Ein' feste Burg ist unser Gott
Religion und Energie
31.05.2007
Im Jahre 2005 erschien in dem wohl zu Recht katholisch genannten Herder Verlag ein Buch, auf dessen Umschlagbild zwei ältere Männer abgebildet waren. Beide sind längst Ikonen ihrer selbst und stehen für eine eigene Sicht auf die Dinge: Jürgen Habermas und Joseph Kardinal Ratzinger, hernach Benedict XVI. Das Buch „Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion“ dokumentiert ein erstaunlicherweise von weitgehender einvernehmlicher Suche geprägtes Gespräch. Zugleich ist es ein deutlicher Wandel für das Verständnis von Religion in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Als weiteres Indiz für diese Veränderung ist unstreitig die Preisrede von Jürgen Habermas „Glaube und Wissen“ zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001 anzusehen.
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Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung des Themas Religion und der Nichtbeachtung religiöser Strömungen in der intellektuellen Community der alten Bundesrepublik erlebt das Thema mittlerweile eine mediale Beachtung, wie man sie noch in den 1980er und 1990er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht für möglich erachtet hätte. Gerade die intellektuelle Linke der Bundesrepublik Deutschland begegnete diesem Thema, wenn nicht mit Verachtung, so doch mit mutiger Ignoranz. Man erinnere sich der fast treuherzigen Versuche, die islamische Revolution im Iran als nicht-religiös zu deuten, sondern sie in das Muster westeuropäischer Revolutionsmodelle zu pressen. Dass sich Religion so vehement in den Läufen der Geschichte wieder zu Worte meldete, entsprach nicht den allgemein vertretenen Entwürfen einer gesellschaftlichen Entwicklung. Letzten Endes erklärt wohl nur der kolonialistische Blick auf andere Kulturen die Unfähigkeit zu erkennen, dass unzähligen Menschen in Afrika, Asien und Amerika Religion mehr bedeutete, als mancher in der alten Bundesrepublik wahrhaben wollte. Dank der Globalisierung kann man freilich nicht mehr die Augen vor dieser Tatsache verschließen.
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Der Schrecken des 11. 9. – ein Datum, dem selbst bereits quasi-religiöse Züge eignen – hat die Wahrnehmung eher verzerrt, da Religion nicht in ihrer existentiellen Bedeutung, sondern in ihrer politischen Instrumentalisierung angesichtig wurde.
Ein’ feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen
Derzeit, so kann man alles in allem konstatieren, hat Religion in Deutschland zumindest in der veröffentlichten Meinung eine wahre Omnipräsenz. Dass dieses wohl auch damit zusammenhängen mag, dass das Oberhaupt der größten religiösen Gemeinschaft der Welt ein gebürtiger Deutscher ist, wird man nach den unsäglichen Schlagzeilen anlässlich seiner Wahl nicht bestreiten können. Allerdings stellt sich durchaus die Frage, ob Religion im Leben von Menschen wirklich eine solche Bedeutung hat, wie es die Präsenz in allen Medien vermuten lässt. Der Umstand beispielsweise, dass Vertreter beider Konfessionen regelmäßig zu politischen Themenbereichen öffentlich Stellung nehmen, hat zunächst seinen Grund in den besonderen staatskirchenrechtlichen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland und nicht in einem Erwachen der Religion. (Nota bene: Das Wort Staatskirchenrecht begegnet uns in anderen Sprachen als Lehnwort, da es unübersetzbar ist.) Und auch wenn es den Anschein geben mag, dass kaum noch eine Talkshow ohne einen Vertreter meist der christlichen Religion auskommt, ist damit immer noch nichts über die Relevanz dieses Themas in der gesellschaftlichen Praxis ausgesagt.
