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Gemäß der EU-Richtlinie 2010/63 muss das 3R-Prinzip (Replace, Reduce, Refine) in allen Bereichen, in denen Tierversuche eingesetzt werden, befolgt werden. Demnach müssen Tierversuche ersetzt werden, wenn Alternativmethoden zur Verfügung stehen. Ist ein Tierversuch jedoch unerlässlich, müssen die Anzahl der Versuchstiere und die Belastung des Einzelnen so gering wie möglich gehalten werden. Doch woran lässt sich ablesen, wie sehr das Wohlbefinden einer Maus beeinträchtigt ist?

Unwohlsein und Schmerzen zeigen sich deutlich im Gesichtsausdruck von Nagern. Mithilfe der Mouse Grimace Scale kann die Mimik der Mäuse interpretiert werden: Ein Zusammenkneifen der Augen, seitlich oder nach hinten gerichtete Ohren, eine Nasen- sowie Wangenwölbung und steif an die Wange gelegte Tasthaare (Vibrissen) deuten darauf hin, dass es dem Tier nicht gut geht und es entsprechend behandelt werden sollte. Professorin Christa Thöne-Reineke hat am Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde der Freien Universität Berlin im Sinne des Refinements eine Verhaltenstestbatterie, die unter anderem die Mouse Grimace Scale beinhaltet, zusammengestellt, um das Wohlbefinden von Mäusen zu beurteilen.

Anhand der Mouse Grimace Scale, dem Nest- sowie Wühlverhalten, der Stresshormone und vielen weiteren Beobachtungen konnten die Forscher auf das Wohlbefinden der Mäuse nach wiederholten Narkosen schließen. Mehrfachnarkosen kommen vor allem in Bildgebungsstudien vor. Die Tiere werden wiederholt in einem Versuch eingesetzt, so dass sich die Gesamtzahl der Tiere verringert – vorausgesetzt die Belastung für das einzelne Tier ist nicht zu hoch! Daher ist eine wissenschaftlich basierte Belastungseinschätzung für tierexperimentelle Verfahren essenziell.

Menschen, die unter einer bestimmten Hautkrankheit leiden, reagieren unterschiedlich gut auf die gleiche Therapie – denn Haut ist nicht gleich Haut. Rekonstruierte Humanhaut, also Hautmodelle, die aus Zellen von Patienten gezüchtet werden (oder aus normalen Zellen, aber kultiviert unter den Bedingungen der Krankheit), bilden diese individuellen Unterschiede sehr viel besser ab als Tiermodelle wie die Maus. Weil die Haut von Nagetieren viel dünner und stärker behaart ist als die menschliche, gibt es zudem deutliche Unterschiede in der dermalen Wirkstoffaufnahme.

Humane Hautmodelle bieten die Möglichkeit, sowohl Therapien als auch das Krankheitsgeschehen selbst in vitro zu erforschen. Dr. Christian Zoschke, Pharmakologe am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin, entwickelt dreidimensionale Hautmodelle für Tumorerkrankungen der Haut. Und zwar speziell für den hellen Hautkrebs.

Zu dieser Gruppe von Tumoren gehören neben verschiedenen Hautkrebsfrühformen wie der aktinischen Keratose auch das kutane Plattenepithelkarzinom (Spinaliom) sowie das Basalzellkarzinom (Basaliom). Heller Hautkrebs tritt mit rund 200.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland zehnmal häufiger auf als der bekanntere schwarze Hautkrebs (malignes Melanom).

Die Modelle basieren auf Co-Kulturen von menschlichen Hautzellen (Keratinozyten und Fibroblasten) und Tumorzellen oder Krebszelllinien. Rekonstruierte Humanhaut ist vergleichbar komplex aufgebaut wie die erkrankte Haut der Patienten und kann zugleich wichtige Aspekte menschlicher Diversität abbilden – zum Beispiel Unterschiede in Geschlecht, Lebensalter oder Ethnie.

Ob bei Nuss- und Pollenallergie oder bei bestimmten Hauterkrankungen: Das Immunsystem spielt die zentrale Rolle im Krankheitsgeschehen. Es reagiert über und facht als Abwehrreaktion eine Entzündung an.

