Chinas Hunger auf Energie
- und seine (amerikanische) Konkurrenz
31.05.2007
Als der Ölpreis 2004 die 30-Dollar-Marke pro Barrel überstieg, stand in den Medien mit China der Schuldige schnell fest. Die Steigerung des chinesischen Energiebedarfs sei nicht vorhersehbar gewesen. Der Preisanstieg hatte aber noch eine andere Ursache: der nachrüstungsbedingte Ausfall US-amerikanischer Raffinerien und die in Folge stark erhöhten Importe von Mineralölprodukten in die USA. Tatsächlich hatte aber China seinen Anteil: Seit die Wirtschaftsreform Deng Xiaopings aus dem Jahr 1979 greift, wächst die chinesische Wirtschaft jährlich um 9,5 Prozent.
Die Energiesituation in China
Dieses Wachstum steigert den Energiebedarf enorm – zwischen 2002 und 2005 um 65 Prozent. Der Anteil am Weltenergieverbrauch beträgt lediglich 13,6 Prozent. Zwar ist China damit zum zweitgrößten Erdölkonsumenten nach den USA aufgestiegen, von einem überraschenden Mehrbedarf an Energie kann jedoch keine Rede sein. Doch wie wir sich der Energiebedarf in China entwickeln, und wie können zukünftige Konflikte mit anderen Akteuren um Energiequellen vermieden werden? Bis 1993 war China Nettoexporteur von Erdöl. Seither hat sich das Bruttoinlandsprodukt fast verdreifacht und der Erdölbedarf mehr als verdoppelt. Wachsende Mobilität und Produktion sowie der Ausbau von Handelswegen und die fortschreitende Globalisierung werden diesen Trend verstärken. Die International Energy Agency (IEA) prognostiziert bis 2030 einen weltweiten jährlichen Anstieg des Konsums an Primärenergie um 1,7 Prozent auf 16,5 Milliarden Tonnen Öläquivalent (Toe). Chinas Anteil wird bis dahin auf circa 15 Prozent anwachsen – der Erdgasverbrauch bis 2030 um jährlich 1,6 Prozent, der Bedarf an Erdöl um 11,2 Prozent. 2006 importierte die Volksrepublik täglich 447.000 Tonnen Öl, was ungefähr der Hälfte des Gesamtbedarfs entspricht. Um den Verbrauch von fossilen Energieträgern einzudämmen, plant China bis 2020, 16 Prozent seines Bedarfs aus erneuerbaren Ressourcen zu beziehen und dafür 187 Milliarden US-Dollar zu investieren. Die IEA prognostiziert einen steigenden Energiekonsum Chinas von 2,6 Prozent pro Jahr bis 2030 – vor allem im Transportsektor wird der Bedarf um 4,6 Prozent steigen. Dies wird hauptsächlich beim Öl- und Gasbedarf Konsequenzen haben, da bei Fahrzeugen eine Umstellung auf erneuerbare Energien in der nächsten Dekade nicht abzusehen ist. Zur Deckung des zusätzlichen Öl- und Gasbedarfs wird ein höheres Engagement in Afrika, Südamerika und zunehmend auch der Kaspischen Region erwartet.
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Der Kampf um Marktanteile
Um den wachsenden Bedarf an Energie zu sichern, adaptierte Beijing 2002 die sogenannte „Zou chu qu“- Strategie („Schwärmt aus“). Über die Sicherung von Eigentumsrechten an Energieressourcen und entsprechender Transportinfrastruktur sollen vorwiegend die drei großen nationalen Ölkonzerne China National Petroleum Corp. (CNPC), China National Petrochemical Corporation (Sinopec) und China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) dieses Ziel in die Tat umsetzen.
Die nationalen Konzerne sind jedoch verspätet auf dem Weltmarkt für Erdöl aufgetreten und konkurrieren dort mit großen westlichen Firmen, die mehrere Jahrzehnte Zeit hatten, um langfristige Beziehungen aufzubauen, Erfahrungen in Exploration und Produktion zu sammeln sowie in jenen Produzentenstaaten zu investieren, die ihre Ressourcen nicht rein staatlich vermarkten. Fast alle großen Ölfelder waren somit unter westlichen Konzernen aufgeteilt oder unter staatlicher Kontrolle der Produzentenstaaten.
