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Mehr Selbstbewusstsein bitte!

Prof. Schlüter

Prof. Schlüter

Der Berliner Polymer-Chemiker Prof. A. Dieter Schlüter findet, dass Amerika nicht alles besser macht und dass der deutschen Wissenschaft mehr Selbstvertrauen gut täte.

Die USA gelten häufig als das gelobte Land für Forscher. Macht Amerika es wirklich besser?

In den USA werden die Mittel an einigen wenigen Standorten konzentriert und gute Leute mit attraktiven Angeboten in die Top-Institute gelockt. Das hat Synergieeffekte zur Folge, die sich auch in einer gewissen Außenwirkung niederschlagen. Dadurch entsteht häufig der Eindruck, dass die Forschung in den USA generell besser sei. Das ist aber so nicht der Fall. Wir haben eine Menge zu bieten und sollten es auch selbstbewusster zeigen.

Eines unserer Probleme ist, dass in unserer föderalen Struktur die Spitzenleute so in der Fläche verteilt sind, dass der inspirierende persönliche Kontakt nicht ausreichend zustande kommt. Es reicht nicht, ständig nur per E-Mail zu kommunizieren. Man muss sich schon mal an einen Tisch setzen. Zwischenmenschliche Chemie spielt eine enorme Rolle. In dem Punkt zumindest macht Amerika es besser.

Ist das ein Grund, warum so viele Wissenschaftler aus aller Welt in die USA kommen? 60 Prozent der Forscher dort sind keine Amerikaner.

Die USA sind in vieler Hinsicht attraktiv für ausländische Forscher. In den wissenschaftlichen Ballungszentren sind die Forschungsmöglichkeiten hervorragend, für die meisten gibt es keine Sprachbarriere. Und vor allem zählt im Wesentlichen die Qualifikation und nicht die Nationalität. Unter der Regierung Bush hat sich allerdings im internationalen Wissenschaftsaustausch eine Menge geändert.

Die USA verschließen sich für exzellente Wissenschaftler und Studierende, wenn sie aus „verdächtigen“ Ländern kommen. Wir erleben es in der Polymer Science. Seit September 2001 kommen ausgezeichnete Leute aus Pakistan, Indonesien, China und Indien zu uns, die zuvor in den USA abgewiesen wurden oder es gar nicht mehr versuchen. Wir sollten diese Chance nutzen.

Was muss geschehen, um diese Art „brain drain“ nach Deutschland bzw. Europa umzuleiten?

Wir müssen mehr Studiengänge auf Englisch anbieten. Der Masterstudiengang „Polymer Science“ ist ein Beispiel. Wenn man zu einem ohnehin anspruchsvollen Fach auch noch Deutsch lernen muss – das man ansonsten nicht braucht – wirkt das abschreckend. Deutsche Universitäten können es sich nicht leisten, in naturwissenschaftlichen Fächern auf Deutsch zu unterrichten. Nationalstolz ist hier ganz kontraproduktiv.

Wir müssen auch einen anderen Umgang mit Ausländern lernen. Unser Bild ist von der Figur des „Gastarbeiters“, geprägt, der für wenig Geld unbeliebte Arbeit tut. Unsere Gäste bekommen hier so etwas zu spüren. Wir sollten aber alles daran setzen, uns diese Leute, die zur Elite ihres Landes gehören, gewogen zu machen. Das schafft gesunde Loyalitäten. Jemand, der hier studiert hat und gut behandelt wurde, wird sich überlegen, ob er später sein Geld woanders investiert.

Gibt es Unterschiede in der Forschungskultur selbst zwischen den USA und Deutschland?

Die Unterschiede sind gravierend. Selbst in der Ivy League stellt die Universität einem Professor nicht mehr als die Räume zur Verfügung, in denen er arbeitet. Was er braucht, muss er einwerben. Und die unterschiedlichen Systeme begünstigen natürlich die Entwicklung unterschiedlicher Charaktere. Im amerikanischen System dominiert der Manager- und Verkäufertyp, das deutsche bzw. europäische System kann hingegen in totale Esoterik und Irrelevanz führen, weil jeder machen kann, was er will.

Im direkten Wettbewerb hat der „Esoteriker“ gegenüber dem in perfekter Außendarstellung geübten Verkäufertyp natürlich keine Chance. Vor allem nicht-wissenschaftlichen Geldgebern gegenüber. Der Elfenbeinturm ist psychologisch in der Defensive. Dafür macht er unabhängig. Im amerikanischen System bin ich dagegen total abhängig von den Drittmittelgebern. Und viel Geld hat das Militär.

Klingt wie Regen und Traufe. Was kann man tun?

Wie wäre es zum Beispiel mit zeitlich befristeten Professorenstellen? Ein „board of trustees“ könnte über Verlängerungen entscheiden. Und selbst, wenn der Vorgang irgendwann formalisiert wäre, würde er doch eine gewisse Grundunruhe schaffen, ein Gefühl von: „Da ist was“. Schließlich: Mehr Selbstbewusstsein bitte!

Die Fragen stellte Susanne Weiss.

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