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Vom „Gesang“ der Bienen

Forscher der Freien Universität untersuchen das elektrische Feld von Honigbienenkolonien, um Rückschlüsse auf lokale Belastungen mit Umweltgiften zu ziehen

09.12.2017

Sie ist durchschnittlich nur rund zwölf Millimeter lang, lebt im Verbund mit vierzig- bis sechzigtausend Artgenossinnen und ist bekannt für ihr komplexes Sozialverhalten: Die europäische Honigbiene, eines der wichtigsten Nutztiere Deutschlands. Doch nicht nur Verbraucher und Hobbyimker haben ein Interesse an dieser besonderen Insektenart. Seit Jahrzehnten liefert die Forschung an der Honigbiene wichtige Erkenntnisse über neurobiologischer Zusammenhänge, dient die Biene als faszinierender Modellorganismus. Mit Hilfe des Insekts wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Antwort auf die Frage näherkommen, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren und auf Umwelteinflüsse reagieren.

Bienen als Umweltforscher einzusetzen, hat sich Randolf Menzel zum Ziel gesetzt.

Bienen als Umweltforscher einzusetzen, hat sich Randolf Menzel zum Ziel gesetzt.
Bildquelle: photocase/Deyan Georgiev  https://www.photocase.de/fotos/736188-natur-blau-sommer-tier-umwelt-natuerlich-photocase-stock-foto 

Einer von ihnen ist der renommierte Bienenexperte Randolf Menzel, emeritierter Professor für Neurobiologie an der Freien Universität Berlin, der seit mehr als 50 Jahren das Verhalten der Honigbienen erforscht. Im Zentrum stehen dabei die komplexen sozialen Interaktionen der Tiere, die sich in Abhängigkeit von Umweltfaktoren stark verändern oder sogar zum Erliegen kommen können. Honigbienen dienen Menzel und seinem Team als Indikatoren für den Zustand von Ökosystemen. Wie es um die Pestizidbelastung deutscher Felder und Wälder bestellt ist, untersuchen die Wissenschaftler derzeit im groß angelegten Forschungsprojekt Bienen als Umweltspäher. Für Randolf Menzel ist es nicht nur die relative Einfachheit des Bienengehirns, die die Insekten zu einem wertvollen Forschungsobjekt macht. Vor allem das komplexe und variationsreiche Sozialverhalten und die schiere Masse an Individuen erleichtern es Menzel und seinem Team, Rückschlüsse auf die Funktionsweise des Bienengehirns und dessen Beeinträchtigung durch Umweltgifte zu ziehen. „Im Gegensatz zu vielen anderen Arten sind Bienenvölker unheimlich robust. Wenn 30.000 Bienen zu einem stark mit Pflanzenschutzmittel belasteten Rapsfeld fliegen und 5.000 die Reise nicht überleben, sind immer noch 25.000 übrig, deren Sozialverhalten man beobachten und analysieren kann“, erklärt Menzel. Die Honigbienenvölker und deren Verhalten dienen dem Wissenschaftler dabei vor allem als Indikator für Umweltbelastungen leichten bis mittelschweren Ausmaßes. „Eine Biene, die recht viel Gift aufgenommen hat, krampft und stirbt direkt oder ist derart desorientiert, dass sie den Weg in den Bienenstock nicht mehr findet und so zu Tode kommt,“ erläutert Menzel.

Randolf Menzel nutzt Bienenvölker, um Veränderungen der Umweltbelastung zu untersuchen. Die Bienen dienen dabei auch als Indikator für den Zustand von Ökosystemen.

Randolf Menzel nutzt Bienenvölker, um Veränderungen der Umweltbelastung zu untersuchen. Die Bienen dienen dabei auch als Indikator für den Zustand von Ökosystemen.
Bildquelle: Nora Lessing

Bei weniger schweren Vergiftungen fänden die Tiere nach Hause, zeigten aber ein stark verändertes Sozialverhalten. So informieren gesunde Arbeiterinnen die anderen Bienen durch den sogenannten Schwänzeltanz über Ort und Qualität einer Futterstelle und bieten Kostproben des gesammelten Nektars an. „Wenn Bienen eine nicht tödliche Menge an Nervengift aufgenommen haben, kehren sie zwar in den Stock zurück, tanzen aber nicht mehr oder zeigen ein verändertes Schwänzeltanzverhalten. Die Tänze sind dann zum Beispiel kürzer oder weniger prägnant. Auch die Reaktionen der anderen Bienen können ungewöhnlich ausfallen.“

Mit Hilfe moderner Methoden einen direkten Blick ins Bienengehirn zu werfen und so herauszufinden, wie sich dort eine Vergiftung abbildet, ist jedoch alles andere als einfach. Wo man Menschen zur Untersuchung in einen Magnetresonanztomographen (MRT) schieben könnte, seien Bienen derart klein, dass „ein Pixel im MRT-Bild genau so groß ist wie das ganze Bienengehirn“, erklärt der Wissenschaftler.

