Dreiecksbeziehung
Eine neue Geometrie für virtuelle Körper
Konrad Polthier und sein Team entwickeln eine neue Geometrie. Mit einem Laserscanner können so aus realen Vorbildern virtuelle räumliche Modelle entstehen.
Nach Platons Theorie der „Platonischen Körper“ war alle Materie aus der elementaren geometrischen Form des Dreiecks aufgebaut. Während die Physik sich die materielle Welt heute aus Elementarteilchen, Quarks und Strings zusammengesetzt denkt, hat aber dennoch das Weltbild des antiken griechischen Philosophen in ähnlicher Form seine Daseinsberechtigung in einer ganz neuen Welt gefunden.
Geometrische Körper
„Im virtuellen Raum sind alle geometrischen Körper letztendlich aus Dreiecken, Vierecken oder ähnlich en elementaren Bausteinen aufgebaut”, sagt Prof. Konrad Polthier, Leiter der Arbeitsgruppe Mathematische Geometrie am Institut für Mathematik. Denn die Oberflächen virtueller Körper wer den mit Hilfe feiner, aus Dreiecken aufgebauter Netze beschrieben. „Um die Eigenschaften solcher Netze zu erforschen und ihr Anwendungspotenzial auszuschöpfen, müssen wir eine ganz neue Geometrie entwickeln“, erklärt der Mathematiker. Seine Arbeitsgruppe gehört in der Disziplin, die als diskrete Differentialgeometrie bezeichnet wird, zu den weltweit führenden Impulsgebern.
Seit über 15 Jahren erkunden Polthier und seine Mitarbeiter die Gesetzmäßigkeiten dieser neuen Geometrie, entwickeln Rechenmethoden und Algorithmen. Anfangs ging es nur um die Lösung abstrakter Probleme, wie zum Beispiel die Beschreibung abstrakter geometrischer Körper, die in der realen Welt gar nicht existieren können. „Aber durch die Omnipräsenz von Dreiecksnetzen im virtuellen Raum hat die diskrete Differentialgeometrie ungeahnte Popularität gewonnen”, freut sich Polthier. Die Nutzung virtueller Modelle im Industriedesign, im Trickfilm und in den virtuellen Welten des Cyberspace knüpft die Netze zwischen Forschung und Anwendung enger.
Aus realen Vorbildern entstehen virtuelle räumliche Modelle
Den Kontakt zur realen Welt stellt dabei häufig ein Laserscanner her. Wie eine Digitalkamera „fotografiert“ er Objekte; im Mittelpunkt steht jedoch nicht die Information über die Farbigkeit, sondern über die Distanz der Bildpunkte voneinander.
Aus realen Vorbildern entstehen so virtuelle räumliche Modelle. Anwendung findet das zum Beispiel im Autobau. Hier entwerfen Designer häufig ein erstes Modell aus Lehm oder modellierbarer Kunststoffmasse, das dann mit Hilfe eines 3D-Scanners in den Computer überführt wird. Ein Netz aus Dreiecken spannt eine Haut über diese virtuellen Körper.
„Schwierig wird es aber, wenn man diese Oberflächen modifizieren oder glätten will“, erklärt Polthier. Bislang sitzen die Modellierer bei solchen Versuchen stundenlang am Rechner und zupfen an den Kontrollpunkten der Dreiecksnetze. Und beim automatischen Glätten von Wölbungen erkennt der Computer die Demarkationslinien zwischen unterschiedlichen Flächen nicht. Da durch verliert die Form ihre charakteristische Ausprägung. Dann suchen die Industriedesigner Hilfe bei den Experten der diskreten Differentialgeometrie. Die effektiven mathematischen Optimierungsverfahren von Polthiers Arbeitsgruppe haben schon beim Design zahlreicher Produkte Einsatz gefunden – von der windschnittigen Plastikverkleidung eines Motorrads bis zur Automobilkarosserie. Über die Kooperationsprojekte mit industriellen Partnern haben die Forscher reichlich Dritt mittel eingeworben.
Software für die virtuelle Welten
Eine erfolgreiche Kooperation besteht auch mit der Berliner Firma mental images. Das Unternehmen entwickelt Software, um virtuelle Welten im Computer zu erstellen und durch die Berechnung von Licht, Schatten und Spiegelungen die Illusion von Wirklichkeit hervorzurufen. Hauptabnehmer sind neben Auto- und Flugzeugherstellern auch Filmproduktionsfirmen wie Disney, Dreamworks und Sony Pictures. Um ihre Rolle als Marktführer zu halten und ständig die neuesten Forschungsergebnisse in ihrer Software zu verarbeiten, nehmen die Entwickler von mental images die Expertise der FU-Mathematiker in Anspruch – denn Spiderman und die Helden von Matrix leben in einer Welt aus Dreiecken. Wenn Platon das gewusst hätte.
von Leo Karby