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Ich schwöre!

15. bis 17. Dezember: Internationale Konferenz zu Eidleistungen von der Spätantike zum Frühen Mittelalter / Campus.leben im Gespräch mit dem Historiker Professor Stefan Esders vom Friedrich-Meinecke-Institut

15.12.2016

Auschnitt aus dem „Sachsenspiegel“, einem Rechtsbuch des 13. Jahrhunderts. Mehrere Personen schwören, indem sie die Hand auf ein Kästchen legen, in dem sich die Reliquien eines Heiligen befinden. Rechts im Bild ist der König dargestellt.

Auschnitt aus dem „Sachsenspiegel“, einem Rechtsbuch des 13. Jahrhunderts. Mehrere Personen schwören, indem sie die Hand auf ein Kästchen legen, in dem sich die Reliquien eines Heiligen befinden. Rechts im Bild ist der König dargestellt.
Bildquelle: Universitätsbibliothek Heidelberg: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg164/0019 

Dieses Kalendermosaik aus dem Kloster Beth Shean (Skythopolis) in Israel stammt aus dem 6. Jahrhundert. Als Verkörperung des Monats März (Mars) wird ein Soldat gezeigt, der zum Schwur die Hand hebt.

Dieses Kalendermosaik aus dem Kloster Beth Shean (Skythopolis) in Israel stammt aus dem 6. Jahrhundert. Als Verkörperung des Monats März (Mars) wird ein Soldat gezeigt, der zum Schwur die Hand hebt.
Bildquelle: Image courtesy of the Penn Museum

Prof. Dr. Stefan Esders ist einer der Organisatoren der Tagung zu Eidleistungen von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit.

Prof. Dr. Stefan Esders ist einer der Organisatoren der Tagung zu Eidleistungen von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit.
Bildquelle: Privat

Wer schwört, legt sich fest. Welche Bedeutung aber haben Eide? Und warum wurden sie zu welcher Zeit abgelegt? Mit diesem Thema beschäftigt sich eine Konferenz, die von heute an bis Samstag an der Freien Universität stattfindet. Initiiert und organisiert wurde sie von den Historikern Professor Stefan Esders und Lukas Bothe in enger Zusammenarbeit mit dem am Otto-Suhr-Institut angesiedelten Sonderforschungsbereich 700 „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ und gemeinsam mit Gerda Heydemann. Die promovierte Historikerin verfolgt derzeit am Friedrich-Meinecke Institut als Marie Skłodowska-Curie Fellow ein Projekt über „The Bible and the Law in the Carolingian Age“. Stefan Esders erzählt im Interview mit campus.leben, warum ihn Schwüre als historisches Phänomen faszinieren – und warum sie häufig auf neuralgische Punkte in einer Gesellschaft verweisen.

Herr Professor Esders, im Rahmen der Konferenz untersuchen Sie Eidleistungen als religiöse, soziale und politische Handlungen – können Sie für die drei Bereiche Beispiele nennen?

Eide findet man in Situationen, in denen besonderes Vertrauen geschaffen werden muss: um die Wahrhaftigkeit einer Aussage zu beteuern oder um ein verlässliches Versprechen abzugeben. Geschworen wird meist in der Öffentlichkeit, eine göttliche Macht wird als Zeugin aufgerufen: Deren Zorn soll einen treffen, wenn man sein Versprechen nicht hält oder die Unwahrheit sagt.

Wir denken heute natürlich zuerst an Eide vor Gericht oder solche, die beim Antritt eines Amtsinhabers abgelegt werden. In früheren Zeiten gab es jedoch noch viel mehr Situationen, in denen Eide für Verbindlichkeit und Erwartungssicherheit sorgen sollten. Häufig hatten Herrscher bei ihrer Krönung unter Eid zu versprechen, ihr Volk nach Recht und Gerechtigkeit zu regieren, während das Volk den Herrscher unter dieser Voraussetzung huldigend seiner Loyalität versicherte. Die Rechtsordnungen der mittelalterlichen Städte beruhten auf einem jahrweise erneuerten Eid aller Bürger. Überall, wo Dinge verbindlich geregelt werden mussten, griff man auf dieses Instrument der Selbstverpflichtung zurück.

Ist der Zeitraum, den Sie untersuchen – Spätantike bis Frühes Mittelalter, also von etwa 250 bis 950 –, eine Zeit, in der besonders viel geschworen wurde?

