Die FU-Fighters, Gerd Müller und das Streben nach Selbstverständnis
Mit Fußballrobotern auf der Spur menschlicher Intelligenz
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Flügelspieler und Mittelstürmer der Fußballroboter-Mannschaft der Freien Universität
An der Freien Universität Berlin entwickeln wir seit 1998 Fussballroboter. Bereits vier Vizeweltmeister- und zwei Weltmeistertitel haben wir damit errungen. Aber welche Rolle spielt die Fußballrobotik für die Künstliche Intelligenz Forschung überhaupt?
Traditionell war Schach der Königsprüfstein intelligenten Verhaltens für Computer. Heute ist das Spiel für Rechenmaschinen zu anspruchslos. Das erkannte man spätestens, als Deep Blue 1997 Gari Kasparow geschlagen hatte. Es wurde klar, dass die neue Herausforderung hieß, Roboter zu bauen, die sich in der realen Welt autonom zurecht finden können. Sie sollten in Bewegung bleiben, sie mussten „sehen“ können, sie mussten in Echtzeit reagieren, und sie sollten zusammenarbeiten:
Geburtstunde der Roboter-Fußballmannschaft
Sie mussten also teamfähig sein. Diese Vision wurde von Experten 1997 auf einer Tagung über Künstliche Intelligenz (KI) in Japan erörtert. Ein Jahr danach schlug die Geburtsstunde der FU-Fighters, unserer international erfolgreichen Roboter-Fußballmannschaft. In der Industrie gibt es Roboter, die schweißen, Staub saugen oder Teile stapeln können. Unsere Roboter hingegen sind reaktiv, das heißt sie reagieren reflexartig. Wenn der Ball an einer bestimmten
Stelle im Blickfeld eines FU-Fighters auftaucht, heißt das: Schießen! Gerd Müller wurde einmal gefragt, was er denke, wenn er aufs Tor schieße. „Nichts“, sagte er, sonst träfe er nicht. Dasselbe gilt für den Roboter. Er „denkt“ nicht über seine Aufgabe nach, er tut sie einfach. Unsere Flügelspieler zum Beispiel geben die Flanken blind ab. Der Mittelstürmer, der die Flügelspieler reflexartig begleitet, nimmt den Ball an und macht das Tor. Man sieht einen gelungenen Pass und denkt an rundum geplantes intelligentes Verhalten. Doch davon sind wir noch weit entfernt. Was zählt, ist die Summe der Reflexe, und das erklärt auch das Verhalten.
Beim Schach indessen kommt die „Intelligenz“ von „oben“, es gibt einen kognitiven zielgerichteten Plan. Wir denken heute, dass die Zukunft der Forschung zur Künstlichen Intelligenz (KI) irgendwo in der Mitte zwischen kognitivem Plan und reaktivem Verhalten liegt. Insekten sind zum Beispiel viel reaktiver als Säugetiere. Das heißt, es gibt viele Abstufungen von Intelligenz.
Wie tickt der Mensch
Das Faszinierendste in der KI-Forschung aber ist herauszufinden, wie der Mensch „tickt“. Es werden humanoide Roboter gebaut, um zu erforschen, wie zum Beispiel Sprachsynthese und Spracherkennung als Kommunikationsmittel dienen können. Die Roboter in der Sciencefiction können alle sprechen. Dabei ist dies ein unglaublich komplexer Vorgang. Oder: Wie funktioniert Sehen? Wie kann man das Blatt Papier von der Tischplatte unterscheiden, auf der es liegt? Wie funktioniert Gehen und dann alles miteinander kombiniert? Unsere Begeisterung für die Erforschung dieser Fragen liegt gleichermaßen im Erkenntnisgewinn und im Staunen über die Reproduzierbarkeit dieser menschlichen „Funktionen“ mit Hilfe von Automaten.
Aber das menschliche Gehirn, das in seiner Komplexität systematisch verkannt wird, können wir noch lange nicht nachahmen. Dazu kommt, dass Computer immer noch zentralistisch, planwirtschaftlich arbeiten. Das Gehirn ist aber ein dezentrales, quasi demokratisches System. Und aus welchem Material würde man so eine Maschine bauen? Aus Metall und Gummi oder aus einer Kombination aus künstlichen und biologischen Materialien? Vielleicht hat die Natur die beste Lösung ja schon gefunden. Immerhin produziert jede Gehirnzelle ihre eigene Energie.
Der Traum, künstliche Menschen zu schaffen
Deswegen wäre es vermessen zu sagen, Roboter seien bereits intelligent. Unsere FU-Fighters sind ungefähr so intelligent wie Muscheln, nur eben schneller. Doch der Traum, künstliche Menschen zu schaffen, zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte: Pygmalion, der die Galatea schuf, die Geschichte vom Golem, und unsere heutigen Hightech-Mythen unterscheiden sich eigentlich gar nicht sehr voneinander. Auch HAL, der Computer in „2001 – Odyssee im Weltraum“, kann Sprache verstehen, Schach spielen und hat Gefühle. Der Roboter verkörpert also nicht nur das Faszinosum des Reproduzierten, er dient uns auch als Projektionsfläche für Träume, Ängste und für unsere Gefühle.
Aber die Mechanik und Elektronik unserer Fußballroboter können nicht einmal mit dem biochemischen Wunder einer Bakterie konkurrieren. Es ist aber doch ein schönes Gefühl zu denken, dass man auf diese spielerische Weise der Natur einige Geheimnisse entlocken kann. Maschinelle Intelligenz interessiert uns gerade deshalb, weil wir echte menschliche Intelligenz verstehen wollen.
Raúl Rojas