Rechnen Sie mit Regen!
Meteorologen der Freien Universität zeichnen auf dem Fichtenberg das Berliner Wetter auf
22.10.2012
Heute ist so ein Tag, da sieht es fast so aus, als gäbe es Berge bei Berlin. Diplom-Meteorologin Katrin Krüger steht auf dem Ausguck des Wetterturms auf dem Fichtenberg in Steglitz und lässt den Blick schweifen. Am Horizont gut zu erkennen ist der Hohe Fläming südwestlich von Berlin. Und die Windräder, die in Brandenburg stehen. Das bedeutet: eine Sichtweite von etwa 50 Kilometern. Eine der Zahlen, mit denen Katrin Krüger gleich den Rechner füttern wird.
Die Messstation des Instituts für Meteorologie der Freien Universität Berlin ist eine von vielen in Deutschland – und trotzdem etwas Besonderes. Seit mehr als 100 Jahren wird an der Station Berlin-Steglitz das Wetter beobachtet und protokolliert. Nur wenige andere Wetterstationen haben über einen ähnlich langen Zeitraum ununterbrochene Aufzeichnungen. Auch dass die inzwischen größtenteils automatisch erfassten Messwerte noch durch Beobachtungen von Menschenhand und -auge ergänzt werden, ist bemerkenswert. Denn an vielen Stationen wird das Wetter nur noch automatisch erfasst. „Wir haben deshalb auch detailliertere und umfangreichere Aufzeichnungen über das Wetter. Denn eine Wolkenbeobachtung oder die Erfassung des Straßenzustands bringen maschinelle Aufzeichnungen schnell an ihre Grenzen“, sagt Meteorologe Thomas Dümmel. Er leitet die Arbeitsgruppe Meteorologische Informations- und Kommunikationssysteme.
Festgehalten wird das Wetter selbstverständlich nicht nur auf Papier, sondern vor allem mit dem Computer. Rund um die Uhr sammeln die Meteorologen so die Daten, die Tag für Tag die Basis für die Berechnung der Wettervorhersage bilden.
Dazu wird alles registriert, was ein bestimmtes Wetter ausmacht: Die Art und Menge eines Niederschlags, die Luftfeuchtigkeit, der Luftdruck, die Temperatur, aus welcher Richtung der Wind kommt und mit welcher Geschwindigkeit er weht und viele weitere Parameter. Rund um die Uhr erfassen die Wetterbeobachter und Studierenden des Instituts für Meteorologie das Wetter. Zusammen mit den Messungen wird das im Rechner gespeichert. Ein warmer Berliner Sonnentag – mit blauem Himmel so weit das Auge reicht, trockener Luft und Windstille – verwandelt sich dann in Zahlenreihen, verschlüsselt nach den international gültigen Richtlinien der World Meteorological Organization, der WMO. Dieses Wettertelegramm wird online versandt.
Damit fließen die Meldungen der Station Berlin-Steglitz der Freien Universität in das weltweite Netz der internationalen Wetterdienste ein. Alleine in Deutschland besteht das Messnetz des Deutschen Wetterdienstes aus etwa 180 hauptamtlichen und mehr als 2.000 nebenamtlichen Wetterstationen. Nur 39 der hauptamtlichen Stationen in Deutschland sind, wie an der Station Berlin-Steglitz, 24-stündig mit Personal besetzt und beobachten präzise die Wettererscheinungen. So entstehen Tausende Datensätze mehrmals am Tag. Dazu kommen Satellitenaufnahmen, Radar- und Blitzinformationen, Temperatur, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit, nicht nur am Boden, sondern auch in verschiedenen Höhen der Atmosphäre. Ohne Mathematik und Computertechnik würden die Meteorologen dieser Datenflut kaum Herr werden.
Mathematik und Physik als Grundlage der Meteorologie
Dass aus all diesen Werten überhaupt eine zuverlässige Wettervorhersage werden kann, hat damit zu tun, dass Wetter zum größten Teil Physik ist: Thermo- und Strömungsdynamik bestimmen, wie sich Luftmassen verhalten. „Physik und Mathematik sind die Grundlage der Meteorologie – schon im Studium“, sagt Petra Gebauer, die auf dem Wetterturm für die Datenauswertung und die seit 1952 täglich erscheinende Berliner Wetterkarte zuständig ist (siehe S. 42). Auf Basis der physikalischen Gesetze lässt sich das Wetter mithilfe von mathematischen Gleichungen beschreiben.
Doch die sind ziemlich komplex. Denn um eine Entwicklung des Wetters vorherzusagen, müssen die Modelle nicht nur berücksichtigen, dass sich Temperatur, Wind und Druck über die Zeit verändern, sondern auch räumlich, an verschiedenen Orten und in verschiedenen Schichten der Atmosphäre. Das ist nur mithilfe partieller Differentialgleichungen möglich. Vor etwa 100 Jahren unternahmen Forscher die ersten Anläufe, das Wetter mithilfe von Wetterdaten zu berechnen. Der britische Physiker Lewis Fry Richardson gilt als Pionier. Seine Überlegung war: Wenn man eine mathematische Gleichung aufstellt, die die physikalischen Gesetze beinhaltet und sie für verschiedene Orte durchrechnet, dann müsste vorherzusagen sein, wie sich das Wetter an diesen Punkten verändert.