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Chinesische Ölkonzerne müssen somit in Staaten investieren, denen gegenüber andere Firmen Vorbehalte hinsichtlich der Sicherheit oder des politischen Systems haben. Für die Suche nach Kapazitäten in Übersee knüpfte China enge diplomatische Beziehungen zum Iran, zum Sudan, zu Usbekistan und zu Venezuela – Staaten, die konträr zu den Interessen der USA oder der EU handeln. Chinas Ölkonzerne bedienen sich einer weiteren Methode, um Marktanteile auf dem internationalen Ölmarkt zu akquirieren: bei Bieterwettbewerben möglichst hohe Angebote abzugeben, die die Konkurrenz als überzogen betrachtet. Mit etwa 1,2 Billionen US-Dollar an Währungsreserven, davon 310 Milliarden Dollar in US-Staatsanleihen, verbleibt dafür genügend Geld. Ein Beispiel ist das Bieterverfahren zwischen der staatlichen indischen Oil and Natural Gas Corporation, der russischen Lukoil und CNPC. Alle hatten Interesse am zweitgrößte kasachischen Ölkonzern PetroKazakhstan, der 12 Prozent der kasachische den Zuschlag für 4,18 Milliarden US-Dollar. Immerhin 21 Prozent über dem damaligen Marktwert laut Aktienkurs und eine Milliarde mehr als das indische Angebot. Wie ist Chinas Energiesicherheitsstrategie also aufgebaut, wenn seine staatlichen Ölfirmen Konkurrenten mit mehr als einer Milliarde US-Dollar und ohne Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit des Unterfangens aus dem Rennen wirft?
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Die Energiesicherheitsstrategie
Energiesicherheit wird vom United Nations Development Program (UNDP), dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNO), als „Verfügbarkeit von Energie, zu jeder Zeit und in verschiedenen Formen, in ausreichender Menge und zu erschwinglichen Preisen“ definiert. Meist wird diese Strategie national gesteuert und ist in Ministerien angesiedelt. In China besteht sie jedoch aus einem Bündel von Ad-hoc-Initiativen – manche staatlich koordiniert und initiiert, andere marktorientiert. Obwohl China einen „strategischen“ Zugang zur Energie aufbaut, gibt es keine zentrale Institution, die eine solche Strategie entwickelt und verwaltet. Um eine politische Kontinuität in den internationalen Märkten einzuhalten, wurden Mitte der 1980er Jahre drei vertikal integrierte staatliche Ölkonzerne aufgebaut: CNPC (Exploration und Produktion), Sinopec (Raffinerie und Vertrieb) und CNOOC (Offshore), die in den Jahren 1999 bis 2001 Tochterunternehmen gründeten und an internationale Börsen brachten. Diese Maßnahmen finden sich in der China Energy Strategy Study (2000 – 2050), dem Eleventh Five-Year-Plan (2006 – 2011) und China‘s Medium and Long-Term Energy Development Plan (2004 – 2020). Mit dem Development Plan soll die Energiestruktur optimiert und Energieprojekte rationalisiert und koordiniert werden. Die Versorgung soll über eigene technische Innovationen im Energiesektor verbessert werden. Zudem will die Regierung Umweltschutzmaßnahmen und die Diversifizierung von Energiequellen und Produzentenstaaten vorantreiben, damit sich ein klassischer Marktmechanismus entwickeln kann.
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Die Hauptpunkte des elften Fünfjahresplans, aufbauend auf dem zehnten, sind die Entwicklung der heimischen Öl- und Gasindustrie, die Steigerung der Energieeinsparung und -effizienz sowie die Umweltverträglichkeit. Dafür sollen strategische Ölreserven angelegt, Produzentenländer und Energiequellen ausgeweitet, eine Sicherungsstruktur für den Import aufgebaut, Anreize für ausländische Investoren in die chinesische Energiebranche geschaffen sowie in den Auf- und Ausbau regionaler Produktionsstätten und Pipelines investiert werden.
Zou chu qu – schwärmt aus!
