Metropolenäther
Untersuchung zur Berliner Luft
Es ist kalt in dem riesigen Hangar des General Aviation Terminal, Flughafen Berlin-Tempelhof. Unter dem Rumpf des Forschungsflugzeugs „Airborne Research Platform“, einer Cessna 207, leuchtet ein helles, punktförmiges Licht, zahlreiche Kabel laufen aus dem Inneren des Fliegers zu einem Laptop, auf dem Messprogramme laufen.
„Wir müssen erst die Instrumente kalibrieren“, erklärt Dr. Carsten Lindemann, Meteorologe am Institut für Weltraumwissenschaften und ausgebildeter Pilot. Vier Sitze der 6-sitzigen Maschine haben die Forscher ausgebaut, um für ihre Gerätschaften Platz zu schaffen. „Momentan führen wir Messungen zur Konzentration von Methan und CO2 durch“, sagt Lindemann. Mit anderen Geräten messen die Atmosphärenforscher Feinstaub und Aerosole, in der Luft schwebende kleine Teilchen. Dabei steht die Stadt der Wissenschaft Modell. „Berlin eignet sich besonders gut, um Aerosole zu erforschen“, erklärt der Meteorologe Prof. Jürgen Fischer, Leiter des Instituts für Weltraumwissenschaften. Denn während sich über der Hauptstadt oft eine Dunstglocke aus kleinen Staub- und Rußteilchen wölbt, ist die Luft im dünn besiedelten Brandenburger Umland meist deutlich klarer. Erst mit diesem Vergleich können die Forscher den Einfluss der Partikel auf Sonnenstrahlung, Wetter und lokales Klima erfassen. „Es ist noch weitgehend unverstanden, welchen Einfluss Aerosole auf den Treibhauseffekt haben“, sagt Fischer. Eine bessere Kenntnis der optischen und physikalischen Eigenschaften von Aerosolen soll helfen, globale Klimamodelle genauer zu machen.
Lokal-Global
Vom Boden aus erforschen die FU-Meteorologen die Berliner Luft. Dabei nutzen sie Daten der Kollegen von der Weltraumwissenschaft und auch von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, die ein engmaschiges Messnetz zum Schadstoffmonitoring betreibt. Mehr als 30 Messstationen, über die ganze Stadt verteilt, zeichnen kontinuierlich Ozonwerte, Staubgehalt und die Konzentration verschiedener Abgase auf. Messungen in Brandenburg liefern Vergleichswerte, Messstationen vom Stadtrand bis in die Innenstadt ergeben ein Verteilungsmuster der Schadstoffe. Sieben Spezialmessstellen analysieren die Luft zusätzlich auf Schadstoffe wie Schwermetalle oder organische Stoffe. „Anhand dieser Messungen wird die Schadstoffbelastung für die ganze Stadt geschätzt“, sagt Prof. Eberhard Reimer, Leiter der Arbeitsgruppe Troposphärische Umweltforschung. Das Stadtmessnetz des Instituts für Meteorologie liefert darüber hinaus Wetterdaten wie Niederschlag, Temperaturen und Windrichtung. „All diese Daten verbinden wir dann in Wettermodellen miteinander“, sagt Reimer. Bislang seien vorhandene Wetter- und Klimamodelle nur unzureichend in der Lage, reales Wetter zu beschreiben. Mit weltumspannenden Modellen ließen sich zwar globale Trends abschätzen, doch sagen die nur wenig darüber aus, welche Region in welcher Form davon betroffen ist. „Eine globale Erwärmung um drei Grad heißt nicht, dass es zum Beispiel auch in Berlin tatsächlich wärmer wird“, sagt der Meteorologe. Wolken und Luftschichtung, Niederschlag und Windgeschwindigkeit, Aerosolgehalt und chemische Beschaffenheit der Luft machen den Unterschied. Umgekehrt kann man durch verbesserte Modelle genauere Prognosen für ein regionales Klima abgeben. Und das interessiert auch die Stadtplaner. „Nur wenn wir die lokale Klimaentwicklung abschätzen können, kann man beurteilen, ob die oft viele Jahre im voraus geplante Stadtentwicklung in Zukunft noch angemessen ist“, sagt Reimer.
Fingerabdruck
Wenn Stadtplaner Strategien zur Luftreinheit entwickeln, müssen sie wissen, welchen Einfluss Wind und Wetter auf die Verteilung von Emissionen wie Staub und Ozon haben. Und sie müssen wissen, woher die Emissionen kommen, damit man ihnen unter Umständen beikommen kann. „Man muss nämlich unterscheiden zwischen natürlichen Aerosolen, beispielsweise Pollen und Sand und menschengemachten Schwebeteilchen“, erklärt Reimer. Die von Menschen verursachten Emissionen können zudem verschiedene Quellen haben. Städtischer Dreck kann die Berliner Luft ebenso verunreinigen wie Aerosole und Staub, die der Wind aus dem Umland herbeitransportiert. Ist es Ruß aus dem Stadtverkehr oder ist es der Ausstoß eines Kohlekraftwerks im Umland? Mit einer Kombination aus meteorologischen Daten und chemischen Analysen können die Forscher dem Täter auf die Spur kommen – sie nehmen einen Fingerabdruck. Auf der Basis ihrer Messungen und Analysen spielen die Forscher in Modellen unterschiedliche Verkehrs- und Industrieszenarien durch. So können sie Vorhersagen darüber treffen, was passiert, wenn an den einzelnen Stellschrauben der Luftverschmutzung gedreht wird. Auf diese Weise können die Klimaforscher handfeste Daten liefern, um zu beurteilen, ob zum Beispiel die Einführung neuer Grenzwerte oder eines Tempolimits in Städten zu einer nennenswerten Reduktion des Schadstoffgehalts führt.
Berliner Luft im Hinblick der Satelliten
So wie die Meteorologen die Daten der Weltraumwissenschaftler nutzen, so profitieren die wiederum von den Ergebnissen aus dem Stadtmessnetz. Mit ihnen können sie ihre aus der Luft gewonnenen Messwerte verifizieren und die Mess methoden verbessern. „Könnte man die Luftbelastung in Berlin kontinuierlich vom Boden aus und aus der Luft messen, hätte man noch weit bessere Möglichkeiten für das Schadstoffmonitoring und damit auch für die Entwicklung lokaler Klimamodelle“, weist Fischer den Weg in die Zukunft. Bald sollen auch Satelliten zum Einsatz kommen, die den CO2- und Methangehalt mit hoher Genauigkeit messen. Dazu arbeiten die Forscher mit der amerikanischen Weltraumagentur NASA und der Europäischen Raumfahrtagen tur ESA zusammen. Vorerst jedoch wollen die Forscher die Messmethode durch den Einsatz in ihrem Forschungsflugzeug weiter entwickeln. Am Flughafen Tempelhof prüfen die Atmosphärenforscher ein letztes Mal die Messinstrumente. Ein kurzes Keuchen des Anlassers und kurz darauf rollt die „Airborne Research Platform“ zur Startbahn. Der Berliner Himmel ist heute trüb, die Forscher wollen nach Mecklenburg-Vorpommern fliegen, um die Methankonzentration über einem Moorgebiet aufzuzeichnen. Wenige Minuten später zieht die Cessna über die Häuser hinweg und verschwindet in den Wolken über Berlin.
DVR