Die Informanten aus dem Bienenstock
Parasiten, Krankheiten und die Monokultur sorgen für den Niedergang ganzer Bienenvölker. Forscher der Freien Universität wollen das verhindern.
03.12.2015
Es summt und brummt. Für ein Gespräch mit dem Neurologie- Professor Randolf Menzel ist das genau das passende Hintergrundgeräusch. Er steht mit seinem Mobiltelefon inmitten einer Feldforschungsstation in der Nähe von Marburg und studiert sein liebstes Untersuchungsobjekt: die Biene. Immer wieder fliegt eines der kleinen Insekten dicht am Telefon vorbei und schickt ein kräftiges Summen durch die Leitung.
Forscher der Freien Universität untersuchen, wie die Orientierung der Insekten durch Pestizide gestört wird – und wie man Bienen tödliche Milben nachhaltig vom Leib hält.
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Fast sein ganzes Forscherleben hat Menzel den Insekten gewidmet. „Bienen sind fantastische Lernmaschinen“, erklärt Menzel. „Mich hat von Anfang an interessiert: Was passiert im Gehirn? Wie funktioniert ihr Gedächtnis? Wie verändern sich beim Lernen die Netzwerke im Gehirn? An Bienen kann man diese Fragen hervorragend untersuchen. Unter dem Mikroskop kann man ihnen sogar direkt beim Lernen zuschauen. Aus dieser Kombination von Faktoren haben sich immer wieder neue, faszinierende Fragestellung für meine Forschung ergeben.“ Zur Zeit interessieren sich Menzel und seine Arbeitsgruppe am Institut für Biologie und Neurobiologie der Freien Universität auch dafür, welche Wirkungen Pflanzenschutzmittel auf Bienen haben und warum Imker seit einigen Jahrzehnten so große Probleme haben, ihre Völker gesund zu erhalten. Vor allem in westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Belgien, Deutschland und der Schweiz geht es den Bienen schlecht. Der Rückgang an Bienen ist vor allem deswegen besorgniserregend, weil die Insekten einen Großteil unserer Kultur- und Wildpflanzen bestäuben. Angaben der Welternährungsorganisation FAO zufolge bestäuben Bienen 71 der rund 100 Feldfrüchte, die 90 Prozent der Nahrung weltweit bereitstellen.
Ohne Bienen keine Landwirtschaft
Der reine Geldwert dieser Bestäuberleistung sei schwer zu ermitteln, für alle bestäubenden Insekten zusammen belaufe er sich weltweit wohl auf deutlich über hundert Milliarden Euro, sagt die FAO. Ohne Bienen – und damit ohne Bestäubung – ist die Landwirtschaft aufgeschmissen. Eine Einzelursache für den Verlust an Bienen kennen die Forscher bisher nicht. Vermutlich sind mehrere Gründe dafür verantwortlich. Eine wesentliche Rolle spielt Menzel zufolge die Belastung der Umwelt mit bestimmten Pestiziden, den sogenannten Neonicotinoiden. Wird das Saatgut damit behandelt, verteilen sich die Substanzen beim Wachstum auf die gesamte Pflanze. Später sind sie auch im Pollen und im Nektar zu finden und werden so von den Bienen aufgenommen. In Navigationsexperimenten zeigte Menzels Forscherteam, dass diese Pestizide schon in geringer Konzentration die Orientierungsleistung der Bienen einschränken. Bienen bilden bei ihren ersten Ausflügen aus dem Stock ein Landschaftsgedächtnis. Sie prägen sich ihre Umgebung genau ein, indem sie sich mit ihrem Sonnenkompass orientieren und dabei im Gedächtnis die Lage von Landmarken speichern. Dann verknüpfen sie die Standorte von Nektar und Pollen produzierenden Pflanzen in einer kartenartigen Vorstellung der Gegend um ihren Stock.