Um das sensibilisierende Potential von Substanzen zu erforschen, werden nach der derzeitigen Strategie der OECD Tests an Meerschweinchen vorgenommen. Auf das Ohr der Versuchstiere wird die fragliche Substanz mehrfach aufgetragen und anschließend die Aktivierung im lokalen Lymphknoten durch eingewanderte Immunzellen untersucht. „Unser Ziel ist es, diese Tierversuche komplett zu ersetzen, indem wir Hautmodelle züchten, die auch eine immunologische Komponente aufweisen“, sagt Professor Burkhard Kleuser, Toxikologe am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Potsdam.

Kleusers Team arbeitet daran, menschliche Immunzellen in humanen Hautmodellen stabil zu integrieren, um die Immunantwort der Haut auf sensibilisierende Substanzen in vitro abbilden zu können. „Dafür entnehmen wir sowohl Hautzellen als auch Immunzellen jeweils vom gleichen Spender.“ Die Hautmodelle werden aus Vorläuferzellen der Haarfollikel gezüchtet, wofür wenige Kopfhaare des Spenders ausreichen. Die Immunzellen werden aus seiner Blutprobe isoliert.

Nach Etablierung der Methode sollen immunkompetente humane Hautmodelle auch zur Untersuchung von Hautkrankheiten wie etwa Neurodermitis eingesetzt werden. Da die Patienten unterschiedlich gut auf die entsprechenden Medikamente ansprechen, könnten die Modelle künftig auch dabei helfen schon in vitro, also vor der erstmaligen Anwendung am Menschen, die optimale Therapie zu ermitteln.

Eine Möglichkeit die Zahl der Tierversuche stark zu reduzieren sind sogenannte in-silico-Experimente. In der Wirkstoffforschung und der Risikobewertung von Chemikalien werden sie bereits eingesetzt. Der Grundgedanke hinter solchen Computersimulationen, wie sie der Bioinformatiker Dr. Marcus Weber am Zuse-Institut Berlin entwickelt, ist ein Analogieschluss: ähnliche chemische Substanzen wirken auch ähnlich auf bestimmte Rezeptoren im Gewebe.

Analogieschlüsse lassen sich auf verschiedenen Ebenen ziehen: Haben die Moleküle ähnliche chemische Formeln? Besitzen sie ähnliche Atomgruppen? Haben sie eine ähnliche 3D-Struktur? Gleiches gilt auch für die Rezeptoren. „Anhand bestimmter Proteinbausteine bekannter Rezeptoren können wir auf Struktur und Verhalten noch wenig erforschter schließen“, sagt Weber.

Für die Entwicklung der mathematischen Modelle nutzen die Bioinformatiker umfangreiche Datensätze von zahlreichen Substanzen, die bereits ausführlich getestet worden sind. Darunter Daten aus Tierversuchen, in-vitro-Tests, sowie physikalisch-chemische Parameter der Moleküle wie etwa Röntgenstrukturanalysen.

Je mehr Informationen vorhanden sind, desto genauer ist auch die Vorhersage. Mit gut trainierten Simulationen lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar die Wirkung von Substanzen vorhersagen, die erst auf dem Papier existieren und noch gar nicht synthetisiert worden sind. Die Programme benötigen dafür lediglich die chemische Strukturformel des fraglichen Moleküls. Neben der Wirkung von Substanzen lässt sich inzwischen auch deren Abbauprozess im Körper simulieren.

Moleküle, die im in-silico-Experiment „durchfallen“ sind mit hoher Wahrscheinlichkeit unwirksam oder gar toxisch. Ein Tierversuch und auch die Synthese erübrigen sich dann in den meisten Fällen.

Ist ein Tierversuch unvermeidbar, muss zumindest das Leid der Tiere auf ein Minimum reduziert werden. Das bedeutet insbesondere auch mögliche Schmerzen während und nach dem Versuch zu verhindern.

Bei Mäusen, die nach wie vor die überwiegende Mehrheit der Versuchstiere ausmachen, geschieht dies häufig durch Injektion von Opioiden. Bedingt durch genetische Unterschiede ist die schmerzhemmende Wirkung dieser Mittel jedoch nicht bei jedem Mäusestamm gleich. Eine exakte Dosierung ist dementsprechend schwierig.

