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Sprechen Sie biologisch?

Auf der Suche nach einer neuen mathematischen Sprache

Mathematik in der Biologie

Mathematik in der Biologie

Mathematik in der Biologie

Mathematik in der Biologie

Um zu erklären, wie aus Molekülen ein Lebewesen entsteht, müssen Biologen stärker auf die Mathematik zurückgreifen. Systembiologie wird diese junge Disziplin genannt.

Welche Funktion einzelne Biomoleküle in einem Organismus ausüben, darüber haben Molekularbiologen mittlerweile schon umfangreiche Informationen zusammengetragen. Doch wie wirken die einzelnen Moleküle zusammen, damit letztendlich ein Lebewesen daraus wird? Dieser Frage geht die relativ junge Disziplin der Systembiologie nach. „Um ein derart komplexes System wie eine lebende Zelle zu verstehen, werden die Biologen künftig stärker auf die Mathematik zurückgreifen müssen“, ist Alexander Bockmayr, Professor am Institut für Mathematik, überzeugt. „Doch die derzeit verfügbaren Methoden reichen nicht aus, um die in der Systembiologie auftretenden Fragen zu beantworten“, sagt der Leiter der Arbeitsgruppe Mathematik in den Lebenswissenschaften. Eine neue mathematische Sprache muss her.

Zusammenspiel von Physik und Mathematik

Viele der heute in den Naturwissenschaften gebräuchlichen mathematischen Methoden haben sich im Zusammenspiel von Physik und Mathematik entwickelt. So entstanden vor allem Methoden um die Probleme der Physiker in den Griff zu kriegen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Differentialgleichungen, die Lösungen für eine große Zahl natürlicher Phänomene und technischer Fragestellungen bieten. Die Flugbahn von Himmelskörpern lässt sich mit ihnen genauso berechnen wie das Strömungsverhalten in einem Flussbett. „Für die Systembiologie sind Differentialgleichungen jedoch nur begrenzt geeignet“, sagt Bockmayr.

Differentialgleichungen

Das hat zwei Gründe: Zum einen müssen, will man Differentialgleichungen auf biologische Systeme anwenden, Daten wie die Reaktionsgeschwindigkeiten der Proteine, Botenstoffe und weiterer Komponenten untereinander oder auch deren Konzentration im Verhältnis zueinander vorliegen. Hier gibt es bis heute große Wissenslücken. Der andere Grund liegt in der Natur vieler molekularbiologischer Systeme. Häufig kann man für die einzelnen molekularen Komponenten eine klare Unterscheidung zwischen zwei Zuständen, etwa aktiv – inaktiv, treffen. So ist ein Enzym entweder aktiv oder inaktiv, ein Gen entweder an- oder ausgeschaltet. Differentialgleichungen sind aber ihrem Wesen nach für die Beschreibung kontinuierlicher Phänomene ausgelegt.

Die Biologie läßt sich mit neuen Methoden wesentlich weiter mathematisieren

Bockmayr und seine Mitarbeiter entwickeln deshalb Methoden für die diskreten, also ganzzahligen Phänomene der Biologie. Das einfachste Modell, auf das sie dabei zurückgreifen, ist ein 0-1-Modell, wobei 0 zum Beispiel für inaktiv, 1 für aktiv steht. Was auf den ersten Blick trivial aussieht, wird mit zunehmender Anzahl der Systemkomponenten schnell komplexer, wie ein einfaches Rechenbeispiel zeigt. Können nur fünf Bestandteile in einem System zwei Zustände einnehmen, gibt es lediglich 32 mögliche Zustände des Systems (2 5). Bei zwanzig Komponenten sind es schon weit über einer Millionen Zustände (2 20). Wenn man bedenkt, dass der Mensch über knapp 30.000 Gene verfügt, ganz zu schweigen von den je nach Schätzung zwischen 500.000 und 1 Millionen Proteinen, wird klar, dass die vorhandene Mathematik hier leicht an ihre Grenzen stößt.

Grenzen, die zu verschieben sich lohnen kann. Denn neue Rechenmethoden, die die Komplexität biologischer Systeme abzubilden in der Lage sind, könnten neue Erkenntnisse aus dem umfangreichen bereits vorhandenen Wissen schürfen, hofft Bockmayr. Um die Entwicklung einer geeigneten mathematischen Sprache zu befördern ist es seiner Auffassung nach jedoch notwendig, dass Biologen sich verstärkt der Mathematik annehmen – und Mathematiker der Biologie. „Bei dem Blick über die Grenzen der eigenen Disziplin gibt es aber immer noch hohe Hürden“, schildert der Mathematiker eine Erfahrung, die er auch als Dozent im Studiengang Bioinformatik und an der Max Planck Research School for Computational Biology and Scientific Computing immer wieder macht. Mancher stellt sich sogar die philosophische Frage, welche Teile der Biologie sich überhaupt in mathematische Formeln fassen lassen. Bockmayr geht die Sache andersherum an: „Die Biologie ließe sich mit neuen Methoden wesentlich weiter mathematisieren als es dem momentanen Zustand entspricht.“