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Wie ihnen der Schnabel gewachsen ist

Zwei Wissenschaftlerinnen der Freien Universität erforschen, wie Zebrafinken und Nachtigallen ihren Gesang erlernen

01.07.2013

Zebrafinken und Nachtigallen sind die Forschungsobjekte der Professorinnen Silke Kipper und Constance Scharff.

Zebrafinken und Nachtigallen sind die Forschungsobjekte der Professorinnen Silke Kipper und Constance Scharff.
Bildquelle: istockphoto_dmbaker

Die eine hat ein unfassbares Liedrepertoire, der andere lässt sich beim Singenlernen genau beobachten: Nachtigall und Zebrafink. Die beiden Vögel und ihr Gesang beschäftigen die Verhaltensbiologinnen Constance Scharff und Silke Kipper an der Freien Universität seit vielen Jahren. Dazu analysieren sie nicht nur Gehirn und Gene der Tiere, sondern auch Grammatik und Gefühle.

 

Es brüllt, bellt, kläfft, maunzt, jault, gackert, schnattert, trompetet, faucht, zischt und heult in der Natur. Tiere kommunizieren mit Lauten, die in der Regel angeboren sind. Bei Singvögeln ist das anders: Sie müssen ihren Gesang – wie der Mensch die Sprache – erst lernen. Auch wenn es die Wissenschaft zunächst nicht wahrgenommen hat: Wenn es ums vokale Lernen geht, ist nicht der Affe dem Menschen am nächsten, sondern Amsel, Drossel, Fink und Star. Und mit ihnen Tausende weiterer Singvogelarten. Einige von ihnen werden als Modelle von Wissenschaftlern genau studiert, darunter Zebrafinken und Nachtigallen. Die einen, weil sie leicht im Labor gehalten werden können, die anderen, weil sie so unfassbar viele Strophen singen können.

An der Freien Universität sind beide Arten vertreten. Die Zebrafinkenforschung kam 2005 mit Professorin Constance Scharff. Ihr ehemaliger Doktorvater in den USA war einer der Pioniere des neuronalen Zweigs und des Modells Zebrafink. „Es ist faszinierend, dass man die Parallelen zwischen Mensch und Vogel bis aufs Gen zurückverfolgen kann“, sagt Scharff, „und dass diesem besonderen Verhalten bei so unterschiedlichen Spezies ähnliche Schaltkreise zugrunde liegen.“ Auch die Nachtigallenforschung hat am Institut schon eine längere Tradition. Seit den Siebzigerjahren zog man hier Nachtigallen von Hand auf. Vor mehr als zehn Jahren hat die heutige Juniorprofessorin Silke Kipper begonnen, zusätzlich eine Gruppe von Nachtigallen im Berliner Treptower Park zu beobachten, um deren soziales Verhalten in den Blick zu bekommen. Diese frei lebenden Forschungsobjekte haben die Labor-Nachtigallen inzwischen sogar abgelöst.

Herausfiltern, was fürs Lernen wichtig ist

Wissenschaftler versuchen schon seit Längerem intensiv, die Geheimnisse des Vogelgesangs zu lüften und zu erkunden, wie sich die Stimmwunder mittels des sogenannten vokalen Lernens ihr Liedgut aneignen.

Zur Welt kommen Singvogel und Mensch mit einer ähnlichen Begabung: Beide haben lediglich ein gewisses Lautrepertoire und eine Art Filter im Kopf, um herauszufinden, was nachahmenswert ist und was nicht. Hundegebell wird deshalb ignoriert, das Piepsen der Eltern dagegen imitiert. Auch bei Walen, bei manchen Fledermausarten und bei Robben wird vermutet, dass sie so zu ihrem Gesang kommen. Da diese Ähnlichkeit des vokalen Lernens bei Singvögeln schon seit den Fünfzigerjahren bekannt ist, sind die Vögel bereits sehr gut erforscht. Tatsächlich sind die Parallelen zwischen Vogel und Mensch frappierend: Beide lernen nur in einer kurzen Phase ihrer Jugend besonders gut. Ist dieses Zeitfenster verpasst, wird es mühsamer. Eine Sprache akzentfrei lernen können Menschen am besten vor der Pubertät, Singvögel sind bezüglich ihres Liedguts am lernfähigsten in den Wochen nach dem Schlupf. Menschen wie Vögel lernen besser mit sozialem Bezug, also wenn ein Lebewesen dabei ist. Für junge Vögel kann das auch ein Mensch sein, der neben ihnen sitzt und ihnen Gesänge vom Tonband vorspielt.

