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Amphitheater für Hollywood

Wie uns das Kino den Blick auf die Antike verstellt

Fless

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Kaum ein Ort der römischen Antike setzt dem modernen Verständnis so viele Widerstände entgegen wie das Amphitheater und die dort veranstalteten Spiele: Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen, Tierkämpfe und Hinrichtungen. Prägende Bilder haben vor allem die Spielfilme Hollywoods hinterlassen – kaum ein Kinobesucher kann sich beim Gedanken an die Gladiatorenkämpfe dem „Gladiator“ entziehen, ein Film, der 2000 in die Kinos gekommen war.

Denken wir an Wagenrennen, erscheinen uns die Bilder des Circusrennens aus Ben Hur. Und die Hinrichtung der Christen nach dem Brand Roms durch Nero sieht man unweigerlich durch das Kameraauge des Films „Quo Vadis“.

Aber ist die Filmgeschichte ein passender Gegenstand für die Klassische Archäologie? Die Besucher der letzten Langen Nacht der Wissenschaften im Juni wollten wissen, wie authentisch die Bilder sind: Was ist die Grundlage der computeranimierten Bilder des Colosseums in Rom im „Gladiator“? Haben die Gladiatoren wirklich solche Waffen getragen, wie sie in dem Film zu sehen sind?

Diese Fragen sind leicht zu beantworten. Die Bilder des Filmes basieren auf einem Modell der Stadt Rom, das noch heute im Museo della Civiltà Romana zu sehen ist. Das Modell wurde für eine Ausstellung geschaffen, die anlässlich des 2000. Geburtstag des ersten römischen Princeps Augustus gezeigt wurde. Initiiert wurde sie 1937 von Mussolini. Er versuchte damit, die Bewegung des Faschismus, deren Name sich von den antiken Rutenbündeln der Begleiter der Kaiser und Amtsinhaber, den fasces der lictores, herleitet, in die Tradition der römischen Kaiser zu stellen. Das Modell basiert auf Fragmenten eines antiken Stadtplanes, den noch stehenden und ergrabenen Bauten Roms und antiken Beschreibungen. Es gibt einen recht guten Eindruck der Stadt Rom, und durch die Animation im Film auch von der Stimmung in einer solchen Stadt, die wir wiederum aus den Schriftquellen kennen. Das Modell gibt jedoch nicht den Zustand Roms am Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. wieder, in der die Handlung des Films spielt, sondern den Zustand der konstantinischen Zeit am Beginn des 4. Jahrhunderts. n. Chr. – eine eher marginale historische Ungenauigkeit des Kinofilms.

Gravierender sind die Freiheiten, die man sich bei der Ausstattung der Schutz- und Angriffswaffen der Gladiatoren genommen hat. Die Filmwaffen stimmen nur in wenigen Fällen mit den antiken Waffenfunden und den antiken Darstellungen von Gladiatoren überein. Sie sind effekthaschend verändert und wirken martialischer als die antike Bewaffnung.


Die Autorin Friederike Fless ist Professorin für Klassische Archäologie und Sprecherin des Interdisziplinären Zentrums Alte Welt. Foto: von Richthofen

Die Archäologie als Wissenschaft interessiert an diesen Filmen aber nicht allein historische Treue oder filmische Ungenauigkeit. Sie beschäftigt sich mit den visuellen Entwürfen Hollywoods vielmehr aus einem ganz anderen Grunde. Die modernen Bilder rekonstruieren antikes Leben in einem dem Medium eigenen Realismus und prägen auch durch die musikalische Untermalung die moderne Vorstellungswelt und die modernen Urteile über die Antike.

Immer wenn es darum geht, in Büchern und Ausstellungskatalogen die Stimmung der antiken Spiele zu evozieren und eine moralisierende Wertung vor allem der Gladiatorenkämpfe aus moderner Perspektive vorzunehmen, werden Ausschnitte aus den Kinofilmen gezeigt oder auch Gemälde des 19. Jahrhunderts. So ist vor allem ein französischer Maler, Jean-Léon Gérôme (1824-1904), zu nennen, der auf dem 1872 datierten Gemälde „Police Verso“ *die Waffen und Architekturen der Amphitheater ebenso genau abbildet, wie zum Beispiel die Geste des unterliegenden Gladiators, der als Zeichen der Aufgabe die eine Hand erhebt. Die Härte mit der hier gekämpft wird, die Brutalität des siegreichen Gladiators, der dem Unterliegenden ins Gesicht tritt, und das geifernde Publikum, das mit herabgedrehtem Daumen den Tod des Unterliegenden fordert, entsprechen ganz unseren Vorstellungen antiker Gladiatorenkämpfe, und sie bedienen perfekt unsere (Vor-)urteile.

Diese Bilder sind jedoch moderne Entwürfe und Interpretationen der Geschehnisse im Amphitheater. Die antiken Bilder vermitteln ein ganz anderes Bild. Dort finden sich mit ganz wenigen Ausnahmen weder Darstellungen des spielgebenden Kaisers im Amphitheater noch des anwesenden Publikums. Es gibt auch keine toten Gladiatoren in größerer Zahl oder eine Szene, wie Gérôme sie zeigt, in der der siegreiche Gladiator dem Unterliegenden ins Gesicht tritt. Die Bildwelt ist reduziert auf die Wiedergabe der in Ausrüstung und Kampfesweise festgelegten Kämpferpaarungen, die bis hin zur Darstellung des am Boden liegenden und aufgebenden Gladiators alle spannenden Momente zeigt. Der antike Blick auf die Gladiatorenkämpfe, wie er in den Bildern Form gewinnt, entspricht in keiner Weise den modernen Bildern à la Hollywood. Doch diese Bilder besetzen unsere Vorstellungen, da sie unserem Unbehagen entgegenkommen, das uns beim Besuch eines Amphitheaters befällt und dem wir uns nur schwer entziehen können. Will man jedoch die antiken Spiele vorurteilsfrei verstehen, ist es notwendig, diese modernen Bilder in ihren ganz spezifischen medialen Eigenheiten und Intentionen zunächst zu entlarven und als Bilder unserer Zeit zu begreifen. Nur so kann man sich den Vorstellungen und Wahrnehmungen der antiken Menschen wenigstens teilweise annähern. Die Analyse der antiken Bilder ist dabei einer der Schlüssel für eine unvoreingenommene Annäherung an die Ereignisse im römischen Amphitheater.