Friedrich der Weise träumt. Über einen publizistischen Brandbeschleuniger am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges
Prof. Dr. Andreas Bähr
Kurz vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges, anlässlich des Reformationsjubiläums 1617, wurde ein Flugblatt publiziert, das in Bild und Text eine eigentümliche Geschichte erzählt: In der Nacht, bevor Luther seine 95 Thesen an die Schlosstür zu Wittenberg nagelte, habe der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise eben dieses Ereignis geträumt – und mit ihm die langfristigen Auswirkungen, die der Thesenanschlag auf die Papstkirche haben sollte.
Der Vortrag erörtert, inwiefern diese Traumerzählung als eine geschichtsmächtige Fiktion zu betrachten ist, die zur Konfliktverschärfung im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges beitrug. Dazu verortet er das Flugblatt in den frühneuzeitlichen Debatten über prophetische Träume ebenso wie in den Kontroversen über Lüge, Täuschung und Verstellung. Die Vorlesung zeigt, wie Geschichte zur Waffe werden konnte: die Traumgeschichte ebenso wie die Geschichte der Reformation, die der Traum angeblich vorhergesagt hatte.