Bei der Erforschung des Vogelgesangs wurde anfangs noch viel gezählt, strukturiert und sortiert. Man nahm Gesänge auf, zerteilte sie in Strophen und kategorisierte sie. Dabei fanden Biologen heraus, dass sich etwa die Nachtigall mit ihrem immensen Strophenrepertoire als Modell des Gesangslernens eignet. Warum aber singt eine Nachtigall die halbe Nacht, um ein Weibchen für sich zu erobern – und dann nochso abwechslungsreich? Schließlich kostet der Aufwand einiges an Energie. Der Buchfink gelangt schließlich schon mit drei Strophen an sein Ziel, ein Weibchen für sich zu gewinnen. Welchen Vorteil haben die kunstvolleren Sänger? Forscher haben dafür Hypothesen: Es könnte für das Weibchen ein Beweis dafür sein, dass ein kreativer Sänger ein fitter Partner ist. Oder ein Signal: Ich kann besser lernen – und bin deshalb auch als Vater eine gute Partie.

Tonstudios für Zebrafinken

Nach dem Schlüssel zur Kommunikation wird unter anderem im Keller des Instituts für Verhaltensbiologie gesucht. Kleine Zebrafinken flattern dort in Käfigen oder Volieren. Sie piepsen, zwitschern und trillern, fliegen im Schwarm zum nächsten Zweig und stecken ihre leuchtend roten Schnäbel zusammen. Es gibt „Tonstudios“ – schallgedämpfte Boxen für Tonaufnahmen. Und es gibt Boxen, in denen die Finken ihren Lieblingsgesang per Schnabeldruck starten können. Im Moment haben die Sänger allerdings Pause. Zebrafinken gelten als „Supermodell“, wenn es um die neuronale Forschung geht. Sie lassen sich besonders gut im Labor ausbrüten, aufziehen und halten, und sie zeugen das ganze Jahr über Nachwuchs, der schon nach drei Monaten erwachsen ist.

Der Gesang der Nachtigallen wird von Forschern, wie hier im Treptower Park, mit einem Parabol-Mikrofon aufgenommen.

Der Gesang der Nachtigallen wird von Forschern, wie hier im Treptower Park, mit einem Parabol-Mikrofon aufgenommen.
Bildquelle: Michael Lierz

Die anderen wichtigen Forschungsobjekte des Instituts sind den Winter über weit weg von Dahlem, jenseits der Sahara: Nachtigallen. Nachtigallen sind die Modellart, wenn es ums Erlernen großer Repertoires geht, denn die Männchen haben bis zu 200 verschiedene Strophen parat. Außerdem sind sie unermüdliche Sänger und trällern im Gegensatz zu anderen Vögeln sogar nachts. Im Sommer, zurückgekehrt aus dem Süden, werden sie auch im Freiland erforscht.

Die Berliner Wissenschaftler erwarten sie dann in „Manila“, „Peking“ oder bei „Lidl“: Orte, die auf keiner Landkarte zu finden sind, denn so heißen die von Studenten benannten Territorien im Treptower Park, zu denen die Nachtigallen jedes Jahr zielgerichtet zurückfliegen – vorausgesetzt, sie haben die strapaziöse Reise heil überstanden. Die Institutsmitarbeiter warten dort mit Fernglas und Mikrofon, um an Gesang und Ringen zu erkennen, welche Mitglieder der rund 30-köpfigen Population zurückgekehrt sind. Sie interessieren sich vor allem für den Nachtgesang der Männchen. Haben diese ihre Partnerin für die Saison gefunden, stellen sie das Singen ein. Ihre nicht so erfolgreichen Kollegen singen dagegen noch bis in den Juni hinein unverdrossen weiter.

