Eine Frage der Gerechtigkeit
Im Interview: Professorin Miranda Schreurs über die Nachhaltigkeitsdebatte und wie diese die Forschung des Instituts für Umweltpolitik beeinflusst.
02.12.2015
fundiert: Das Forschungszentrum für Umweltpolitik untersucht Kosten, Nutzen und Chancen nachhaltiger Politik. Womit beschäftigt sich das Institut aktuell am häufigsten?
Schreurs: Wir beschäftigen uns vor allem mit den Ursachen von Problemen, ihren politischen Lösungen und forschen viel zu vergleichenden Perspektiven der Nachhaltigkeit. Eines unserer Vorhaben untersucht zum Beispiel die Akzeptanz der benötigten Infrastruktur für die Energiewende. Dabei geht es sowohl um die politische Zusammenarbeit mit den Nachbarländern als auch um die Frage, welches Governance-System gebraucht wird. Und: Wie kann man Partizipation fördern, um die Energiewende zu erreichen?
fundiert: Die Energiewende verliert ja gerade beim Thema Hochspannungsleitungen massiv an Zuspruch...
Schreurs: Das ist ein Thema, auf das wir uns fokussieren, und wir fragen, ob man nicht auch unterschiedliche Lösungen finden kann. Zum Beispiel: Muss man wirklich so viele Leitungen haben? Oder ist eine Mischung aus dezentralisierter und eher zentralisierter Stromversorgung nicht sinnvoller und eher umzusetzen? Bei einer dezentralisierten Stromversorgung bräuchte man vielleicht weniger der umstrittenen Hochspannungsnetze. Wir untersuchen dann, ob solch ein Vorschlag die Akzeptanz erhöht.
fundiert: Wie gehen Sie dabei methodisch vor?
Schreurs: Wir machen viele Fallstudien und auch international vergleichende Studien. Zum Beispiel in Deutschland und Kalifornien. Beide „Länder“ haben sich für einen Ausstieg aus der Kernenergie entschieden und versuchen, bis 2020 die Kohlendioxid-Emissionen um 80 Prozent zu senken.
fundiert: Wie schneiden die beiden Regionen im Vergleich ab?
Schreurs: Was wir in beiden Ländern sehen, sind die sogenannten NIMBY-Bewegungen. Also die „Not In My Backyard“ – Bewegungen, die zwar für die Energiewende stimmen, aber eine Leitung in ihrem unmittelbaren Umfeld ablehnen. Interessant ist die politische Einflussnahme der NIMBY-Bewegungen auf die jeweilige Energiepolitik. Aber auch, wie sie neue kreative Lösungen in Gang setzen.
fundiert: Welche Lösungen wären das zum Beispiel?
Schreurs: In Deutschland gab es zum Beispiel viel Widerstand gegenüber Windenergie und Windparks. Das Problem hat sich durch neue Finanzstrukturen etwas entschärft. In vielen Gegenden sind jetzt die Anwohner auch Teilhaber der Parks. Deshalb profitieren sie davon und nicht nur Großkonzerne, die von außen kommen und einen Windpark aufbauen.
fundiert: Wie stehen ihrer Meinung nach die Chancen, dass die Energiewende in Deutschland glückt?
Schreurs: Eine Energiewende löst einen Paradigmenwechsel aus, der in alle Sektoren eingreift. Es erfordert viele Änderungen. Im Status Quo zu verbleiben, wäre also wesentlich einfacher. Ich finde es deshalb wirklich verwunderlich, wie viel man in so kurzer Zeit bereits geschafft hat! Von 2011 bis heute ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien sehr vorangeschritten, zum Beispiel wurden neun Kernkraftwerke abgeschaltet. Gleichzeitig ist der Anteil der erneuerbaren Energie auf über 30 Prozent gestiegen. Das ist sehr viel!
fundiert: Ihr Institut wurde 1986 gegründet. Hat der Nachhaltigkeitsbegriff die wissenschaftliche Arbeit verändert?
Schreurs: Nachhaltigkeit ist der Versuch, Umweltbelastung auch in Beziehung zu setzen mit Lebensformen und Fragen der Gerechtigkeit. Ein sehr wichtiger Zusammenhang, auch in der Forschung. Nachhaltigkeit hat auch mit unserem Konsum zu tun. Deshalb ist es so wichtig, den Zusammenhang zwischen Menschen, Wirtschaft und der Umwelt herzustellen. Das erwartet man vom Thema Nachhaltigkeit.
fundiert: Was bedeutet das für die Forschung des Instituts?
Schreurs: In den Anfangsjahren lag der Fokus auf der ökologischen Modernisierung, also der Idee, dass man zwischen Wirtschaft und Umwelt durchaus Win-Win- Potenzial finden kann. Energieeffizienz oder Ressourceneffizienz zum Beispiel verbessern die Einkommen von Unternehmen. Und ist ein Gewinn für die Umwelt. Mittlerweile ist der wissenschaftliche Ansatz breiter. Es geht zum Beispiel um die Frage, ob man auch gut leben kann, ohne so viel zu konsumieren. Das ist unter anderem mit Umweltfragen wie dem Klimawandel verknüpft, einer zentralen Frage für die Nachhaltigkeit. Das Institut ist bei seinen Fragestellungen außerdem international ausgerichtet. Denn es geht ja auch um die Frage, wie das, was in Deutschland passiert, mit der internationalen und globalen Ebene zusammenhängt.
fundiert: Wo sehen denn Forscher aktuell oft hin, um etwas über Nachhaltigkeit zu lernen?
Schreurs: Ein Beispiel wäre wieder Kalifornien. Dort will man das Ziel erreichen, dass bis 2020 eine Million Elektroautos auf den Straßen fahren, und man ist Deutschland beim Ausbau der E-Mobilität weit voraus. Kalifornien hat außerdem ein Klimagesetz erlassen. Das hat Deutschland nicht.
fundiert: Das Institut ist auch in der Politikberatung tätig. Was würden Sie sich von Politikern in Deutschland bisweilen wünschen?
Schreurs: Beim Thema Energie gibt es Interessensund Lobbygruppen, die sich in der Politik dafür stark machen. Bei Biodiversität ist das anders. Da würden wir uns wünschen, dass sie politisch einen höheren Stellenwert einnimmt, wie auch globale Gerechtigkeitsfragen. Wie aktuell die sind, sieht man etwa bei der Flüchtlingskrise. Es sind ja nicht nur Kriege, die die Menschen vertreiben, sondern auch schlechte Ressourcenpolitik. Und auch dafür tragen wir die Verantwortung.
Das Interview führte Julia Rudorf
Prof. Dr. Miranda Schreurs
Miranda Schreurs leitet seit 2007 das Forschungszentrum für Umweltpolitik am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und ist dort Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft. Außerdem lehrt und forscht sie an der Universität Oslo. Seit 2008 gehört sie auch dem Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung an, seit 2011 ist sie Vorsitzende des Europäischen Netzwerkes der Umwelt- und Nachhaltigkeitsräte. Im gleichen Jahr wurde sie von Angela Merkel in die Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung berufen. Seit 2014 ist Miranda Schreurs sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Neue Energie in Berlin – Zukunft der energiewirtschaftlichen Strukturen“. Sie forschte in Japan, Deutschland und den Niederlanden, war Gastforscherin an der Harvard University und Gastprofessorin unter anderem an der Utrecht University und den japanischen Hochschulen Chuo University und Rikkyo University.
Kontakt
Freie Universität Berlin
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft
Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU)
E-Mail: Miranda.Schreurs@fu-berlin.de