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Schau mir in die Augen!

Einsatz fürs Tierwohl: Miriam Stach untersucht in ihrer Dissertation am Fachbereich Veterinärmedizin Augenerkrankungen von Robben.

09.12.2017

Miriam Stach erforscht Augenerkrankungen bei Robben, die in menschlicher Obhut leben.

Miriam Stach erforscht Augenerkrankungen bei Robben, die in menschlicher Obhut leben.
Bildquelle: Lena Giovanazzi

Sie sind stets eine Attraktion, ob zur Fütterungszeit im Zoo, als Maskottchen des Norddeutschen Rundfunks oder als Plüschtier im Kinderzimmer. Robben sind bei vielen Menschen äußerst beliebt – und das liegt vermutlich nicht zuletzt an ihren meist großen dunklen Augen, die das Kindchenschema perfekt erfüllen. Anatomisch sind die Augen von Robben optimal an das Leben unter Wasser angepasst: Sie sind lichtempfindlicher als die Augen von Landsäugern und die Linse verfügt über andere Lichtbrechungseigenschaften. Unter Wasser – in ihrem Jagdrevier – können Robben somit ausgezeichnet sehen. An Land passen sie ihr Sehvermögen durch verschiedene anatomische und physiologische Mechanismen der veränderten Lichtbrechung an.

Bei einem Farbstofftest, der eine frische Hornhautverletzung anzeigt, verteilt sich der gelbe Farbstoff auch im Fell der Augenumgebung. Nach einem Tauchgang ist die Farbe wieder abgewaschen.

Bei einem Farbstofftest, der eine frische Hornhautverletzung anzeigt, verteilt sich der gelbe Farbstoff auch im Fell der Augenumgebung. Nach einem Tauchgang ist die Farbe wieder abgewaschen.
Bildquelle: Clément Madeline

 Allerdings sind gerade die großen Augen der Robben auch besonders anfällig für Erkrankungen. „Das Auge ist ein gut durchblutetes Organ. Deshalb reagiert es schnell auf innere Beschwerden und äußere Umwelteinflüsse“, sagt Miriam Stach. Die Doktorandin beschäftigt sich in ihrer Dissertation am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität intensiv mit Augenerkrankungen bei Robben, die in menschlicher Obhut leben. Betreut wird sie dabei von Professorin Corinna Eule, die die Abteilung für Augenheilkunde in der Klinik für kleine Haustiere am Fachbereich Veterinärmedizin leitet.

Derzeit leben bundesweit etwa 300 Robben in 42 Zoos, Aquarien, Freizeitparks, Forschungs- und Aufzuchtstationen. Für eine weitreichende Untersuchung eignen sie sich vergleichsweise gut: „Sie werden in vielen Einrichtungen gehalten und sind den Kontakt zum Menschen gewöhnt“, sagt Miriam Stach. „Zudem ist ihr Auge aufgrund seiner Größe gut einsehbar.“ Konkrete wissenschaftliche Daten über die Augengesundheit der Meeressäuger gebe es aus dem europäischen Raum bislang jedoch kaum. Dabei zeigten erste Voruntersuchungen der Doktorandin, dass Augenveränderungen unter Robben stark verbreitet sind: Etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Tiere – 57 Prozent – sei betroffen. „Die häufigsten Erkrankungen sind Hornhautentzündungen (Keratitiden) und der Graue Star (Katarakte)“, sagt Miriam Stach. Aber auch altersbedingte Veränderungen und Augenverletzungen kämen häufig vor.

Das Auge dieses Seelöwen betrachtet Miriam Stach mit einer Untersuchungsleuchte, die hier ein spaltförmiges Licht auf Hornhaut und Iris wirft.

Das Auge dieses Seelöwen betrachtet Miriam Stach mit einer Untersuchungsleuchte, die hier ein spaltförmiges Licht auf Hornhaut und Iris wirft.
Bildquelle: Clément Madeline

„Der Graue Star ist eine pathologische Linsentrübung, die durch verschiedene Faktoren hervorgerufen werden kann, etwa Infektionen oder UV-Strahlung“, erklärt die Veterinärmedizinerin. Das Sehvermögen wird beim Grauen Star beeinträchtigt: „Es ist, als würde man durch eine Milchglasscheibe schauen. Und je weiter die Katarakt voranschreitet, desto wahrscheinlicher ist es, dass Komplikationen auftreten können.“

Eine Hornhautentzündung kann durch ganz unterschiedliche Ursachen ausgelöst werden, etwa durch Infektionserreger oder chronische Reizungen der Umwelt. „Akute Entzündungen des Auges sind mit Schmerzen und möglicherweise einer Beeinträchtigung des Sehvermögens verbunden“, sagt Miriam Stach. „Es gilt, dies bei Tieren in menschlicher Obhut zu verhindern.“ Mit ihrer Dissertation setzt sich Miriam Stach für das Tierwohl ein, das ihr beruflich und persönlich am Herzen liege und sie motiviere.