In der Spätantike wurde die Gesellschaft des römischen Reiches christlich. Die Praxis des Schwörens führte zu heftigen Diskussionen, weil Jesus in der Bergpredigt seinen Anhängern das Schwören eigentlich untersagt hatte. Nur mühsam rang man sich durch, den Eid unter bestimmten Bedingungen zu erlauben – offenbar weil es ohne ihn nicht ging. Mit der Lockerung der Gesellschaft und der nachlassenden Staatlichkeit im Übergang von der Antike zum Mittelalter entstand ein großer Bedarf an neuen „vertraglichen“ Personenbindungen, die über den Eid hergestellt wurden. Viele Dinge wurden jetzt neu ausgehandelt und durch Schwüre abgesichert.

Lassen sich überhaupt Epochen festmachen, in denen mehr geschworen wurde als zu anderen Zeiten?

In Mittelalter und in der Frühen Neuzeit blühte der Eid besonders, weil es nahelag, persönliche wie politische Beziehungen immer auch als religiöse Bindungen zu verstehen. Fast jede Form von Gruppenbildung war zugleich auch eine religiöse Vergemeinschaftung. Im Mittelalter fühlte sich die Kirche für den Eid zuständig, suchte seinen Ge- und Missbrauch zu kontrollieren. Jeder beschworene Vertrag konnte vor einem kirchlichen Gericht eingeklagt werden. Manche Eide betrafen eine konkrete Zusage, andere dagegen waren, wie Max Weber das einmal nannte, regelrechte „Statuskontrakte“, durch die man gleichsam ein neuer Mensch wurde. So spielten im Lehenswesen Treueide gegenüber dem Herrn eine wichtige Rolle. Wie die Städte, so waren auch Gilden und Zünfte eigentlich „Verschwörungen“ – also Schwureinungen unter Gleichen – die häufig von der Obrigkeit nicht gerne gesehen und in vielen Fällen unterdrückt wurden. Auch die mittelalterlichen Universitäten waren solche Schwureinungen – in denen die Studenten ihren Professoren unter Eid versprechen mussten, sich nach der Prüfung nicht an ihnen zu rächen.

Haben Eide im Laufe der Zeit ihre Bedeutung beziehungsweise ihren Grad an Verbindlichkeit verändert?

Seit der Weimarer Zeit kann der Eid ohne religiöse Beteuerung geschworen werden. Heute sehen viele im Schwur lediglich die Verstärkung einer Aussage, die schärfere Sanktionen nach sich zieht, falls man die Unwahrheit sagt oder sein Versprechen nicht erfüllt. Dennoch sollte man den Eid auch im Zeichen der modernen Trennung von Staat und Kirche nicht unterschätzen: Ein Meineid vor Gericht wird noch heute mit einer Gefängnisstrafe geahndet, und der subjektive und soziale Verpflichtungsgehalt des Eides ist nach wie vor hoch. Diskussionen um Widerstand und Desertion im Dritten Reich zeigen, dass es auch in der Moderne größte Schwierigkeiten bereitet, einen Eidbruch vor anderen unter Berufung auf ein höheres Gut zu rechtfertigen.

Wie kamen Sie dazu, Eidleistungen wissenschaftlich zu untersuchen?

Mir war schon vor langer Zeit bei der Lektüre antiker und mittelalterlicher Texte aufgefallen, welch hohe Bedeutung die Zeitgenossen dem Schwören und dem Wortlaut von Eiden beigemessen haben. Wo wir Eide antreffen, stößt man meistens auf eine Situation, in der Dinge verbindlich geregelt werden müssen, weil konkurrierende Normen und Rollenerwartungen aufeinandertreffen. Eide sollen bestimmte davon priorisieren, weshalb sie für die Gesellschaftsgeschichte so interessant und aufschlussreich sind: Jeder einzelne Eid führt Historiker mit ziemlicher Sicherheit an einen neuralgischen Punkt vergangener Gesellschaften. Außerdem muss man berücksichtigen, dass es beim Schwören immer um die persönliche Selbstverpflichtung eines Einzelnen geht: Religiöse Selbstbindung ist zu allen Zeiten eine bedeutende gesellschaftliche Legitimationsressource gewesen, auf die man gerne zurückgriff, um Dinge zu regeln. Doch insbesondere dort, wo unter Druck oder sogar Zwang geschworen wird, kann das den Schwörenden in existenzielle Gewissens- und Loyalitätskonflikte bringen, da der Eid Fremdbestimmung in Selbstzwang überführt.

Die Fragen stellte Christine Boldt

Weitere Informationen

Zeit und Ort

  • Donnerstag, 15. bis Samstag, 17. Dezember 2016, Beginn 14.00 Uhr
  • Holzlaube der Freien Universität Berlin, Raum 2.2058 und 2.2059, Fabeckstr. 23-25, 14195 Berlin.

Anmeldung und Kontakt

Lukas Bothe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Sonderforschungsbereich 700 „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“, Telefon: +49 30 838 58533, E-Mail: lukas.bothe@fu-berlin.de

Die Tagung ist öffentlich und findet in englischer Sprache statt.