ihm der Sport bedeutet und dass ihm der Sport etwas Besonderes für sein Leben bieten kann. Sportliche Aktivitäten als für sich lebensbereichernd an- und wahrzunehmen – dieser Gedanke verweist auf das Konzept der modernen Lebenskunst des Philosophen Wilhelm Schmid: Er empfiehlt, fortwährend nachzudenken über die möglichen Formen eines bewusst geführten Lebens und die damit verbundene Anstrengung, sein eigenes Leben zu überdenken und nicht einfach nur dahingehen zu lassen. Lebensführung als Sorge um sich selbst – mit sachgemäßen und reflektierten Urteilen. Gerade der Sport als Teil einer bewussten Entscheidung der Lebensführung bietet dabei eine Option – wenngleich nicht die einzige und schon lange nicht die wichtigste im Lebenslauf.

Erfüllte Gegenwart erleben

Genauso ließe sich das Spielen eines Musikinstrumentes oder die Gartenarbeit als ein Element der Lebenskunst denken. Versucht man jedoch konkrete Anschlüsse zwischen Sport und der Philosophie der Lebenskunst herzustellen, dann können möglicherweise einige Empfehlungen eine Orientierungshilfe sein, um mit dem Sporttreiben (wieder) zu beginnen oder das eigene sportliche Engagement neu zu bedenken: Das Sporttreiben vermittelt uns das Gefühl, in der Welt aktiv und präsent zu sein – und zwar mit allen unseren körperlichen Möglichkeiten.

Auch wenn Einschränkungen durch Alter, Behinderung oder Tagesform zu spüren sind: Die Herausforderung der Bewegung an sich bleibt reizvoll. Dieses Aufgehen im sportlichen Tun wird umso intensiver als Gegenwartserfüllung wahrgenommen, je mehr es gelingt, die zu erfüllenden Aufgaben jenseits von Angst und Langeweile zu verwirklichen. Dieser (subjektiv) „berauschende“ Zustand wird oft mit dem populär gewordenen Begriff flow des amerikanischen Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi umschrieben, was so viel heißt wie „optimale Erfahrung“. Die Herausforderung durch die Aufgabe und das Können der Person müssen stimmig sein. Doch diese besondere Gegenwartserfüllung im Sport lässt sich weder von außen dirigieren noch wie ein Rezept verordnen. Das Gefühl von flow kann nur jeder für sich selbst finden.

Eigenes Können ausbauen

Im Leistungs- wie im Freizeitsport wird das eigene Können immer wieder neu auf die Probe gestellt – mit persönlicher Leistungszuschreibung. Wer sich auf Sport einlässt und über eine Basis an sportlichem Können verfügt, der kann in nahezu allen Bereichen sein Können beträchtlich und meist auch zügig ausbauen. Wer heute den Halbmarathon mitläuft, will vielleicht morgen schon beim „ganzen“ Marathon starten. Die Entwicklung und Steigerung des eigenen Könnens ist generell eine wesentliche Antriebsfeder – quasi ein Axiom des Sporttreibens.

Im höheren Alter ändert sich dies: Dann kann es wichtig werden, die eigene Leistung zu erhalten. Dennoch ist die Entwicklung im Grunde nie abgeschlossen: Ob wir das, was wir zu können glauben, auch wirklich können, wissen wir immer erst hinterher, wenn wir es wirklich geschafft haben.

Prinzipielle Ambivalenzen erkennen

Der Sport soll den Menschen körperlich oder geistig zugute kommen. Vor allem die Entwicklung junger Menschen kann gefördert werden. Doch das passiert nicht automatisch. Sport ist prinzipiell ambivalent, denn Sport kann auch heißen: Verletzungen, Beschwerden und schlimmstenfalls dauerhafte Schädigungen. Die gesundheitlichen Chancen können also ins Gegenteil umschlagen. Auch wenn Sport Menschen verbinden soll, kommt es – wie etwa bei Fußballspielen zu sehen – immer wieder zu Konflikten oder Auseinandersetzungen.

Diese Zweischneidigkeit muss als ein prinzipieller Widerspruch erkannt werden. Die Sportpädagogik hat die Aufgabe, die nützlichen Wirkungen zu fördern und die schädlichen möglichst zu verhindern. Allerdings ist das leichter gesagt als getan: Längst existiert das Phänomen der „Sportsucht“ als (psychisches) Problem, wenn das „Immer-mehr“ und das „Immer-öfter“ zwanghaft wird, sei es im Ausdauersport oder im Fitness-Studio. Diese maßlose Form ist dann kein wünschenswertes Element der Lebensgestaltung mehr, sondern Signal für eine Krise in der Lebensführung.

Gute Gewohnheiten pflegen

Wer sein Können verbessern oder auch nur bewahren will, muss regelmäßig Sport treiben – gut dosiert und kontinuierlich, nicht übertrieben und nur gelegentlich. Eine erste „Übung“ wäre, Sport zu einer guten Gewohnheit aufzubauen und ihn rhythmisch zu betreiben – sowohl regelmäßig durch die Woche als auch abwechselnd in der Aktivität selbst, nämlich im angemessenen Wechsel von Belastung und Entspannung. Diese Gewohnheit kann noch eine soziale Dimension beinhalten: Die regelmäßige körperliche Bewegung geht, gerade im Mannschaftssport, mit der Pflege von sozialen Beziehungen einher.

Wechselvolle Vielfalt erfahren

Das Gestaltungsprinzip der wechselvollen Vielfalt kontrastiert ein bisschen den Sport als gute Gewohnheit: Selbst die besten (sportlichen) Gewohnheiten können zur Abstumpfung führen, und der Sport kann zu einem unerfüllten Ritual verkümmern. Deshalb sollten Sportler für Abwechslung sorgen und Neues probieren. Gerade der Sport bietet – im Gegensatz zum Alltag – eine Fülle von Möglichkeiten, um sich selbst oder eine andere Sportart für sich zu entdecken oder mit einer anderen Sportart neu anzufangen.

Persönliche Verantwortung übernehmen

Im Sport hat jeder Verantwortung für sich selbst zu tragen, aber auch für andere einschließlich der Umwelt, in der die sportliche Aktivität stattfindet. Verantwortung beim Sporttreiben betrifft die notwendigen Voraussetzungen, die jeweils erst hergestellt werden müssen, aber auch die möglichen Konsequenzen, die mit dem Sporttreiben ausgelöst werden können. Dem verantwortlichen Handeln kann sich niemand entziehen. Dabei gilt es auch, vor allzu überzogenen Erwartungen zu warnen, um Enttäuschungen vorzubeugen. Naivem Optimismus nach dem Motto „Du kannst alles, du musst es nur wollen!“ kann vielleicht eher begegnet werden mit der Erkenntnis, dass nur derjenige tief fallen kann, der (zu) hohe Ansprüche an sich oder an andere stellt. Sich in Skepsis zu üben und die eigene Kritikfähigkeit zu bewahren, darin kann verantwortliches Handeln zum Ausdruck kommen – genauso wie nach einem hoch gewonnenen Tennismatch nicht zu vergessen, dass es nur ein Spiel war.