Für das Team aus Doktoranden und Studenten um Silke Kipper bedeutet das: viele durchwachte Nächte, bis mindestens zwei Stunden Gesang von jedem Männchen auf Band sind. Forschungsobjekte in der Stadt zu finden, ist nicht besonders schwer. Denn auch wenn man es meinen könnte: Der optisch unscheinbare, aber akustisch auffällige Vogel ist kein seltener Zeitgenosse. „Berlin ist die Hauptstadt der Nachtigallen, vielleicht zusammen mit Leipzig“, sagt Silke Kipper. In vielen Parks, auf Friedhöfen, hin und wieder auf Verkehrsinseln oder am Saum der S-Bahn haben sie ihre Reviere und brüten am Boden, unbeeindruckt von Betriebsamkeit und Lärm. Selbst ein Open-Air-Festival im Treptower Park konnte sie eines Sommers nicht vertreiben. „Koexistenz mit Menschen ist für die Nachtigall kein Problem“, sagt Silke Kipper.

Auch das ist eine Frage, die die Verhaltensbiologen umtreibt: Warum gehört die Nachtigall, wieauch verschiedene Meisenarten, zu den Urbanisationsgewinnern, die Amsel aber beispielsweise zu den Verlierern? Nachtigallen sind standorttreu, was die Forschung überhaupt erst ermöglicht. Die aktuellen „Old Stars“, wie Silke Kipper sie liebevoll nennt, erleben bereits ihren siebten Sommer im Treptower Park. Der große Vorteil: Dank der „alten Herren“ kann man sogar untersuchen, wie sich die Gesänge mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung verändern.

Mittlerweile liegen an der Freien Universität so viele Daten rund um die Nachtigall vor, dass sehr viele neue Fragen beantwortet werden können: Drei Doktoranden schreiben derzeit ihre Arbeiten über Nachtigallen, außerdem wurde gerade eine Studie abgeschlossen, in der es um ein kleines Element des Gesangs geht: den „Buzz-Laut“. Im Gegensatz zu den prägnanten Pfeifstrophen, die fürs menschliche Ohr so romantisch und sehnsüchtig klingen, hatte sich noch niemand für dieses gleichförmige Schnarren interessiert, das sich etwa alle fünf Minuten wiederholt. In die Buzz-Studie sind Daten aus fünf Jahren eingeflossen. Ergebnis war, dass sich der Buzz nur vermeintlich immer gleich anhört. Inspiziert man den Laut mit entsprechender Technik, wird klar: Es gibt systematische Unterschiede. Jedes Männchen buzzt anders, und das Buzzen des Einzelnen verändert sich im Laufe der Saison.

Die Weibchen jedenfalls reagierten auf buzzreiche Playbacks verstärkt mit Hüpfen und Schwanzwippen, das Aufregung anzeigt. Man vermutet, dass der Laut tatsächlich Informationen codiert und transportiert, mithin ein Indikator für die Qualität eines Männchens. Fragen hat Silke Kipper noch viele: Sie möchte einerseits wissen, was in den Strophen steckt, aber auch, welches Prinzip sich hinter den Gesangsabfolgen verbirgt und wie das übergreifende Gesangsnetzwerk funktioniert. Beispielsweise hat man einen Fokus auf das „Countersinging“ gelegt, bei dem ein Männchen die von einem anderen gesungene Strophe wiederholt: „Bei anderen Arten gilt das als ein sehr aggressives Signal. Die neuere Idee ist, dass das auch ein Sängerwettstreit sein kann und ein anderer Vogel die Strophe nur wiederholt, wenn er sie noch besser kann, im Sinne von: länger, stereotyper, akkurater“, sagt Kipper.

Niemand weiß, wie die Jungen ihr Liedgut erlernen

Obwohl man mittlerweile viele Details kennt, bleibt das größte Geheimnis bislang ungelüftet: Niemand kann sagen, wo und wie die Jungen ihr Liedgut überhaupt lernen, denn wenn sie schlüpfen, singen die Männchen kaum noch. Entweder funktioniert ihr Gehirn so bestechend gut, dass ihnen der wenige Gesang bei den Fütterungen genügt, um ihn zu erlernen, oder die Nachtigallen lernen im Winterquartier, selbst wenn dort kein Paarungsgesang stattfindet.

