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Orientalismen II

Von der Ägyptomanie zur Ägyptologie

Orientalismen 2

Orientalismen 2

Hieroglyphen

Hieroglyphen

Die Faszination an Äypten existiert bereits seit Jahrtausenden und fand Eingang in Kunst und Philosophie späterer Zeiten, in theologische Debatten und geheime Zirkel.

„Die alten Ägypter waren Mediengenies“, weiß der Ägyptologe Prof. Stephan Seidlmayer. „Sie haben es fertiggebracht, über die eigene kulturelle und zeitliche Grenze hinaus zu kommunizieren. Und das war durchaus Absicht, sie taten dies nicht aus Versehen.“ So überstand ägyptische Faszination die Jahrtausende, Ägypten fand Eingang in Kunst und Philosophie späterer Zeiten, in theologische Debatten und geheime Zirkel. Ägypten inspirierte Riten und Mysterien der Freimaurerei und spielte sich so auch in Mozarts Zauberflöte ein.

Die Zauberflöte – unter anderem – aber inspirierte unsere Gaststudentin Carolina Malagon von der Yale University, an der FU im Rahmen des Berlin Consortium for German Studies, sich deutscher Sprache und Kultur zuzuwenden. Für uns geht sie den Weg zurück zu den Anfängen der Ägyptomanie, deren eine Folge die Entstehung der wissenschaftlichen Disziplin Ägyptologie ist, in der die Hinterlassenschaften der ersten „Mediengenies“ der Geschichte erforscht werden.

Über Ägypten lag immer die Aura des Geheimnisvollen, und mag auch die Entzifferung der Hieroglyphen diese Aura zerstört haben, so ist doch nicht zu leugnen, dass die Darstellung Ägyptens als ein Ort des Urwissens die europäische Geisteswissenschaft seit Platon auf nicht zu überschätzende Weise geprägt hat. Doch man sollte die „Ägyptomanie“ der vornapoleonischen Zeit nicht mit der Leidenschaft für Mumien und bizarre Artefakte verwechseln. Vielmehr keimte in ihr eine historisch-kritische Tradition, die noch ohne die Übersetzung der Hieroglyphen die religionsgeschichtliche Bedeutung Ägyptens zu bestimmen versuchte. In diesem Sinne war es wichtig, das seit der Antike tradierte, in vielem widersprüchliche Ägyptenbild zu überprüfen.

Das Hauptaugenmerk dieses Interesses gilt jedoch nicht dem vermeintlich verloren gegangenen Urwissen selbst. Es fehlte zwar nicht an Versuchen, dieses Urwissen durch eine ebenso fantasierte wie fantasievolle „Übersetzung“ der Hieroglyphen zu erkennen – man denke hier nur an das Monumental werk „Oedipus Aegyptiacus“ von Athanasius Kircher – vor allem versuchte man sich an einer historisch-kritischen Auslegung biblischer Stellen, in denen Ägypten aufscheint. Denn im hemmenden intellektuellen Klima nach der Reformation bedurfte es einer Rechtfertigung für eine Beschäftigung mit dem „götzendienenden Heidentum“. Anders in der Renaissance, deren oft mystisch geneigte Gelehrte von einer universellen Definition des Christentums ausgingen und sich insofern nicht bemüßigt fühlten, ihre „Ägyptophilie“ zu legitimieren.