Das Team von Professor Gilbert Schönfelder vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin erforscht deshalb den Metabolismus wichtiger Schmerzmittel bei gängigen Mäusestämmen. Das Ziel: Eine individuelle Schmerztherapie für die jeweiligen Stämme zu bestimmen.

Mit Hilfe von in-vitro-, in-silico- und in-vivo-Methoden untersuchen die Forscher konkret die Wirksamkeit der Analgetika Buprenorphin und Metamizol in Abhängigkeit von deren Abbau. Dieser wird wiederum von den unterschiedlichen genetischen Profilen daran beteiligter Enzyme beeinflusst. Die Ergebnisse dieser Studien sollen zu präzisen Dosierungsempfehlungen dieser Schmerzmittel beim Tierversuch führen.

Wie wirkt ein neues Arzneimittel auf die verschiedenen Organe des Menschen? Gelangen Medikamente, die eine Schwangere einnimmt, auch in den Blutkreislauf des Fötus? Was geschieht im Körper von Patienten mit Autoimmunkrankheiten?

Um Fragen wie diese zu beantworten sind Tiermodelle bisher unverzichtbar. Die Organ-on-a-chip-Technologie, die Professor Roland Lauster vom Institut für Biotechnologie der Technischen Universität Berlin entwickelt, könnte in vielen Fällen eine Alternative sein. Und sie könnte sogar aussagekräftiger sein als ein Tierversuch, weil keine tierischen, sondern menschliche Zellen eingesetzt werden.

Zellkulturen oder kleine Gewebeteile, die aus Biopsien stammen, werden dafür getrennt in winzigen Kammern kultiviert. Auf einem Chip können diese Kammern beliebig über feine Kanäle, durch die Flüssigkeit und Nährstoffe gepumpt werden, miteinander verbunden werden. So wird eine Art „Blutkreislauf“ erzeugt, in dem die „Miniaturorgane“ bereits bis zu 28 Tage überleben. Künftig sollen die Kanäle ebenfalls durch in vitro gezüchtete feine Blutgefäße ersetzt werden.

Bis zu zehn verschiedene „Organe“ wollen die Forscher einmal auf dem Chip kombinieren. Durch die miniaturisierten Multiorgan-Modelle gelingt es, in vitro eine in vivo ähnliche Situation herzustellen und damit die Interaktion menschlicher Organe im Labor zu simulieren.

Manche Medikamente müssen über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Aber wie wirken sie mittel- und langfristig auf den Organismus des Patienten?

Aufwendige mathematischer Modelle – sogenannte Multi-Skalen-Simulationstechniken – wie sie Professor Axel Pries mit seinem Team am Institut für Physiologie der Charité - Universitätsmedizin Berlin entwickelt, lassen derartige Vorhersagen zu. Die Wissenschaftler wollen damit unter anderem die kontinuierlichen Anpassungsprozesse von Blutgefäßen an ihre Umgebung modellieren, die für die Aufnahme, Wirkung und Verträglichkeit vieler Arzneimittel relevant sind. Ebenso auch für die Wirkung von Giften. Das Projekt ist Teil des EU-Forschungsvorhabens „Virtual Physical Human“, dessen Ziel es ist, einmal die komplexen biochemischen, physikalischen und mechanischen Funktionen des lebenden menschlichen Körpers simulieren zu können.

Am gleichen Institut entwickelt Juniorprofessorin Andrea Volkamer in-silico-Methoden für die Risikobewertung von Wirkstoffen und Chemikalien. Die Bioinformatikerin speist umfangreiches Wissen über gut erforschte Substanzen und deren Angriffspunkte im Körper in maschinelle Lernprogramme ein, um sie zu trainieren und Vorhersagen über bisher unbekannte Moleküle und ihre möglichen Wirkung auf den Organismus zu machen. Durch beide Forschungsansätze der Charité werden Tierversuche im Sinne des 3R-Prinzips reduziert, weil sie viel gezielter eingesetzt werden können.