Reise nach Palästina
Auf den Spuren der Musik im Krisengebiet
Das Musizieren im Krieg, das Ansingen gegen Gewehrfeuer ist Katja Zimmermanns Forschungsthema. Die Soziologin von der Freien Universität berichtet aus Palästina in ihrem Reisetagebuch.
Rammallah
„Das Land ist übersät mit Olivenhainen, einzelne Häuser scheinen aus den Berghügeln herauszuwachsen, die meisten sehen unfertig aus. Von weitem hat man den Eindruck, sie hätten statt der Fenster kleine schwarze Luken, ein Eindruck, der wohl durch die Fliegennetze oder durch Schatten der gewölbeartigen Vorbauten hervorgerufen wird. Wir nähern uns Ramallah, fahren an der Mauer entlang, jetzt noch auf der israelischen Seite. Die Häuser dahinter lassen die Armut Palästinas erkennen. Der Gegensatz zwischen den beiden Seiten ist ganz unglaublich.
In Ramallah angekommen, sehen wir das Al Kamandjâti. Man hat die kleine Einrichtung schön hergerichtet. Auf dem Dach gibt es eine Plattform, auf der Konzerte stattfinden, dazu drei kleine Unterrichtsräume und ein Büro. Die Busse haben Schwierigkeiten, durch die engen Straßen zu manövrieren, und während wir die Instrumente forttragen, gruppieren sich einige Männer um den einen Bus herum. Wir erwecken Aufsehen. Anschließend fahren wir zur Friends Boys School – offenbar ist die Boys School mit der Girls School zusammengelegt worden, es gibt nun ein Gebäude für die älteren Schüler und eines für die jüngeren. Vor dem Haus der Lehrer machen wir kurz Halt. Zentraler Punkt in Ramallah ist der Platz Al Manarah. Alles, Autos und Menschen, bewegt sich gleichzeitig mitten auf der Straße. Irgendwie funktioniert das hier. Die Autos hupen ununterbrochen, und kein Mensch scheint irgendwann einmal stehen zu bleiben.
Wir fallen extrem auf. Zuerst will ich mir einreden, dass ich mir das nur einbilde. Aber nein, zu dieser Zeit verschlägt es nur wenige Europäer hierher. Und die Palästinenser erkennen uns sofort, obwohl es hier außer uns viele westlich gekleidete Menschen gibt. In einem Dorf in der Nähe gibt unsere Gastgeberin in Ramallah, eine Musiklehrerin, an einer Schule regelmäßig Gesangsunterricht für vierzig Kinder. Auf dem Weg dorthin passieren wir die Bir Zeit Universität. Die Gebäude ragen monolithisch aus der Erde hervor. Sie sind zwar nicht sehr groß, aber sie erscheinen gigantisch in dieser armen Gegend. Das Dorf, das wir besuchen, ist völlig heruntergekommen, die Schule ist das einzige, was es hier für die Kinder gibt.
Wir müssen warten, bis alle Kinder zusammengerufen sind. Es ist beeindruckend zu sehen, wie schnell die kleinen Mädchen ihre Schüchternheit gegenüber uns Fremden verlieren und sich voll und ganz auf den Unterricht einlassen. Sie lernen schnell, haben Freude am Gesang und der dazu passenden rhythmischen Bewegung. Man kann sich kaum vorstellen, dass für diese Kinder Gesangsunterricht etwas völlig Neuartiges ist. Begrüßt werden wir vom Cousin unserer Kontaktperson im Dorf. Er lädt uns zum Essen ein. Wir lernen, dass es für ihn und seine Familie eine große Ehre ist, uns zu bewirten. Natürlich nehmen wir die Einladung an, die Gastfreundschaft ist überwältigend. Der Mann führt die Konversation, während seine verschleierte Frau das gabenreiche Essen zubereitet.
An der maroden Dorfmauer hängen Plakate mit Märtyrern und Helden der Al Aqsa Brigade. Unser Gastgeber zeigt uns auf dem Weg zur Schule das Bild seines Cousins väterlicherseits (die Unterscheidung ist wichtig, die Familien sind groß, Hierarchien und Verhaltensregeln der Familienmitglieder sind klar geregelt), der gerade zu 27 Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er einen Israeli erschossen hat. Hier ist er ein Held. Aber irgendwer aus der Familie muss ihn verraten haben. Abends geht es zurück nach Ramallah.
Am nächsten Vormittag hören wir Sirenen und Schießereien – mehr als gewöhnlich. Die Schüsse kommen aus der Innenstadt, Irgendetwas muss passiert sein. Schüsse und Sirenen werden lauter, wir sehen Autos mit wehenden Fahnen der Fatah. Auf dem Weg zum Supermarkt kehren wir um. Sind wir womöglich übertrieben ängstlich? Man fragt sich das, wenn man die anderen so unaufgeregt ihres Weges gehen sieht.
Nablus
Von Ramallah kehren wir nach Jerusalem zurück und fahren von dort nach Nablus. Am Checkpoint nach Nablus – die Stadt ist nahezu eingekesselt – lässt uns unser Jerusalemer Fahrer heraus. Eine Verordnung besagt, dass Personen mit einem Jerusalemer Pass Nablus nicht betreten dürfen. Also passieren wir den Checkpoint zu Fuß, und der Fahrer wird uns in fünf Stunden wieder abholen. Wir nehmen zwei Taxis in die Stadt. In Nablus ist alles viel fremder als in Ramallah, die meisten Frauen sind verschleiert. Das Haus, in dem unterrichtet wird, ist wunderschön. Zitronen- und Orangenbäume im Garten tragen Frucht, im Foyer steht ein Flügel. Offenbar werden hier nur Kinder sehr wohlhabender und angesehener Eltern unterrichtet. Vom großen Foyer gehen mehrere Räume ab. Die Möbel sind antik, und in einer Ecke liegen einige Instrumentenkästen auf den Boden. Während des Unterrichts geht das Licht aus, der Strom fällt hier ständig aus. Man nimmt es kaum noch zur Kenntnis – kein Seufzen, auch kein Lächeln, wenn es wieder angeht.
Das Haus ist erfüllt von Musik, und während wir dem aufmerksamen kleinen Pianisten im Foyer zuhören, ertönen aus den anderen Räumen in unregelmäßigem Rhythmus Geigen-, Klarinetten und Trompetenklänge. Dazwischen kaum hörbar die Stimmen der Lehrer, die erklären und Hinweise geben. Alles wirkt harmonisch und friedvoll.“
von Katja Zimmermann