In seinem 1922 erschienenen Buch Weather Prediction by Numerical Process beschrieb er, wie das zu bewerkstelligen sei. Die Erde müsste mit einem Gitternetz überzogen werden, unterteilt in einzelne Felder mit einer Kantenlänge von 200 Kilometern. Ähnlich teilte Richardson auch die Atmosphäre über der Erdoberfläche in Felder ein. Mit historischen Daten versuchte er zu berechnen, wie sich Wind, Temperatur und Luftdruck in zwei dieser Felder innerhalb von sechs Stunden verändern würden. Richardson rechnete und rechnete, insgesamt sechs Wochen dauerte es. Sein Ergebnis lag trotzdem derartig daneben, dass es nicht zu verwenden war. Bis heute gilt seine Arbeit jedoch nicht als wissenschaftshistorischer Flop, sondern als Premiere der numerischen Wettervorhersage.
Fürs Wettermessen wird die Atmosphäre zerteilt
Auch heute funktionieren mathematische Modelle in der Meteorologie im Prinzip ähnlich – denn auch sie nutzen die „Diskretisierung“, also die Zerteilung der Atmosphäre in kleine Einzelabschnitte. Mittlerweile sind diese virtuellen Kästen jedoch sehr viel kleiner als noch zu Zeiten Richardsons: In den Wettervorhersagemodellen des Deutschen Wetterdienstes beträgt der abstand des horizontalen Gitternetzes zwischen 2,8 und 20 Kilometern. Um die Daten für ein so enges Netz zu berechnen, reicht die Rechenleistung herkömmlicher Computer nicht. Der Deutsche Wetterdienst nutzt dafür extrem leistungsfähige Rechner, die mehr als 100 Billionen Operationen pro Sekunde ausführen können. Auch die Klimaforscher der Freien Universität sind auf solche Rechenleistungen angewiesen, wenn sie mit Klimamodellen zu weltweiten Veränderungen forschen.
Mehr als ein Dutzend Modelle für die Vorhersage des Klimas und des Wetters gibt es mittlerweile weltweit. Für die Berliner Wetterkarte nutzen die Meteorologen die Ergebnisse des Deutschen Wetterdienstes, aber auch die des amerikanischen und des englischen Wetterdienstes sowie des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage. Das alleine reicht jedoch nicht. Denn noch können die Modelle nicht alle Details einbeziehen, die das Wetter ausmachen. Vor allem, wenn es um regionale Besonderheiten geht.
Regenschauer bleiben an Havel und Wannsee hängen
In Berlin, erklärt Petra Gebauer, sei es beispielsweise oft so, dass Schauerketten aus dem Westen heranziehen, dann aber irgendwo am Wannsee, an der Havel hängenblieben: „Das Wasser gibt ihnen neue Energie von unten, weshalb die Schauer dann einfach am Westrand der Stadt entlangziehen. Solche Sachen muss man als Meteorologe wissen und in die Vorhersage einbeziehen.“ Die spezielle Disziplin in der Meteorologie, die die Ergebnisse der Rechnersimulationen mit aktuellen Daten und den eigenen Erfahrungen zusammenbringt, heißt Synoptik – einfach übersetzt als „Zusammensehen“. Auch im Wetterturm der Freien Universität arbeiten Synoptiker der Berliner Wetterkarte e. V. jeden Tag daran, aus allen Informationen verlässliche Prognosen zu erstellen. Dazu analysieren sie Hoch- und Tiefdruckgebiete anhand von Isobaren, Linien, die den gleichen Luftdruck anzeigen. Um das Wetter in Deutschland vorherzusagen, werden sie auf Karten eingetragen, die einen Großteil Europas und des Atlantiks anzeigen.
Deutschland befindet sich in der sogenannten Westwindzone – deshalb sind die Drucksysteme über dem Nordatlantik wichtig. Dabei werden Luftmassen definiert und mithilfe von Kalt- und Warmfronten voneinander abgegrenzt. Das Ergebnis auf der Karte sieht dann schon ein bisschen so aus wie die Wetterkarten, die man aus der Tagesschau kennt. In Zusammenschau mit den verschiedenen Computersimulationen entstehen dann die Vorhersagen. Dabei gleichen die Meteorologen auch das aus, was das Wetter immer noch ein bisschen unberechenbar macht – zum Beispiel den Wannsee oder die Havel. Eine einfache Formel, sagt Petra Gebauer, gebe es dafür nicht. „Nur gesunden Meteorologenverstand.“