Pestizide schränken den Orientierungssinn der Bienen ein
Für ihre Experimente hatten die Forscher Honigbienen zunächst darauf trainiert, von ihrem Stock eine Futterquelle direkt anzufliegen. Nachdem sie das gelernt hatten, fingen die Forscher die Bienen ein und ließen sie an anderer Stelle frei. Die Bienen fanden dennoch schnell zu ihrem Stock zurück. Nun folgte der spannendste Teil des Experiments: Die Wissenschaftler verabreichten den Bienen an der Futterstelle pestizidbelastete Nahrung. Nun fanden die Bienen plötzlich nicht mehr zum Stock zurück – oder nur noch auf Umwegen. Ihre Navigationsfähigkeit war deutlich beeinträchtigt, wie Menzel feststellte. „Der Abruf der Informationen aus dem Gedächtnis wird also durch die Pestizide gestört. Die Bienen können zwar weiterhin fliegen und auch ihren Sonnenkompass verwenden. Aber sie können ihren Landschaftskompass nicht mehr benutzen“, sagt Menzel.
Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden erschwert den Bienen die Nahrungssuche.
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Weitere Untersuchungen zeigten, auf welche Weise die Pestizide womöglich wirken. „Pestizide sind Gehirn-Drogen. Sie wirken auf einen Rezeptor, der für die Signalübertragung eine wichtige Rolle spielt und an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt ist“, erläutert der Wissenschaftler. Über die Gefährlichkeit der Neonicotinoide gibt es erbitterten Streit: Imker und Naturschützer fürchten bei fortgesetzter Anwendung der Mittel den weiteren Niedergang der Bienenvölker. Landwirtschaftsverbände und die Hersteller der Pestizide warnen vor deutlichen Ernteverlusten, sollte das bereits bestehende Anwendungsverbot für einige Neonicotinoide ausgeweitet werden. Im Dezember 2013 verabschiedete die Europäische Kommission ein europaweites Moratorium, das seitdem den Einsatz der für besonders gefährlich erachteten Mittel Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin stark einschränkt. Das Gefährdungspotenzial solle in weiteren wissenschaftlichen Studien genauer geprüft werden, hieß es. Im Dezember 2015 läuft das Moratorium aus, das Verbot soll dann erneut geprüft werden. Wie es weitergeht, ist bisher offen. Selbst wenn die oben genannten Stoffe endgültig verboten würden, sei die Gefahr für die Bienen nicht gebannt, sagt Randolf Menzel. Es gebe weitere Mittel, die für ungefährlich gehalten würden und deshalb nicht verboten seien – etwa Thiacloprid. „Wir wissen aber, dass auch dieses Mittel die Navigation, das Lernen, die Gedächtnisbildung und die Kommunikation der Bienen beeinträchtigt und also schädlich ist.“ Aber es sind nicht die Pestizide allein, die den Bienen zu schaffen machen. Die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren riesigen Flächen und den darauf angebauten Monokulturen verknappe das Nahrungsangebot, klagen Imker, Bienenforscher und Naturschützer. Ist die Blühperiode von Raps oder Mais vorbei, finden die Bienen oft kaum andere Pflanzen, um Nektar und Pollen zu sammeln. Monokulturen schädigen die Bienenvölker also zusätzlich zu dem Chemikalien-Cocktail zur Bekämpfung von tierischen Schädlingen, Pilzen und Unkräutern. Die Wissenschaftler hoffen, dass der Wirkmechanismus eine Resistenzbildung aufseiten der Milben erschwert. „Anders als bei einigen pharmazeutischen Milben-Präparaten reicht eine einzelne Mutation wohl nicht aus, um eine Resistenz zu erzeugen“, sagt Eva Rademacher.
Die Varroa-Milbe: Der Feind der europäischen Bienen
Und dann ist da noch ein kleines Spinnentier: die Varroa- Milbe. Varroa destructor stammt ursprünglich aus Asien, verbreitete sich aber in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts dank des Bienenhandels weltweit. Während sich die asiatischen Bienen an den Erreger angepasst haben, rafft er die Völker europäischer Honigbienen seit den 1980er Jahren in erschreckendem Tempo dahin. Die Milben heften sich am Körper der ausgewachsenen Bienen an und saugen deren Hämolymphe, ihr Blut. „Wenn die Bienen reproduktionsbereit sind, wandern die Milben auch in die Brutzellen und befallen die Brut“, erläutert Eva Rademacher, Leiterin der Arbeitsgruppe Bienenpathologie am Institut für Biologie und Neurobiologie der Freien Universität „Viele der frisch geschlüpften Bienen sind dann verkrüppelt, zum Teil sind sie nicht lebensfähig. Ursache für die Verkrüppelung sind Viren, die von der Varroamilbe übertragen werden.“ Als wäre das noch nicht genug, spielen bei der Varroose wahrscheinlich weitere Mikroorganismen eine wesentliche Rolle, die die Völker zusätzlich schwächen. Gemeinsam mit ihrem Team untersucht Rademacher an der Freien Universität, wie sich die Milben bekämpfen lassen.