Dennoch bleiben für die chinesische Regierung Hindernisse bestehen: das Fehlen einer einheitlichen nationalen Energiepolitik und die hohen Kosten für Produktion und Transport. Da die meisten Gasreserven Chinas weit entfernt sind von den internationalen Märkten, werden Milliarden US-Dollar benötigt, um Pipelines zu bauen – Kosten, die vermehrt auf ausländische Investoren abgewälzt werden. So war es eine trategische Entscheidung, die West-Ost-Pipeline vom Tarimbecken im äußersten Westen Chinas nach Shanghai fertigzustellen, trotz Risiken und hoher Kosten. Um den Hindernissen zu begegnen, verstärkte die Volksrepublik das Engagement im Ausland über die „Schwärmt aus“-Strategie. Diese Strategie enthält eine breite Kampagne der drei nationalen Ölkonzerne Chinas, um Investitionen in ausländische Öl- und Gasfelder zu sichern und Langzeitverträge über Rohöl und Liquified Natural Gas (LNG) mit vielen Exporteuren abzuschließen. Gleichzeitig wird der Bau neuer Pipelines ausgeweitet. Insgesamt haben Chinas nationale Ölkonzerne in Übersee Produktionsanteile von 400 bis 500 Tausend Barrel am Tag, das sind circa 15 Prozent der chinesischen Ölimporte. Beijing hat Energie-Allianzen mit dem Iran und dem Sudan, mit Russland, Kasachstan, Saudi-Arabien, Brasilien, Venezuela, Angola und Nigeria vereinbart, wodurch sich China als Akteur etabliert hat. 2004 kamen mehr als 45 Prozent der chinesischen Ölimporte aus dem Nahen Osten – 5 Prozent weniger als 2003. Allein der Iran deckt 11 Prozent des chinesischen Importvolumens. Im Oktober 2004 unterzeichnete Sinopec einen Vertrag mit Teheran in Höhe von 70 Milliarden US-Dollar: der bisher größte Abschluss mit einem OPEC-Produzenten. Beijing verpflichtete sich, das Yadavaran-Ölfeld zu entwickeln und in den nächsten 30 Jahren 250 Millionen Tonnen LNG abzunehmen. Teheran soll laut Vereinbarung in den nächsten 25 Jahren täglich 150.000 Barrel Öl nach China exportieren.
2005 kamen fast 30 Prozent der chinesischen Rohölimporte aus Afrika. Zwischen 2003 und 2004 stieg der Anteil afrikanischen Öls um circa 18 Prozent. Für eine Zusammenarbeit sind die Staaten um den Golf von Guinea, von Angola bis Nigeria sowie die zentralafrikanischen Republiken Tschad, Kongo, Libyen, Niger und Sudan interessant für Beijing.
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Die kaspischen Energieressourcen
Für die zentralasiatischen Staaten sind die Investitionen Chinas in den Öl- und Gassektor eine Chance, sich aus der Kontrolle Russlands zu lösen. Gerade in dieser Region verhandeln chinesische Politiker über ambitionierte Pipeline-Projekte, um sich aus der Abhängigkeit internationaler Future- und Spot-Märkte zu lösen – wie eine geplante Gas-Pipeline aus Turkmenistan. In Kasachstan ist vor allem CNPC tätig. Der Konzern besitzt rund 85 Prozent der Aktobemunaigas Corporation und 50 Prozent Explorations- und Entwicklungsblöcke des North-Buzachi-Öl- und Gasfeldes im Nordwesten Kasachstans, die beide der britischen Nimir Petroleum Bars Holding BV und Chevron Texaco gehörten. 2005 übernahm CNPC schließlich die kanadische Petro Kazakhstan. Zudem hält CNPC neben der kasachischen staatlichen KazMunaiGaz einen 50-Prozent-Anteil an der 2005 fertiggestellten Atasu-Alashankou-Pipeline mit einer vorläufigen Kapazität von 200.000 und einer Endauslastung von 400.000 Barrel am Tag.
Die Pipeline gilt als Startpunkt der chinesischen Pipeline-Politik in der Kaspischen Region, mit dem Plan, eine „Panasiatische Globale Energiebrücke“ aufzubauen. Russisches, kaspisches sowie iranisches Öl und Gas sollen in Richtung Pakistan, Indien, Zentralasien und in die Volksrepublik geleitet werden. Der Bau einer weiteren Pipeline wurde im April 2006 mit Turkmenistan vereinbart. Bis 2009 soll eine Erdgas-Pipeline entstehen, über die China in 30 Jahren 30 Milliarden Kubikmeter Gas beziehen will. Eine andere Pipeline soll von Turkmenistan über Usbekistan nach China führen. Bereits im Juni 2004 unterzeichnete CNPC mit der usbekischen Uzbekneftegaz Kooperations-Verträge für Erdöl und Gas.
