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Welt, Raum, Struktur

Antike Theorien über den Raum prägen die Wissenschaften bis heute

Dominik Perler ist Professor für Philosophie an der Humboldt- Universität zu Berlin

Dominik Perler ist Professor für Philosophie an der Humboldt- Universität zu Berlin

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Der forschende Blick in die unendlichen Weiten des Weltraums, die Frage, wie es jenseits der Grenzen unseren eigenen Kosmos aussehen mag, die Frage gar, ob unser Kosmos der einzige sei, sind nicht etwa Fragen der Neuzeit. Bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert finden wir Zeugnisse systematisch-wissenschaftlicher Beschäftigung mit derlei Phänomenen.

Mit der Frage nach der Struktur des Ganzen ist in den folgenden Jahrhunderten regelmäßig die Analyse des physikalischen Raums und der in ihm geltenden Gesetzmäßigkeiten verbunden. So wird das Phänomen, dass Steine nach unten fallen, wenn man sie loslässt, warme Luft aber nach oben aufsteigt, im vierten Jahrhundert damit erklärt, dass die vier Elemente jeweils einen „natürlichen Ort“ haben, zu dem zurückzukehren sie bestrebt sind, wenn man sie von ihm entfernt hat. Das Element Erde – aus ihm bestehen Steine zum großen Teil – strebt zum Mittelpunkt des Kosmos. Stoffe, in denen das Element Feuer enthalten ist, bewegen sich hingegen von Natur aus nach oben oder genauer: in die äußere kosmische Sphäre.

Reinraum

Hat der Raum eine eigenständige Existenz? Außer den naturwissenschaftlichen Disziplinen befasst sich auch die Metaphysik mit dem Begriff des Raums. Bestünde er fort, wenn er völlig leer wäre und keine Gegenstände enthielte? Die Vorstellung eines reinen, von physikalischen Objekten freien Raums beispielsweise bildet die Voraussetzung für die reine Geometrie. In der Platonischen Akademie wird die Auffassung formuliert, dass geometrische Objekte sich in einem anderen Typ von Raum befänden als physikalische Dinge. Platons Schüler Aristoteles hält dem entgegen, dass mathematische Objekte „in“ den physikalischen enthalten seien und ihre vermeintlich eigenständige Existenz lediglich einer mentalen Operation verdankten.

Der Raum ist nicht nur ein Thema und Gegenstand der antiken Wissenschaften. sondern räumliche Modelle tragen auch als heuristische Instrumente zur Entstehung und Differenzierung von Wissenschaften in der Antike bei. Listen, Diagramme, schriftliche Notationen und beschreibbare Wissensträger besitzen eine eigene räumliche Struktur und bedingen, beschränken und ermöglichen durch sie bestimmte Formen der Gewinnung und Organisation von Wissen. Räumliche Erklärungsansätze stehen andersartigen Modellen gegenüber, die komplexe Phänomene auf Beziehungen von Teilen zum Ganzen, Funktionszusammenhänge oder Ursache-Wirkungsverhältnisse zurückführen möchten.

Die Seele

Antike Theorien über den Raum und die in der Antike entwickelten räumlichen Modelle prägen Wissenschaften und wissenschaftliche Methoden auf subtile und unterschwellige Weise oft bis in die Neuzeit. Deutlich wird dies etwa an einem für das menschliche Selbstverständnis zentralen Begriff der Seele. Mit dem Ausdruck „psyche“, der ursprünglich den Lebensatem des Menschen bezeichnet, verbindet sich ab dem sechsten Jahrhundert die Vorstellung, dass ein besonderer Bereich für emotionale Zustände, Überlegungen und Willensentscheidungen verantwortlich sei. Das Phänomen, dass man zwischen zwei Handlungsoptionen schwanken und gleichsam in verschiedene Richtungen gezogen werden kann, wird damit erklärt, dass die Seele Teile habe, die in verschiedene Richtungen streben.

Die Frage, wo die Seele sich befände und welche Funktionen an welcher Stelle lokalisiert werden könnten, wurde schon unter antiken Medizinern und Philosophen unterschiedlich beantwortet. Die damals einsetzende Kontroverse darüber, wie das Verhältnis zwischen der körperlichen und der geistigen Seite des Menschen angemessen beschrieben werden kann, dauert bis heute an.

Von Dominik Perler