Ameisensäure zum Schutz vor der Varroa-Milbe
Einige Therapeutika haben die Forscher bereits bis zur Marktreife entwickelt, zum Beispiel ein Ameisensäure- Präparat. Das Vorbild für die Entwicklung lieferte die Natur: „Viele Vögel zerdrücken Ameisen und streichen sich dann durch das Gefieder. Das sogenannte ‚Einemsen‘ tötet die Milben ab“, erläutert Rademacher. Die Ameisensäure wirkt auch bei den Bienen gegen Milben, wie die Biologin in Versuchen nachweisen konnte. Mittlerweile wird Ameisensäure von vielen Imkern im Spätsommer im Stock verdampft, um die Völker vor den Milben zu schützen. „Es war ein Wettlauf mit der Zeit, als die Varroa-Milbe in Europa auftauchte. Sie bringt die Bienenvölker um. Wir mussten schnell einfach ausprobieren, was wirken könnte“, sagt Eva Rademacher. „Zum Glück haben wir einige Substanzen finden können.“ Basierend auf diesem Erfolg experimentierten die Forscher der Freien Universität gemeinsam mit Bienen- Forschern aus Deutschland und Europa mit verschiedenen anderen Säuren wie Milchsäure und Oxalsäure. Auch sie sind mittlerweile zur therapeutischen Behandlung zugelassen und wirken gut. Der große Vorteil all dieser Präparate: Sie sind bei sachgerechter Anwendung rückstandsfrei. Das heißt, in Honig und Wachs sind keine Reste der Stoffe nachzuweisen. Ein wichtiger Punkt für die Imker, denn Honig ist ein reines Naturprodukt. Und dem Honig darf gemäß der Honigverordnung – festgelegt durch das Bundesmi nisterium der Justiz und für Verbraucherschutz – nichts zugesetzt sein. Wie genau die Säure-Präparate wirken, wissen die Forscher bisher nicht. Möglicherweise führen sie zu einer generellen Übersäuerung des Milbenkörpers. Andere, stoffliche Komponenten spielen vermutlich zusätzlich eine Rolle. Welche genau das sind, müssen sie noch erforschen.
Huckepack: eine Varroa-Milbe auf einer Biene unter dem Mikroskop. Die Milben heften sich am Körper der ausgewachsenen Bienen an und saugen deren Hämolymphe, ihr Blut.
Bildquelle: wikipedia, United States Department of Agriculture
Die Wissenschaftler hoffen, dass der Wirkmechanismus eine Resistenzbildung aufseiten der Milben erschwert. „Anders als bei einigen pharmazeutischen Milben-Präparaten reicht eine einzelne Mutation wohl nicht aus, um eine Resistenz zu erzeugen“, sagt Eva Rademacher.
Der Bienenstock im Computertomographen
Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung der Milben ist, dass sich die Substanzen im Bienenstock gut verteilen und somit möglichst viele der zehntausenden Bienen eines Volkes erreichen. Um das zu überprüfen, haben die Forscher um Rademacher ganze Bienenvölker in einen Computertomographen gesteckt und die Verteilung der Präparate mithilfe einer Markierung überprüft. Völlig nebenwirkungsfrei sind die eingesetzten Stoffe indes nicht. Zumindest für die Oxalsäure zeigten die Wissenschaftler, dass auch sie das Verhalten der Bienen beeinträchtigt. „Die gute Wirksamkeit der Behandlung mit Oxalsäure wiegt die Nebenwirkungen aber auf “, sagt Marika Harz, die in Eva Rademachers Arbeitsgruppe promoviert. Weitere Medikamente, zum Beispiel Präparate auf Hopfenbasis, hätten im Labor und in Feldversuchen gute Ergebnisse erzielt, sagt Marika Harz. Bald können Imker im Kampf gegen die Milben vermutlich also auf ein weiteres Mittel zurückgreifen. „Es befindet sich gerade in der Zulassung“, sagt Marika Harz. Doch auch wenn es in Zukunft gelingen sollte, die Milben besser in Schach zu halten: Gegen die Belastung der Umwelt mit Chemikalien, vor allem aus der Landwirtschaft, können die Imker wenig tun. In Zukunft sollen sie zumindest frühzeitig erkennen können, wenn ihre Völker durch chemische Stoffe beeinträchtigt werden. Wissenschaftler