Anders formuliert: Die medienwirksame Präsenz und der reale politische Einfluss religiöser Institutionen sind nicht ungefragt als Anzeichen dafür zu werten, dass sich eine Resakralisierung oder eine breite gesellschaftliche Rückwendung zu den Religionen vollzieht. Nach der Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger zum Papst meinte in einer Umfrage eine Vielzahl der Befragten, dass durch die Wahl die Bedeutung und Macht von Kirche und Religion steigen würden. Aber nur eine verschwindende Zahl der Befragten sagte, dass dies auf sie persönlich zutreffe. Folgt man der Shell-Jugendstudie 2006, kann man von einer Renaissance der Religion nicht sprechen: „Diese Absage an die Religion nimmt, ebenso wie der unkonventionelle Glaube an eine höhere Macht, mit dem Alter zu. Nimmt man alle verfügbaren Daten der letzten Jahre zusammen, dann zeigt sich eine im Wesentlichen unveränderte Einstellung Jugendlicher zur Religion. 65 Prozent sagen, die Kirche hätte keine Antworten auf die Fragen, die sie wirklich bewegten. Das heißt, dass an der Schnittstelle der kirchlich-religiösen Angebote zum Wertesystem und zum Leben der Jugendlichen der Einfluss der Kirchen zumeist endet.“
Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren
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Man darf also durchaus skeptisch sein, ob wir derzeit wirklich von einer Restauration des Religiösen als Lebensform und Lebensnorm sprechen können oder ob es sich nicht um eine Diskrepanz zwischen der medialen Wahrnehmung und gesellschaftlicher Wirklichkeit handelt. Religiöses Leben vollzieht sich trotz aller gegenteiligen Behauptungen nicht als mediales Geschehen, sondern als Leben mit und aus Religion. Nähert man sich der Frage nach der Kraft oder Energie durch Religion, so ist es sinnvoll, darauf zu verweisen, dass es hier nicht um die Frage von Religion als Machtfaktor gehen kann. In diesem Fall wäre Religion instrumentalisiert, um außerreligiöse Interessen durchzusetzen, während die religiöse Gruppe beziehungsweise das religiöse Individuum Religion als existentielle Lebensform ansieht und erfährt und daraus ihre Kraft zieht. Nach diesem Verständnis ereignet sich ein zirkuläres Erleben, gemäß dem die Religion je neu sich als Raum der Kraft zum Leben bewahrheitet, oder um es mit Eph 1,19 (Brief des Paulus an die Epheser) zu sagen: „… und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns (ist), die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde.“ Damit ist nach der biblischen Tradition, mithin im jüdischen und christlichen Verständnis, zunächst eine paradoxe Situation gegeben.
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Das Individuum begreift sich angesichts der Macht und Kraft Gottes als ohnmächtig und bar jeden eigenen Vermögens. In der Verwiesenheit auf Gott erkennt er oder sie die eigene Begrenztheit. Unschwer ist an dieser Stelle ersichtlich, warum die biblische Grundbotschaft in der Moderne solche Schwierigkeiten des Verstehens hat. Allerdings gründet dies unter Umständen auch darin, dass das Paradox nicht wahrgenommen wird. Denn im Akt der Erkenntnis der eigenen Begrenztheit ereignet sich eine Entgrenzung hin auf die göttliche Macht. Indem er sich ihr anheim gibt, partizipiert der Glaubende an ihr und findet sich in dieser Kraft vor. Allem Anschein nach formuliert Paulus in 2 Kor 12,9ff (2. Brief des Paulus an die Korinther) eine autobiographische Erfahrung: „Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“
Nach der Bibel mündet diese Haltung in einem völligen Vertrauen auf Gott. Der 23. Psalm formuliert dieses menschliche Vertrauen in einer Bildersprache, die über Jahrhunderte hin zur festen Gebetstradition gehörte: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Dieses absolute menschliche Vertrauen besteht auch da, wo es völlig kontrafaktisch ist. Darin liegt die eigentliche Kraft; Psalm 38, 11 - 18: „Mein Herz erbebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist auch dahin. Meine Lieben und Freunde scheuen zurück vor meiner Plage, und meine Nächsten halten sich ferne. Die mir nach dem Leben trachten, stellen mir nach; und die mein Unglück suchen, bereden, wie sie mir schaden; sie sinnen auf Trug den ganzen Tag. Ich bin wie taub und höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Ich muss sein wie einer, der nicht hört und keine Widerrede in seinem Munde hat. Aber ich harre, HERR, auf dich; du, Herr, mein Gott, wirst erhören. Denn ich denke: Dass sie sich ja nicht über mich freuen! Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich. Denn ich bin dem Fallen nahe, und mein Schmerz ist immer vor mir.“ Religion mag sich im Angesicht der Ewigkeit bewähren müssen, gelebt aber wird sie in der Gegenwart der Glaubenden. Unvermeidlich kann man mit Feuerbach genau darin die Schwäche von Religion sehen. Oder aber man kann fortiter behaupten, dass eine Religion, die nicht zu trösten vermag, nicht ihren Namen verdient.
