Schlossgespenster
Von alten und neuen Palästen
„Es ist schon gar kein Problem von Ästhetik oder Historie mehr“, sagt Harold Hammer-Schenk fast resigniert. „Es ist nur noch ein Frage des Geldes.“ 480 Millionen soll laut Minister Tiefensee der Bau kosten – allerdings ohne Fassade. Die dazu notwendigen 80 Millionen will ein Förderverein einwerben.
Nicht einmal 10 % der Summe sind bislang zusammengekommen. Hammer-Schenk, Professor für Architekturgeschichte am Kunsthistorischen Institut (KHI) ist auch skeptisch gegenüber dem Optimismus des Bundesbauministers. Das Berliner Schloss würde wohl teurer und Alternativen dazu seien ohnehin angemessener.
Im Jahr 1992 initiierte der Hamburger Landmaschinenhändler Wilhelm von Boddien einen Verein, der sich für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses stark machte und Sitz und Lieferanschrift nach wie vor in Hamburg hat. „Nur mit einiger Mühe ließ sich der Bundestag davon überzeugen, dass auch er den Wiederaufbau des Schlossen gut finden sollte“, sagt Harold Hammer-Schenk. Die Berliner Bevölkerung wurde nicht gefragt.
Nach mehreren Architekturwettbewerben beschloss der Bundestag den Abriss des Palastes der Republik sowie die zwischenzeitliche Anlage einer Grünfläche mit temporärer Kunsthalle, bis später einmal das sogenannte Humboldt-Forum errichtet würde. Im Jahr 2007 wurde der 2002 gefällte Bundestagsbeschluss von Bund und Land Berlin endgültig positiv entschieden. Baubeginn soll 2010 sein, die Fertigstellung wird für 2014 erwartet. Das Humboldt-Forum soll die Museen außereuropäischer Kulturen – bislang in Dahlem – die Berliner Zentral- und Landesbibliothek und die wissenschaftshistorischen Sammlungen der HU aufnehmen. „Einige der Pläne für eine kulturelle Nutzung sind ja vernünftig“, räumt Hammer-Schenk ein. „Aber muss man die Dinge unbedingt in eine Kulisse stecken?“ Denn das Forum soll von außen aussehen wie das Berliner Schloss, dessen ausgebrannte Reste 1950/51 gesprengt worden waren.
Da das Leiden an den modernen Zeiten, an der Globalisierung und anderen Unübersichtlichkeiten en vogue ist, wendet man sich verstärkt dem Alten zu. „Auf der Suche nach Idylle und Weltflucht wird allgemein akzeptiert, alte Dinge wieder aufzubauen“, bedauert Hammer-Schenk den Nostalgietrend und lässt keinen Zweifel an seiner Haltung: „Die Historie mit Dübeln und Schrauben als Fassade an die Wand zu heften, ist genau so schlimm wie eine hundertprozentige Kopie. Dieses Disneyland ist einer Hauptstadt nicht würdig“.
Alternativen
„Man hätte den Palast der Republik stehen lassen sollen“, sagt Hammer-Schenk. Die Architektur sei nicht besser und nicht schlechter als diejenige vieler Gebäude, die zur selben Zeit – Mitte der siebziger Jahre – im Westen der Stadt entstanden. „Es ist ein historisch wichtiges Gebäude, auch durchaus in der negativen Besetzung. Es war kein Parlament. Aber es war der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, ein Volkspalast im wahrsten Sinne des Wortes.“ 2008 soll der „selektive Rückbau“ abgeschlossen sein.
„Außerdem kann man auch mit moderner Architektur die Blickachse schließen“, erklärt der Architekturexperte. Das Schloss, so wie es war und nun kopiert werden soll, sei ohnehin zu klein, zu niedrig, zu geduckt für moderne Sehgewohnheiten. „Es ist auch historisch viel sinnvoller, etwas Neues hinzustellen, etwas, an dem der Blick nicht abgleitet“. Es müsse höher sein als der bombastische Dom, spektakulär und gleichzeitg fähig, den Stadtmittelpunkt zu beruhigen. „Es muss ja nicht gleich etwas wie das Guggenheim Bilbao sein“, meint er. Aber Diskussionsstoff solle man bauen, ein Haus, das Fragen provoziert: „Warum steht das hier?“ – Nicht etwas, bei dem Passanten und Besucher sagen: „Ach, ja, ein Schloss ...“.
Auch ohne Schloss ist Berlin inzwischen eine der Top-Touristenattraktionen in der Welt, wenngleich Hammer-Schenk die Begeisterungsstürme der Berlinbesucher nicht recht versteht. „Architektonisch hat die Stadt nur verstreute Einzelmonumente zu bieten, die Linden sind langweilig, das Zentrum ist so gut wie zerstört, und schöne Viertel wie Prenzlauerberg, die gibt es doch überall.“ Aber womöglich habe die Begeisterung etwas damit zu tun, dass die Leute, die hierherkommen, glauben eine Nachkriegstrümmerstadt vorzufinden. „Umso überraschter sind sie, dass hier überhaupt etwas ist.“ Und außerdem kompensiere wohl auch die Geschichte die fehlende Architektur. Mithilfe der Architektur aber Geschichte außer Kraft zu setzen, ist Hammer-Schenks Sache nicht. „Man kann nicht so tun, als sei nichts gewesen“. Aber es besteht wohl kaum noch Hoffnung, in der Stadtmitte einen mutigen Schritt zu tun, befürchtet er. Irgendwann hält man die Neubauten für alt. Dann ist der Betrug vollständig.
Von Susanne Weiss