um Randolf Menzel wollen die Honigbienen dazu künftig als eine Art Umweltspäher einsetzen. Sie statten die Bienenstöcke mit einer Messtechnik aus, die elektrostatische Felder im Stock erfasst. Diese wiederum können Auskunft über den Gesundheitszustand des Volkes geben. Die Felder entstehen, wenn Bienen über ihre Bewegungen untereinander kommunizieren und sich zum Beispiel die Lage von Futterquellen mitteilen. Nehmen die Bienen pestizidbelastete Nahrung auf, verändern sich ihre typischen Bewegungsmuster; der Bienentanz verschwindet oder wird ungenau, die elektrostatischen Felder ändern sich. Und das messen die Forscher. „Wir können in den Bienenstock quasi hineinhorchen“, erläutert Randolf Menzel. „Über eine Computeranalyse können wir den „sozialen Gesang“ der Bienen und seine Veränderungen studieren.“ Eine Pestizid-Belastung der Umwelt lasse sich unter bestimmten Umständen auf diese Weise frühzeitig erkennen. Imker hätten dann die Möglichkeit, ihre Stöcke zu schließen, um eine weitere Beeinträchtigung der Völker zu vermeiden. Zudem könne der sichere Nachweis einer Umweltbelastung in Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Bauern dazu beitragen, künftige Chemikalien-Einträge zu minimieren, hofft Randolf Menzel. Profitieren würde davon nicht nur die Honigbiene, auch Wildbienen und Hummeln hätten einen Vorteil. Anders als die Honigbiene haben die nämlich keinen Imker, der sie hegt und pflegt. Von schädlichen Umwelteinflüssen sind sie deshalb zumeist viel stärker betroffen. Derzeit kooperieren die Forscher um Randolf Menzel mit mehreren Imkern. Sie haben schon einige Bienenstöcke mit der nötigen Messtechnik ausgestattet. Über eine Internetverbindung werden die gesammelten Daten in das Institut für Neurobiologie an der Freien Universität geschickt und analysiert. Zusammen mit den erfassten Beobachtungen des Imkers geben die Daten Auskunft über das Wohlbefinden der Insekten im Stock. Ziel der Forscher ist es, ein deutschlandweites Netz an Umweltspäher-Stationen einzurichten und so die Gefährdung der nützlichen Insekten frühzeitig zu erkennen.
Die Wissenschaftler
Prof. Dr. Randolf Menzel
Randolf Menzel gilt als einer der weltweit führenden Forscher zum Nervensystem der Bienen. Seit fast 50 Jahren beschäftigt sich der Neurobiologe mit ihnen. Seit 1976 leitet er das neurobiologische Institut der Freien Universität Berlin. An der Honigbiene forschen er und seine Mitarbeiter mit Verhaltensexperimenten zur Navigation und Kommunikation, der Fähigkeit, Farben und Düfte zu unterscheiden und zu lernen. Mit neurophysiologischen Methoden suchen sie nach den neuronalen, biochemischen und molekularbiologischen Substraten für diese Fähigkeiten. Für seine Arbeit wurde Randolf Menzel unter anderem mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Ehrendoktorwürde der Universität Toulouse ausgezeichnet.
Kontakt
Freie Universität Berlin
Institut für Biologie – Neurobiologie
E-Mail: menzel@neurobiologie.fu-berlin.de
Dr. Eva Rademacher
Die Wissenschaftlerin Eva Rademacher ist die Leiterin der Arbeitsgruppe Bee Pathology am Institut für Biologie und Neurobiologie der Freien Universität. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit der Bienenbiologie und der Biologie der Varroa- Milbe. Sie veröffentlichte 1984 eines der ersten Bücher zum Befall der Bienen durch die Varroamilbe, der sogenannten Varroose. Neben der angewandten Forschung zur Bekämpfung dieser Parasitenerkrankung beschäftigt sich Eva Rademacher in ihrer Forschung auch mit allgemeinen Bienenkrankheiten und der Entwicklung von Medikamenten.
Kontakt
Freie Universität Berlin
Institut für Biologie – Neurobiologie
E-Mail: radem@zedat.fu-berlin.de