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Allerdings wäre die Kraft des Religiösen falsch verstanden, wenn man sie ausschließlich als quietistisch begreifen würde. Die vita contemplativa und die vita activa begegnen bereits als Lebensmodelle in der Bibel selbst. Denn wenn auch die Lebensabgewandtheit, das Sich- Beschränken auf das Äußerste der Existenz, eine Möglichkeit ist, so wäre es eine Verkennung der religiösen Tradition, darin den einzigen Weg zu sehen. Vielmehr lässt sich an zahlreichen biblischen Beispielen zeigen, dass die Kraft des Glaubens dazu führt, sie zu kommunizieren und tätig zu teilen.
Allerdings wäre die Kraft des Religiösen falsch verstanden, wenn man sie ausschließlich als quietistisch begreifen würde. Die vita contemplativa und die vita activa begegnen bereits als Lebensmodelle in der Bibel selbst. Denn wenn auch die Lebensabgewandtheit, das Sich- Beschränken auf das Äußerste der Existenz, eine Möglichkeit ist, so wäre es eine Verkennung der religiösen Tradition, darin den einzigen Weg zu sehen. Vielmehr lässt sich an zahlreichen biblischen Beispielen zeigen, dass die Kraft des Glaubens dazu führt, sie zu kommunizieren und tätig zu teilen.
An den biblischen Grundlagen hat sich das Verständnis im christlichen Kontext zu bewähren. Dass dies im Laufe der Geschichte keineswegs immer so war, ist evident und bedarf keiner weiteren Begründung. Zu offensichtlich ist die Anfälligkeit dafür, aus religiöser Kraft politische Macht zu machen, statt auf Gott und auf sich selber zu vertrauen. Dennoch ist durch die Jahrhunderte immer das kritische Potenzial des biblischen Verständnisses von religiöser Kraft präsent gewesen, nicht zuletzt in der Mystik. Die Kraft zum Leben ist nicht selbstgemacht, sondern gegeben. Mit ihr im Sinne Gottes und zur Wohlfahrt anderer Menschen umzugehen, ist die Aufgabe des Lebens in dieser Kraft.
Das Wort sie sollen lassen stahn, und kein’n Dank dazu haben
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Dass dieses Leben auch immer ein gefährdetes ist, kann wohl nur übersehen, wer nicht darum weiß, dass das, was man gemeinhin Glück nennt, nicht Teil des religiösen Lebens ist. Die vielfache Besprechung des Religiösen in der medialen Öffentlichkeit ist notwendig mit der Gefahr der Trivialisierung verbunden. Bestimmt kann man nicht leugnen, dass in der europäischen Geschichte Religion oftmals mit ökonomischen Interessen verbunden war. Doch angesichts des Konsumismus auf dem Gebiet der Religionen, den vielfältigen Angeboten jeglicher Art – Berlin ist auch hier ein Spitzenreiter – verblasst der Ablasshandel völlig. Piero Paolo Pasolinis Analyse des Konsumismus, der Beliebigkeit an die Stelle von Kultur setzt, trifft weitgehend auch die Situation des Religiösen. Zweifelsohne ist die Zeit der Volkskirche mit ihren eigenen soziokulturellen Milieus vorbei. Zugleich verschwand aber offensichtlich damit auch ein Konsens darüber, was Religion und religiöses Leben bedeuten.
Man wird es einem Theologen nicht verübeln, wenn er der Meinung ist, dass die Substanz des Religiösen dadurch verloren geht, dass sie zu einem austauschbaren Konsumgut wird. Dann sollte man nicht mehr von „Religion auf dem Markt“ sprechen, sondern von Religion im Supermarkt. Wenn Religion Teil eines Wellness- Programms wird, man durch religiöse Übungen meint, „Energie tanken“ zu können, dann ist das ohne Zweifel für einen Theologen eher Besorgnis als Hoffnung erweckend. Denn Religion wird somit zu einem Placebo statt zu dem, was sie eigentlich vermag, nämlich dazu zu verhelfen, das Leben anzunehmen und zu gestalten.