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Fehlpass im Tiefschlaf

Sportsponsoring belebt den Fußball und ruiniert die Wirtschaft

Sportsponsoring

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Franz Beckenbauer hatte wie immer Recht: „Wir wissen, dass es Kritik hageln wird. Mit der Organisation des Verkaufs der WM-Tickets machen wir uns bis zuletzt keine Freunde“, sagte der Chef des WM-Organisationskomitees zu Beginn der ersten Verkaufsphase. Und in der Tat: Zum Beginn des Turniers, ärgern sich viele Fußballfans. Nicht nur über das komplizierte Bestellverfahren, sondern auch darüber, dass nur ein Bruchteil der WM-Tickets in den freien Verkauf gegangen ist.

555.000 Tickets, immerhin ein Sechstel, waren für die 15 WM-Sponsoren reserviert – für Unternehmen wie die Deutsche Telekom oder für McDonald’s. Sportsponsoring ist aus dem Marketing-Mix der Unternehmen heute nicht mehr wegzudenken. 85 Prozent der deutschen Großunternehmen betreibt es und jedes zweite schaltet anlässlich der WM eine Werbekampagne. Laut der Studie „Sponsor Visions“ fließen im WM-Jahr in Deutschland schätzungsweise 2,7 Mrd. Euro ins Sportsponsoring.

Damit hat im Zuge der Weltmeisterschaft das Interesse der Industrie am Engagement in einem sportlichen Umfeld seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Aber woher kommt eigentlich dieses Interesse? Was ist der betriebswirtschaftliche Hintergrund? Warum ist ein Unternehmen wie beispielsweise die Deutsche Telekom bereit, neben dem WM-Sponsoring 20 Mio. Euro jährlich in den FC Bayern München zu stecken?

Werbung statt Forschung

Sportsponsoring ist ein relativ junges Instrument im Marketing-Mix der Unternehmen. Erst Mitte / Ende der 80er-Jahre ist die deutsche Wirtschaft ernsthaft eingestiegen. Kein Zufall, denn zu dieser Zeit offenbarte sich für viele Unternehmen, dass die goldenen Zeiten des Wirtschaftswunders endgültig vorbei sind. Die Arbeitslosenzahlen stiegen in die Millionen. Seit der Ölkrise in den 70er-Jahren waren die Unternehmen immer häufiger mit dem Phänomen stagnierender Märkte konfrontiert.

Eine ungewohnte Situation. Wie sollte man damit umgehen? Eine Handlungsoption wäre gewesen, verstärkt in Forschung und Entwicklung (FuE) zu investieren – mit dem Ziel, über eine entsprechend innovativ ausgerichtete Produkt- und Programmpolitik der wirtschaftlichen Stagnation zu trotzen und neue, noch unbekannte Märkte zu erschließen. Abgesehen von Einzelfällen ist diese Vorgehensweise von der Mehrheit der deutschen Unternehmen nicht gewählt worden. Ein Blick in die amtlichen Statistiken des Bundes verrät: Die Unternehmensausgaben für FuE sind – bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – seit den 80er-Jahren stetig zurückgegangen. Sie liegen heute bei nur noch 0,85 Prozent des BIP, also bei etwa 18,5 Mrd. Euro. Es verwundert daher nicht, dass Deutschland im internationalen Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit des World Economic Forum (WEF) hinter den USA, Japan und den skandinavischen Ländern den 15. Platz belegt. Als Ursache hierfür gilt laut WEF neben der hohen Staatsverschuldung eine „mangelhafte Innovationskultur“.

So hätten beispielsweise 2004 nur zehn Prozent der deutschen Unternehmen es gewagt, außerhalb ihres Kerngeschäfts zu investieren. Zu wenig, denn eine Produkt- und Programmpolitik, die auf Halten ausgerichtet ist, eröffnet keine Wachstumschancen. Stattdessen sind immer mehr finanzielle Mittel in die Kommunikationspolitik der Unternehmen geflossen: 2006 etwa 22 Mrd. Euro und damit deutlich mehr als in FuE. Die Klassiker der Kommunikationspolitik sind neben Werbung noch Verkaufsförderungsaktionen am „Point of Sale“, der persönliche Verkauf sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Instrumente wie Sponsoring, Event-Marketing oder Product-Placement spielen seit ungefähr 15 Jahren eine immer wichtigere Rolle in der Vermarktung.

Sponsoring fürs Gefühl

In Märkten, die nur eine geringe Wachstumsquote aufweisen, kommt der Kommunikationspolitik im Wettbewerb der Anbieter eine besonders wichtige Funktion zu. Mit ihrer Hilfe soll ein emotionaler Zusatznutzen aufgebaut werden, der die Konsumenten zum Kauf des Beworbenen veranlassen soll. Der ursprünglich im Vordergrund des Marketings stehende technisch-funktionale Kernnutzen eines Produkts oder einer Dienstleistung tritt in den Hintergrund, denn in stagnierenden Märkten sind austauschbare Leistungen und nicht Produktinnovationen die Regel. Alle Angebote sind mehr oder weniger gleich.