Zwei Forschungsrichtungen treffen sich beim Studium des Tiergesangs an der Freien Universität: die Verhaltensökologie mit Silke Kippers Nachtigallenforschung und Constance Scharffs neuronale Forschung an Zebrafinken. Für Neurobiologen stellt sich die grundsätzliche Frage: Was passiert im Gehirn? „Man hangelt sich an den Stimmbändern hinauf, um festzustellen,welche Nervenzellen für den Gesang zuständig sind“, sagt Constance Scharff. Der Vorteil bei Singvögeln: Die Stimmbänder sind allein für das Singen da. Die Verknüpfung ist also eindeutig. „Heute gibt es etwa fünfzig Labore weltweit, die untersuchen, wie es das Gehirn schafft, dass Singvögel Singen lernen.“

Mit der molekularbiologischen Herangehensweise kann man die Parallele zwischen menschlicher Sprache und Vogelgesang bis aufs Gen zurückverfolgen. Entdeckt wurde in diesem Zusammenhang das FoxP2-Gen, das sowohl Menschen als auch Singvögel befähigt, das Nachahmen zu erlernen. Hier kann die Forschung am Tier der Humanmedizin möglicherweise helfen, Probleme bei der Sprachentwicklung zu beheben.

Auch im Team von Constance Scharff wird an FoxP2 geforscht, und es konnte als erstes beweisen, dass das vokale Lernen bei neugeborenen Finken nicht mehr funktioniert, wenn man FoxP2 ausschaltet: Das Lernen ist also mit dem Gen verknüpft. Momentan forscht das Team an den Botenstoffen zwischen den Nervenzellen. Aber auch jenseits des neuronalen Ansatzes interessiert sich Constance Scharff für die Parallelen zwischen menschlicher Sprache und nichtmenschlicher Kommunikation. Beim Menschen ändert sich die Sprachmelodie – je nachdem, ob er flirtet oder sich streitet.

Im Rahmen des Exzellenzclusters „Languages of Emotion“ der Freien Universität hat Scharff untersucht, ob es im Vogelgesang ebenfalls Unterschiede gibt, je nachdem, ob es ums Paaren oder ums Vertreiben geht. Die Ergebnisse könnten die menschliche Sprache als ultimativen Beleg für die Einzigartigartigkeit des Menschen infrage stellen. „Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass Vögel auch Inhalte mitteilen und Emotionen ausdrücken können, aber auch keine Beweise dagegen“, sagt Constance Scharff. Die Antwort auf die Frage, warum Vögel singen, könnte ebenso einfach wie brisant sein: Ich singe – also bin ich!

Die Wissenschaftlerinnen

Prof. Dr. Silke Kipper

Prof. Dr. Silke Kipper
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Prof. Dr. Constance Scharff

Prof. Dr. Constance Scharff
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Prof. Dr. Silke Kipper

Seit ihrer Promotion erforscht die Verhaltensbiologin Silke Kipper Tiervokalisationen im Balzkontext. Postdoc-Projekte führten sie an die Duke-Universtity Durham (USA) und schließlich zurück an die Freie Universität Berlin. Seit 2007 ist sie Junior- Professorin für Biokommunikation und Verhalten. Unter anderem betreut sie eine Langzeitstudie an Nachtigallen im Berliner Treptower Park und eine zweite in Golm (Brandenburg). Neben Singvögeln gehören auch Fledermäuse zu ihren Studienobjekten.

E-Mail: silkip@zedat.fu-berlin.de

Prof. Dr. Constance Scharff

Constance Scharff studierte Biologie und machte an der Rockefeller University in New York ihren Ph.D. mit einer Arbeit über das Gesangslernen bei Singvögeln. Nach einem Forschungsaufenthalt in Frankreich kehrte sie an die Rockefeller University zurück und untersuchte die Entstehung von neuen Nervenzellen im erwachsenen Gehirn. Seit 2005 ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Verhaltensbiologie an der Freien Universität und wurde im Herbst 2012 zum Mitglied der renommierten Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) gewählt.

E-Mail: constance.scharff@fu-berlin.de