Die Glykostrukturfabrik
Zuckerbiologie - Ein Geschäftsfeld mit Aussichten
Ob bei Viruserkrankungen, Entstehung von Krebs oder in der Therapie der Niereninsuffizienz, zunehmend entdecken Forscher die medizinische Bedeutung komplexer Zucker. In der Glykostrukturfabrik erforschen FU- Wissenschaftler deren Struktur - und gewinnen damit Kunden aus der Pharmaindustrie.
Das Virus H5N1 ist berühmt. Es ist der Erreger der Vogelgrippe, der im letzten Jahr besonders in Asien zahlreiche Menschen zum Opfer gefallen sind. Will man die Krankheit erfolgreich bekämpfen, muss man eines wissen: Wie erkennt das Virus seine Wirtszelle?
„Durch eine Zuckerantenne“, sagt Prof. Werner Reutter, FU-Mediziner und Experte für Zuckerbiologie am Institut für Molekularbiologie und Biochemie, Charité-Campus Benjamin Franklin. „Das ist ein facettenreiches Zuckermolekül, das an ein Protein gekoppelt aus der Zelloberfläche ragt.“ Eigentlich dient die „Antenne“ dem Organismus für die Verständigung der Zellen untereinander – aber das ist nur eine von vielen Funktionen, die diese und andere Zuckermoleküle der Zelloberfläche haben.
Strukturen wie die Zuckerantenne werden in der Glykostrukturfabrik untersucht, die Werner Reutter 2003 zusammen mit Prof. Rudolf Tauber und der Glycotope GmbH gegründet hat (siehe auch „Zucker sind mehr als süß“, WIR, 1-2004, S. 24). Die Geschäftsidee: Die Kunden aus der Biotech- und Pharmabranche schicken ihre zuckerhaltigen Proteine ein und erhalten nach wenigen Wochen die fertige Struktur der Moleküle. Derzeit benötigt die Pharmaindustrie hauptsächlich Analysen biotechnologisch hergestellter Therapeutika mit Zuckeranteil, denn im Zulassungsverfahren des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte müssen diese Strukturen vorliegen. Interessierte Forscher der FU, zum Beispiel aus Sonderforschungsbereichen und Forschergruppen, können die Expertise der Glykostrukturfabrik im Rahmen von Kooperationen in Anspruch nehmen. Das bringt der Glykostrukturfabrik zwar keine finanziellen Einträge, aber zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
Der Start dieser Glykostrukturfabrik wurde durch Fördermittel des Strukturfonds Berlin ermöglicht. Ein Antrag auf Weiterförderung wurde im Oktober 2004 positiv beurteilt. Die Industrie-Kooperationen sollen durch diese Förderung ausgebaut werden, damit sich die Glykostrukturfabrik in Zukunft selber tragen kann. Aufträge kommen bislang von drei mittelständischen Unternehmen. „Zur Finanzierung reicht das derzeit noch nicht“, sagt Reutter.
Das wirtschaftliche Potenzial ist hoch, sagt Reutter, denn die Zuckerbiologie kann mehr. Eine Tatsache, die hier zu Lande noch unterschätzt wird. „Die Vielfalt der Zucker ist um Größenordnungen höher als die der Proteine. Etwa 300 000 Proteine sind bekannt, Formen und Anzahl der Zucker sind dagegen noch viel zahlreicher.“ Ganz zu schweigen von der medizinischen Bedeutung der komplexen Zuckerstrukturen.
Bei einer durch Niereninsuffizienz bedingten Anämie beispielsweise gibt man als Standardtherapeutikum das Hormon Erythropoietin (EPO). EPO trägt, wie viele solcher Proteine, eine aus Zuckern bestehende Markierung, die gleichsam das Verfallsdatum bestimmen. Die Zuckerkette signalisiert, wann das Protein den „Recycling-Höfen“ der Zelle zugeführt und zersetzt wird. „Würde man den Zuckeranteil chemisch verändern, könnte die Lebensdauer des Proteins verlängert werden“, erklärt Reutter. Die gleiche Dosis des teuren Medikaments wäre dann viel länger wirksam. Reutter und seine Forscherkollegen halten ein Patent auf eine Methode zur Modifikation solcher Zuckerketten.
Der Dollar-Umsatz solcher rekombinanter Glykoproteine liegt weltweit im Milliardenbereich.
„Ähnlich könnte man bei der Behandlung der Vogelgrippe-Infektion vorgehen“, schlägt Reutter vor. An Kulturzellen hat er die der Erkennung dienende Zuckerantenne biochemisch verändert. Die Modell-Zellen waren daraufhin gegen den Angriff von Influenza A-Viren gewappnet.
Von Dietrich von Richthofen