Die wirtschaftliche Stagnation scheinbar endgültig akzeptierend, richteten viele Unternehmen ihr Marketing seit Anfang der 80er-Jahre neu aus: Die Werbeetats stiegen innerhalb von nur zehn Jahren im Durchschnitt um 175 Prozent. Diese Umorientierung in der Vermarktung führte in der Folge zur nächsten großen Herausforderung. Die Werbeerinnerung nahm von 1980 bis 1990 um 80 Prozent ab – was verständlich ist, wenn ein jeder Werbung schaltet und versucht, eine „Marke“ aufzubauen. Früher oder später geht das auf Kosten der Aufmerksamkeit. Werbung wurde innerhalb kürzester Zeit immer ineffizienter.

Neue Kommunikationskanäle mussten her, wurden getestet und etablierten sich nach und nach im Marketing-Mix der Unternehmen: Sponsoring, Event-Marketing und Product-Placement. Bayern München schloss seinen ersten großen Sponsorenvertrag 1989 mit dem Autokonzern Opel, einem Unternehmen, von dessen „Verpflichtung“ die Fussballbundesliga bis dahin nur träumen konnte. Sechs Mio. DM pro Jahr war den Rüsselsheimern ihr Engagement beim Rekordmeister wert. Vom Sponsoring des FC Bayern erhoffte sich Opel eine Imagekorrektur. Der Ruf des Autoherstellers ließ damals doch sehr zu wünschen übrig. Opelfahrer galten als konservativ, spießig und jenseits der 50. 1989 war Opel beim Absatz noch meist nur die Nummer Zwei oder Drei. Mitte der 90er-Jahre hingegen rangierten sie beim Autoverkauf in München, in Bayern und in Europa an erster Stelle.

Stagnation im Geschäft

Der Sportsponsoring-Boom in Deutschland ist Ausdruck einer geistig stagnierenden Wirtschaftselite, die bis heute alles andere als offensiv mit der veränderten wirtschaftlichen Situation umgegangen ist. Anstatt schon in den 80er-Jahren mit einer innovativen Produkt- und Programmpolitik auf den Markt zu kommen, ist die große Mehrheit der Unternehmen einen anderen, eher „defensiven“ Weg gegangen: „Innovative“ Kommunikationsinstrumente wie das Sportsponsoring wurden entwickelt und nach und nach im Marketing eingesetzt. Diese Vorgehensweise kostete zwar deutlich weniger, als neue Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt zu bringen, und sie war sicher auch mit deutlich weniger Risiko behaftet als eine Investition in FuE. Die wirtschaftlichen Probleme sind damit jedoch noch nicht einmal im Ansatz gelöst worden.

Im Gegenteil: Das Wirtschaftswachstum in Deutschland betrug in den 90er-Jahren im Durchschnitt weniger als zwei Prozent – der schlechteste Wert für eine Dekade seit dem Zweiten Weltkrieg. Heute sieht es sogar noch düsterer aus: Seit 2000 ist die deutsche Wirtschaft nur noch ein Prozent pro Jahr gewachsen. Der Sport, insbesondere der professionelle Fußball, hat vom Stillstand der Wirtschaft profitiert. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, als nahezu 100 Prozent der Erlöse aus Eintrittsgeldern stammten, stehen die deutschen Fußballvereine heute auf einer gesünderen Basis: In der Bundesliga erwirtschaften die 18 Klubs im Durchschnitt ca. 27 Prozent ihrer Einnahmen aus der Werbung, insgesamt 358 Mio. Euro – ein Spitzenwert im europäischen Fußball. Durch den Einstieg der Sponsoren erfuhr die Professionalisierung der Ballbranche einen entscheidenden Schub. Das „klassische“ Finanzierungsmodell des Mäzenatentums wurde verdrängt.

Wer jetzt Geld in den Verein steckt, versteht das nicht nur als einseitige Unterstützung, sondern als Geschäft auf Gegenseitigkeit und verlangt professionelle Ansprechpartner auf Vereinsseite. In der Bundesliga hat so bis heute in nahezu allen Vereinen betriebswirtschaftliches Management Einzug gehalten.

Sportsponsoring ist heute aus dem Marketing der Unternehmen zwar nicht mehr wegzudenken, aber im Zuge der WM zeigen sich erste Abnutzungserscheinungen: Selbst von den 15 offiziellen WM-Sponsoren werden nur drei von den Konsumenten als solche wahrgenommen: die Deutsche Telekom, McDonald’s und Coca Cola. Alle anderen sind in der WM-Werbeschlacht untergegangen – aus unternehmerischer Sicht ein bedenklicher Trend. Hoffentlich führt er dazu, dass in den Chefetagen solche Engagements in Zukunft skeptischer betrachtet werden und dass wieder mehr Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt wird. Denn nur so wird es möglich sein, der wirtschaftlichen Stagnation zu trotzen.

Stefan Chatrath