China etabliert sich über diese Investitionen nicht nur als Konsument, sondern zunehmend als Energieversorger in der Kaspischen Region – was wiederum den politischen und wirtschaftlichen Einfluss vor Ort steigert und die Interessen anderer Akteure berührt.
Wettlauf um die Energieressourcen der Kaspischen Region Faire Integration
Nach dem 11. September errichteten die USA in verschiedenen zentralasiatischen Staaten Armeestützpunkte und intervenierten in Afghanistan. Offizieller Grund war die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, inoffiziell ging es darum, die Einkreisungspolitik gegenüber Russland, China sowie dem Iran weiterzuführen. Über ihre militärische Präsenz in der Region versuchen die USA, die Investitionen angloamerikanischer Konzerne zu sichern. Die Motivation der USA, „Nachbar jeder Ölquelle“ zu sein, rührt auch daher, den Handel mit Erdöl und Erdgas in der Weltwährung US-Dollar aufrechtzuerhalten. Würde Öl beispielsweise hauptsächlich in Euro gehandelt, entfielen für die USA die Vorteile der Weltwährung, und sie würden ihre Vormachtstellung unter anderem auf den Finanzmärkten verlieren.
Um dem wachsenden amerikanischen Einfluss in der Kaspischen Region zu begegnen, verstärkte Russland die Bedeutung der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OKVS), einem militärischen Bündnis, dem Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Armenien angehören. China hob im Juni 2001 die Shanghai Cooperation Organization (SCO) mit den Mitgliedern China, Russland, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan aus der Taufe. Beide Organisationen konnten den Druck auf zentralasiatische Staaten so erhöhen, dass diese die Kooperation mit den USA einschränkten.
Der Kreml erachtet Energieträger als strategisches Instrument in Zentralasien, um seinen ehemaligen Status als Energie-Supermacht wiederherzustellen. So stammen momentan 15 Prozent der russischen Gasexporte aus dem „nahen Ausland“. Also versuchen Lukoil und Gazprom Konkurrenten bei Direktinvestitionen aus Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan herauszuhalten – selbst gegen deren Eigeninteressen. Als Versorger für China tritt Russland auch auf, um ein energiepolitisches Druckmittel gegen die EU zu haben. Gazprom etwa erklärte, dass das westsibirische Gas für die EU reserviert sei, lässt jedoch durchblicken, dass es auch Richtung China geleitet werden könne.
Die EU könnte sich auch als Konkurrent für China um kaspische Energieressourcen etablieren. Europäische Konzerne partizipieren bereits an der Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline, die als zweitlängste Pipeline der Welt Rohöl aus dem Kaspischen Meer bis ans Mittelmeer transportiert. Die geplante Nabucco-Pipeline könnte nach Fertigstellung auch turkmenisches Gas über den Iran, die Türkei und den Balkan in die EU leiten. Die Außenminister der EU wollen aber China in einen Dialog um Energieressourcen einbeziehen. Das hat jedenfalls die EU mit der unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft aufgelegten Zentralasien-Initiative beschlossen. Eine Kooperation im Energiesektor soll daraus entstehen.
Faire Integration
Um weitere Konkurrenz zu vermeiden, sollte China mehr Staaten in regionale Organisationen, wie die SCO einbinden. Die SCO hat ihre Mitgliederzahl seit ihrer Gründung sukzessive erhöht, deren Aktivitäten reguliert und eine Verwaltungsstruktur aufgebaut – mir konkreten Maßnahmen wie die Einrichtung eines multinationalen Antiterror-Zentrums. Zusätzlich könnte eine Arbeitsgruppe „Energie“ Fragen um die Energiesicherheit in der Region lösen. Um den Energiehunger Chinas möglichst umweltschonend und konfliktfrei zu stillen, werden erneuerbare Energien und Energieeffizienz unumgänglich sein. Dazu gehört auch internationale Kooperation und Erfahrungsaustausch beim Technologietransfer. Zukünftige Konflikte um Energieträger können auch über eine faire Integration Chinas in die internationalen Energiemärkte umgangen werden.