Um einer Antwort auf die Frage nach Umweltgiften und deren Einfluss auf Nervenzellen näher zu kommen, haben er und sein Team daher in jahrzehntelanger Arbeit eine weltweit einzigartige und hochkomplexe Methode entwickelt: Mit Hilfe von Mikroprozessoren, die sie in speziell hierzu gefertigte Bienenkästen einbringen, messen sie Veränderungen im elektrischen Feld des Bienenstaates. Dabei betrachtet Menzel mit seinen Teamkolleginnen und -kollegen die Bienenindividuen, als seien sie Nervenzellen, die alle gemeinsam ein Gehirn formen – ein Superorganismus aus mobilen Elementen sozusagen.

„Jeder Körper ist elektrisch geladen, wobei die Stärke der Ladung unter anderem von der Luftfeuchtigkeit, der Geschwindigkeit der Bewegung und vom Kontakt zu anderen Objekten abhängt,“ erläutert Randolf Menzel die physikalischen Hintergründe. Die Voltzahl, mit der fliegende Bienen geladen seien, liege je nach Witterung üblicherweise zwischen 100 und 400 Volt. Die Landung im Bienenstock sorge jedoch trotz Bodenkontakt nicht für einen Spannungsausgleich, denn die Wachsschicht, mit der der pelzige Körper der Bienen umgeben ist, wirke wie die Isolatoren, mit der Stromkabel ummantelt seien. „Im Bienenstock treffen so rund 50.000 Individuen mit unterschiedlichen Ladungen aufeinander, und diese Ladungen wirken sich mittels der Coulombschen Kräfte aufeinander aus,“ sagt Randolf Menzel.

Diese schwachen, elektrostatischen Wechselwirkungen von Anziehung und Abstoßung erzeugten gemeinsam ein messbares, elektrostatisches Feld. Je nachdem, ob und wie sich die Bienen im Stock bewegen, verändert sich dieses Feld, so dass die Forscher mit Hilfe von Messungen Rückschlüsse auf die Vorgänge im Inneren des Bienenstocks ziehen können – ein Verfahren, das das Volk im Zusammenspiel und nicht nur das Verhalten des isolierten Individuums sichtbar macht. Es bildet somit den aktuellen Zustand des Superorganismus’ ab. „Intern nennen wir das den Gesang der Bienen“, sagt Menzel. „Jede charakteristische Verhaltensweise entspricht im elektrostatischen Muster einer Strophe.“

So hat der Schwänzeltanz in seinen verschiedenen Ausprägungen ein ganz bestimmtes elektrostatisches Profil, das sich am Computer visualisieren und identifizieren lässt – ebenso wie die Stopp-Signale der zuschauenden Bienen, die den angebotenen Nektar kosten möchten. Ob die Bienen mit Hilfe unterschiedlicher Ladungen kommunizieren – etwa, ob eine ankommende Biene den anderen so Informationen darüber liefert, ob es draußen regnet oder die Sonne scheint, können die Forscher bislang nicht sicher sagen. Auch scheinen die Bienen nicht über einen spezialisierten, elektrischen Sinn zu verfügen, wie etwa Haie oder Rochen.

Vielmehr erzeugen die Ladungsunterschiede einen Druck oder Zug, den Mechanorezeptoren in der Haut registrieren – Zellen, die auf subtile Veränderungen reagieren, etwa, wenn Körperhaare vom Wind bewegt werden. „Wir wissen, dass die unterschiedlichen Ladungen als mechanische Reize wirken, die Bienen somit eine Bewegung, etwa an längeren Körperhaaren, fühlen können, wenn sie auf eine Biene mit anderer Ladung treffen. Ob das zu Verhaltensänderungen führt, also eine Art der Kommunikation ist, können wir noch nicht mit Sicherheit sagen.“

In mehrjähriger Grundlagenforschung hat das Team um Randolf Menzel eine Vielzahl von Experimenten mit unterschiedlichen Nahrungsquellen durchgeführt und dabei jeweils das elektrostatische Profil des gesamten Volkes ausgelesen. Aus den großen Mengen an Daten filterten sie so prototypische, schwarmbezogene Bewegungsmuster – „Lieder“ – heraus. Das Ergebnis: Jede Vergiftung eines Bienenvolkes ist, abhängig von Menge und Art des aufgenommenen Umweltgiftes, durch ein spezifisches, elektrostatisches Muster charakterisiert. Diesen erstaunlichen Datensatz an „prototypischen Liedern“ machen sich die Forscherinnen und Forscher nun im Rahmen von Bienen als Umweltspäher zunutze. Sie wollen in dem mehrere Jahre währenden Projekt überprüfen, ob sich die gleichsam unter Laborbedingungen erhobenen, prototypischen Vergiftungsmuster mit Daten aus der freien Natur vergleichen und somit Aussagen darüber machen lassen, wie stark deutsche Felder und Wälder tatsächlich mit Pestiziden belastet sind.