Die Untersuchung des Robbenauges mit einer Handspaltlampe – und die damit mögliche zehnfache Vergrößerung – kann Miriam Stach nur durchführen, wenn das Tier absolut stillhält.

Die Untersuchung des Robbenauges mit einer Handspaltlampe – und die damit mögliche zehnfache Vergrößerung – kann Miriam Stach nur durchführen, wenn das Tier absolut stillhält.
Bildquelle: Corinna Eule / Miriam Stach

In Zoos und anderen Haltungseinrichtungen weiß man um das Problem. „Die Zootierärzte und anderen Mitarbeiter haben großes Interesse daran, die Ursachen festzustellen, um die Erkrankungen bekämpfen oder verhindern zu können“, sagt Miriam Stach. Es gehe darum, gemeinsam an einer Verbesserung der Situation zu arbeiten.

Für die Ursachen der Augenleiden gibt es Hypothesen: „Zu starke Sonneneinstrahlung ist ein möglicher Faktor, der Erkrankungen begünstigen könnte, veränderte chemische oder mikrobiologische Wasserwerte ein anderer. Deshalb beziehe ich die Gehege in meine Untersuchung ein; spreche mit Tierpflegern, Zootierärzten und den Mitarbeitern, die für das Wassermanagement zuständig sind“, sagt Miriam Stach.

Bei Zoos stößt die Arbeit auf große Resonanz

Für ihre Dissertation erarbeitet die Doktorandin nun eine Querschnittsstudie, in der sie die gegenwärtige Situation in etwa 20 Haltungssystemen analysiert, um die Vermutungen bestätigen oder widerlegen zu können. Das Vorhaben stößt bei den Zoos auf große Resonanz. „Ein Gehege umzubauen, ist nun einmal kostenintensiv“, erklärt Miriam Stach. „Dafür brauchen die Zoobetreiber valide Daten, auf die sie sich berufen können.“

Daten, die Miriam Stach derzeit erhebt. Bis jetzt hat sie mehr als 80 Seehunde, Seelöwen und Seebären untersucht; ihr Ziel für die Doktorarbeit sind 100 Tiere. Ein abschließendes Ergebnis gibt es deshalb zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, aber eine Tendenz lässt sich bereits feststellen: „Ich kann bestätigen, was die Voruntersuchungen schon angedeutet haben“, berichtet die Doktorandin. „Viele der Robben, die ich untersucht habe, zeigen Augenveränderungen. Oft sind es teils chronische Entzündungen, teils narbige Veränderungen, die wahrscheinlich von Verletzungen aus Kämpfen oder Ähnlichem stammen. Frische Wunden habe ich hingegen kaum festgestellt.“

Zur Erstdiagnose werden die Robben fotografiert

In jeder Einrichtung verbringt Miriam Stach etwa eine Woche. „Zunächst schaue ich mir die Robben an und bin beim Training dabei“, erklärt sie ihren Arbeitsab-lauf. „Dann mache ich Nahaufnahmen von allen Tieren, die in der Einrichtung leben. Diese sind unterschiedlich zahm, deshalb muss ich mir viel Zeit nehmen, um gute Fotos zu bekommen.“ Die Fotos seien deshalb so wichtig, weil sie eine erste Diagnose ermöglichen: Wie viele Robben sind in welcher Form und in welchem Schweregrad betroffen? „Dies bildet das Grundgerüst für die weitere Arbeit“, sagt die Veterinärmedizinerin.