In der Ägyptenforschung des 17. Jahrhunderts indessen ist ein Ton von „Ägyptophobie“ nicht zu überhören, obwohl ihr Ergebnis, dass nämlich die ägyptische Religion – sofern Moses aller Weisheit der Ägypter kundig war – auf die mosaischen Gesetze wohl offenbar einen Einfluss hatte. So nahm man denn eine innere Beziehung zwischen Ägypten und Israel in Kauf. Die Weiterentwicklung der Ägyptosophie als Disziplin verdankt sich diesem Ergebnis. Die These, dass die ägyptische Religion einen monotheistischen Kern hat, war allerdings nicht neu. Schon Plutarch unterstellte in seiner Schrift Über Isis und Osiris der ägyptischen Religion eine Doppelstruktur. Er differenzierte zwischen einem öffentlichen, volkstümlichen Polytheismus und einem esoterischen, heimlichen Monotheismus der eingeweihten Priester, die zudem göttliche Geheimnisse der Natur bewahrten. Diese Differenzierung zwischen Oberfläche und Tiefe wurde im 17. Jahrhundert wieder aufgenommen und auf die Bibel hin interpretiert – mit nachhaltigen Konsequenzen.

„Hieroglyphen, Hieroglyphen!"

Die positive Bewertung Ägyptens in der Neuzeit ist erst dadurch möglich geworden, dass es in die christlich-monotheistische Tradition eingefügt und als „Ursprung aller Religionen“ verstanden werden konnte. Der misstrauische Ton der Kritiker verwandelt sich während der Aufklärung in Zustimmung, in Form einer Sehnsucht nach der Unmittelbarkeit der Gottes- oder Naturerfahrung. Es ist dieselbe Sehnsucht, die man beim jüngen Goethe sieht oder in Büchners Lenz, als er ausruft: „Hieroglyphen, Hieroglyphen!“ Die ägyptischen Priester glaubte man – da sie im Besitz der Hieroglyphen waren und sie zu deuten verstanden – im Besitz des Urwissens, eines geheimen Wissens über die Gesetze der Natur, die wiederum unmittelbaren Zugang zu ihr schaffen konnten.
Die erkannte Doppelstruktur – Laien - Eingeweihte – ägyptischer Religion verstand man zudem als übertragbaren Begriff, anwendbar beispielsweise auch auf die Sprachwissenschaft. Die Vorstellung, die Hieroglyphen seien Zeichen, die diese Doppelstruktur in sich selbst trügen, beflügelte den damaligen Traum von einer vollkommenen Sprache.

Zauberflöte und Entziffereng

Und ebendiese Trennung und Doppelstruktur finden wir auch Mozarts Zauberflöte, wo Laien durch die Aufdeckung der erhabenen Mysterien der Natur zu Eingeweihten werden. Die scheinbar zahllosen Widersprüche der Oper lösen sich teilweise mit der Einsicht, dass sie nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch den Vorgang einer „Entmystifizierung“ erzählt. Nur diejenigen, die sich selbst beherrschen und erkennend den schmeichelnden, gleichwohl trügerischen Mythos der Nacht verwerfen, können die Zumutungen der enthüllten Natur ertragen – deren göttliche Kraft abwechselnd mit dem Erhabenen, dem Furchteinflößenden und dem mächtigen Strahlen der Sonne verglichen wird.

Plutarch war es, der die Allegorie einer verschleierten Naturgöttin, Isis, überlieferte, und die erschreckende, wundersame Enthüllung ihres Schleiers war im 18. Jahrhundert ein nachhaltiges Symbol sowohl für Freimauer wie Mozart, als auch für die Naturwissenschaften und die Philosophie.
Doch die schöpferische Kraft und die genialen Gedankenexperimente, die sich dem abstrakten Gegenstand Ägypten genähert hatten – brechen genau in dem Moment zusammen, als man – in der Folge von Napoleons Expedition – des „wirklichen“ Ägyptens gewahr wurde. Die Entzifferung der Hieroglyphen, die genauen Zeichnungen von Artefakten und schließlich eine Verschiebung des philologischen Interesses auf Assyrien als Ursprung der Schrift hatten zur Folge, dass sich die Ägyptosophie in eine systematische Ägyptologie verwandelte, die sich mit Sprache, Kunst und Geschichte beschäftigte. Der Schleier der Isis schien gelüftet – ägyptische Religion und Philosophie gerieten dabei ins Hintertreffen.

von Carolina Malagon