Der Wissenschaftler

Randolf Menzel, emeritierter Professor für Neurobiologie an der Freien Universität, ist einer der renommierte Bienenexperten.

Randolf Menzel, emeritierter Professor für Neurobiologie an der Freien Universität, ist einer der renommierte Bienenexperten.

Professor Randolf Menzel gilt als einer der weltweit führenden Forscher zum Nervensystem der Bienen. Seit fast 52 Jahren beschäftigt sich der Neurobiologe mit ihnen. Seit 1976 leitet er das neurobiologische Institut der Freien Universität Berlin. An der Honigbiene forschen er und seine Mitarbeiter mit Verhaltensexperimenten zur Navigation und Kommunikation, der Fähigkeit, Farben und Düfte zu unterscheiden und zu lernen. Mit neurophysiologischen Methoden suchen sie nach den neuronalen, biochemischen und molekularbiologischen Substraten für diese Fähigkeiten. Für seine Arbeit wurde Randolf Menzel unter anderem mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Karl Ritter von Frisch Preis der Deutschen Zoologischen Gesellschaft sowie der der Ehrendoktorwürde der Universität Toulouse ausgezeichnet. Außerdem ist er Gründungsmitglied der Berlin Brandenburgischen Akademie und Mitglied der Deutschen National Akademie Leopoldina sowie der European Academy.

Kontakt
Freie Universität Berlin
Institut für Biologie – Neurobiologie
E-Mail: menzel@neurobiologie.fu-berlin.de 

Mit selbst entwickelten Bienenkästen, ausgestattet mit Mikroprozessoren, kann Randolf Menzel die Veränderungen im elektrischen Feld eines Bienenstaates untersuchen.

Mit selbst entwickelten Bienenkästen, ausgestattet mit Mikroprozessoren, kann Randolf Menzel die Veränderungen im elektrischen Feld eines Bienenstaates untersuchen.
Bildquelle: Nora Lessing


„Wir arbeiten derzeit mit 29 Imkern in ganz Deutschland zusammen, die unsere Spezialbienenkästen bei sich aufgestellt haben und uns das Datenmaterial zukommen lassen,“ sagt Menzel. Einmal pro Woche verschicken die Imker, die ehrenamtlich tätig sind, einen USB-Stick voll mit Daten an Menzel und seine Teamkollegen und bekommen einen leeren zurück. Außerdem nehmen die Bienenforscher an der Freien Universität auch selbst mit Hilfe von sechs Spezialbienenkästen an ihrem Experiment teil und besuchen die teilnehmenden Imker in regelmäßigen Abständen, um zu überprüfen, ob die Umweltspäher-Kästen noch einwandfrei funktionieren. Neben dem elektrostatischen Profil erheben die Forscher dabei auch Daten über das Gewicht des Volkes, die Häufigkeit von An- und Abflügen und die Temperaturregulation. Betrieben wird der Hightech-Bienenkasten mittels externer Batterie.

„Bislang funktioniert nicht alles optimal, aber wir verbessern die Messinstrumente stetig“, sagt Randolf Menzel. „Wir arbeiten unter anderem auch sehr gut mit der Robotics-AG von Tim Landgraf zusammen, Professor am „Dahlem Center for Machine Learning.“ Interdisziplinäre Schützenhilfe ist für die Bienenforscher schon aufgrund der Komplexität der Datensätze und der schieren Menge an auszuwertender Information von großer Bedeutung. „Es gilt, relevante Muster aus den elektrostatischen Profilen herauszufiltern, und das geht eigentlich nur mit Hilfe von Algorithmen, die stetig dazu lernen und in die man auch immer wieder eingreifen kann. Darüber hinaus bedarf es eines großen Know-hows technischer und elektronischer Art im Hinblick auf den Aufbau der Schaltkreise. Schließlich müssen die auch eine recht robuste Behandlung durch die Pflege der Bienen vertragen.“

Wie viel Pflanzenschutzmittel etwa während der Baumblüte in Sachsen gespritzt wird, und ob im oberen Schwarzwald tatsächlich keinerlei Pestizide zum Einsatz kommen – auf solche Fragen verspricht sich Randolf Menzel vorerst keine präzisen Antworten. „Wir sind in der Forschung noch nicht so weit, dass wir den Umweltspäher als praktisches Instrument für die Imkerei anbieten könnten. Aber wir sind vor allem in der Grundlagenforschung bereits gewaltige Schritte vorangekommen und haben die Hoffnung, in den kommenden Jahren erste Erkenntnisse über die Belastung der untersuchten Gebiete liefern zu können.“