Es folgt die tierärztliche Untersuchung. „Die Voraussetzungen sind ganz andere als etwa in einer Augen-Tierarztpraxis, wo die Bedingungen standardisiert sind“, sagt Miriam Stach. „Das Gehege kann ich nicht einfach abdunkeln, um den Tieren mit einer Lampe ins Auge zu leuchten.“ Auch festhalten lassen sich die bis zu mehreren hundert Kilo schweren Meeressäuger nicht. Deshalb wird die Nachwuchswissenschaftlerin auch stets durch Tierpfleger vor Ort unterstützt. Beim sogenannten Target- Training lernen die Robben etwa, einem Stab zu folgen und ihn mit der Nase zu berühren. „Dadurch kann man erreichen, dass sie stillhalten und sich untersuchen lassen“, erklärt die Doktorandin.

Je nach Zutraulichkeit der Robbe führt Miriam Stach eine Reihe von Untersuchungen durch: Ein sogenannter Fluoreszin-Test – ein Farbstofftest – zeigt an, ob eine akute Hornhautschädigung vorliegt. Außerdem misst sie den Augeninnendruck und nimmt einen Augenabstrich, um ihn bakteriell untersuchen zu lassen.

Während der tierärztlichen Untersuchung konzentriere sich Miriam Stach ganz auf das Tier und sein Verhalten – und natürlich auf die Augen. Alles andere blende sie aus; in diesen Momenten stehe die professionelle Arbeit im Vordergrund. „Aber wenn ich die Robben in einer Einrichtung besser kennenlerne und zum Beispiel merke, dass ein Tier, das am Anfang schreckhaft war, plötzlich viel zutraulicher ist – das sind dann auch für mich sehr schöne Momente.“

Nachdem sie sich eingehend mit den Robben selbst beschäftigt hat, widmet sich Miriam Stach der sogenannten Haltungsanalyse: Wie ist das Gehege angelegt? Was wird gefüttert? Wie oft werden die Gehege gereinigt und wie steht es um das Wassermanagement? In welcher Form erfolgen Gesundheitskontrollen? „Ich mache Fotoaufnahmen vom Gehege, schaue mir den Bauplan an und lasse mir die medizinische Historie und die Herkunftsdaten der Robben geben“, erklärt Miriam Stach. „Ich nehme außerdem eine Wasserprobe, die ich mikrobiologisch untersuche.“

Den Zoos gibt sie auf Grundlage ihrer Beobachtungen vor allem Handlungsempfehlungen. „Wenn ich etwa eine hohe bakterielle Belastung festgestellt habe, rate ich dazu, das Wasser häufiger zu wechseln oder die Beckenwände zu desinfizieren“, sagt sie. Auch den Zootierärzten stehe sie mit Ratschlägen für die Therapie von Augenerkrankungen zur Verfügung, „aber ich mische mich nicht aktiv in die Behandlung ein“. Besonders freut es Miriam Stach, wenn sie merkt, dass die Mitarbeiter sich für eine nachhaltige Veränderung einsetzen. „Einmal wurde zum Beispiel schon vor meiner Ankunft eine Sonnenabdeckung installiert, die in den Außenboxen mehr Schatten spendete“, erzählt die Doktorandin. „Das hat sich positiv auf die Tiere und auch auf die Menschen ausgewirkt, und hat mir gezeigt, dass großes Interesse besteht, wirklich etwas zu ändern.“

In anderthalb Jahren will die Tierärztin ihre Arbeit einreichen. Die Auswertung der vielen Daten, die aus den Untersuchungen hervorgehen, würde den Rahmen ihrer Dissertation allerdings sprengen, sagt Miriam Stach. Daher betrachtet sie die Doktorarbeit vielmehr als Teil eines großen Forschungsprojekts. „Ich möchte auf jeden Fall auch nach der Abgabe mit dem Thema weitermachen“, sagt sie. „Da ist noch so viel Potenzial!“   

Die Wissenschaftlerin

Miriam Stach promoviert zu Augenerkrankungen von Robben

Miriam Stach promoviert zu Augenerkrankungen von Robben
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Miriam Stach Miriam Stach promoviert zum Thema „Augenerkrankungen bei Robben“ in der Augenabteilung der Klinik für kleine Haustiere am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität. Studiert hat sie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Allgemein beschäftigt sie sich in ihrer Arbeit mit den Themen Augenheilkunde, Wildtierforschung und Tierschutz.

Kontakt
Freie Universität Berlin
Fachbereich Veterinärmedizin Klinik für kleine Haustiere
Abteilung für Ophthalmologie (Augenheilkunde)
E-Mail: miriam.stach@fu-berlin.de